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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 151

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

14. Dezember 2015

Schaubühne


Was macht eigentlich Ophelia, wenn sie gerade nicht in „Hamlet“ auftritt? Dieser Frage ging die erklärt feministische Regisseurin Katie Mitchell nach, die durch ihre auf der Bühne die Produktion von Film und Schauspiel (vage) in Eins bringenden Inszenierungsprojekte berühmt wurde. Doch diesmal, in der „Ophelias Zimmer“ titulierten Koproduktion zwischen der Schaubühne und dem Royal Court Theatre London, gab es kein Kino, bloß einen trübe illuminierten Kasten mit Bett, Stuhl, Kommode. In ihm dämmert unendliche zwei Stunden lang eine zerbrechliche, weinerliche, verängstigte Ophelia (Jenny König) eingesperrt und abgeschottet dahin, denn Papa und Staatsraison verhindern ihre Liebe zu Hamlet.

 

Ophelia schicksalsergeben im häuslich-väterlichen Knast, getaucht in grausig-graues Zwielicht und grummelnden Horror-Soundtrack – suggestive, perfekt gemachte Stimmungsmalerei. Eine Magd reicht gelegentlich Tee, überbringt von Hamlet Blumen (die prompt im Papierkorb landen) sowie dessen Briefe und Kassettentonbänder mit poetischen Liebesschwüren oder wütenden „Fick dich!“- Ausbrüchen. Einmal dringt Hamlet überraschenderweise höchst selbst ins Gemach der Unglückseligen, zelebriert brüllend eine egozentrische Rockshow-Nummer und verschwindet wieder. Ophelia heult. Sie wird mit Medikamenten ruhig gestellt. Schließlich wird ihre Klause geflutet, kniehoch mit echtem Wasser. Das arme Mädchen greift zur Schere, um sich selbstmörderisch den Hals aufzuschlitzen. Das war‘s.

 

Warum aber hockt die brav Apathische zunehmend leblos werdender und immerfort schweigend herum (das Programmheft annonciert seltsamerweise eine Autorin Alice Birch)? Warum brennt sie nicht einfach durch mit dem Rocker Hamlet? Oder macht sich allein auf die Socken wohin auch immer? Weil das dem ideologischen Regiekonzept widerspräche. Weil sie ein paralysiertes Opfer der brutalen bösen Männerwelt ist und bleibt, so die einfältig-plakative Diagnose der Regisseurin. Die sich anklägerisch dünkt, wenn sie das mähliche Ersticken Ophelias an den Verhältnissen in formaler Präzision hingebungsvoll auswalzt. Das ist nicht wie gemeint erschütternd. Sondern langweilig. Shakespeare aber ist packend. Und wenn es Opfer in seinen Dramen gibt, gleich welchen Geschlechts, dann zerreißen sie uns das Herz. Schade, Ophelia allein zu Haus, daraus hätte wahrlich ein Drama werden können. Doch dazu braucht’s einen Dramatiker, keine Ideologin.

Blümchen für Jutta Wachowiak

Die Hälfte des beruflichen Lebens und die Schauspielerin Jutta Wachowiak ist – mit ihren dreißig Jahren – beruflich ganz weit oben in der DDR. Im weltberühmten Deutschen Theater Berlin (DT). Das Entrée-Billett für die ostdeutsche Theaterspitze erspielte sich die Absolventin der Babelsberger Filmhochschule in Karl-Marx-Stadt: als Schillers Luise. Dann, im ersten DT-Jahrzehnt, gleich die feine große Tschechow-Linie: Von Sonja aus „Onkel Wanja“ zur Arkadina aus „Die Möwe“. Eine Herausforderung und schönste Gelegenheit, darstellerischen Reichtum auszubreiten. Sonja: Die kleine graue Maus, in der die Liebe ihres Lebens schwelt. Im unscheinbar Treusorgenden das Drängen der unerwiderten Herzensergießung. Im verhalten Komischen das Tieftraurige. Arkadina: Die kühl gleißende Diva mit ihrer späten, verkrampften Liebe; das Souveräne durchsetzt mit feiner Lächerlichkeit und elender Verzweiflung. Das Publikum ist hingerissen. Frühes Schauspielerinnenglück.

 

Dabei hing bereits Wachowiaks Einstieg am DT an einer Sensation: Ihre Rolle der zart-frechen Freundin Charly des seinerzeit spektakulärsten DDR-Alternativen Edgar Wibeau in Plenzdorfs Aussteiger-Stück „Die neuen Leiden des jungen W.“ (304 Vorstellungen!). Das war ein keckes Trotzdem, die subtile Verbreitung eines Grans Hoffnung auf ein bisschen Frischluft im vermufften Land; eine Hoffnung, die man nicht müde wurde hochzuhalten oder vorzugaukeln, auch am DDR-Staatstheater.

 

Jutta Wachowiak prägte bis in die Nachwende-Jahre das DT-Ensemble. Ihr Radius vermochte weit zu greifen: vom bitter wehen Glücksentsagen bis hin zum forschen Glückskampf. Sie war Proletin und Bürgersfrau, Königin, Göre und sogar Volksfigur. Als Mutter Wolffen in Hauptmanns „Biberpelz“ berlinerte sie wie eine Kalaschnikow.

 

Die Herbfeine mit den blitzenden, zuweilen gar scharf stechenden Augen, die übrigens sehr schön singen kann (etwa in den in eisigen Zeiten erschütternd dramatischen, auch mal sentimental dahin schmelzenden DT-Volksliederabenden), diese so robuste Weibsbild-Dame mit äußerst hellhörigem Herzen ist eine penible Seelenerkunderin. Ein Schauspieler, schrieb Max Reinhardt, Ahnherr des DT, sei ein Mensch an der äußersten Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit, er stehe mit beiden Füßen in beiden Reichen. – Wie die Wachowiak. Das wurde zum geradezu massenwirksamen (und seltenen) Kunstereignis in dem eigentlich hoch politisch konzipierten Film „Die Verlobte“, den W. zur so erschütternden wie, ja doch, trostreichen Liebestragödie empor schraubte; völlig frei von jedwedem Heldisch-Heroischen, von Rührstück-Posen oder entrücktem Über-den-Dingen-Stehen. Es war ihre subtile Kunst, im Dreck der Welt (hier: als Kommunistin im Nazi-Kerker) wie selbstverständlich die Schönheit hell und unverwüstlich aufscheinen zu lassen.

 

Für ihre Kunst, aber auch für ihr bürgerrechtliches Engagement in der Wendezeit, bekam Jutta Wachowiak als eine der ersten aus dem Osten das Bundeverdienstkreuz. Erst dann, mit der völligen Neuformierung des DT-Ensembles, kam für sie die eigentliche Zäsur: Sie fühlte sich nur noch als „verwaltete Altlast“. Depression. 2005 verließ sie nach 35 Jahren „ihr“ DT; ein Jahr vor der Rente. Und ging mit einem hoffnungsvollen Jungregisseur zurück in die Provinz, diesmal in den Westen, nach Essen. „Ich war ratlos, wollte mich aber nicht abkoppeln, wollte dahinterkommen, warum Künstler jetzt zu ganz anderen Bildern kommen bei Problemen, die ja eigentlich doch immer ähnlich bleiben.“ Sie lernte einiges im Ruhrpott; „ich fand mich hier passend“. Auch als fremde und dennoch vertraute große Alte unter einem Haufen anfangender, mithin Großes wollender Jugend.

 

Inzwischen ist sie wieder in Berlin. Und wieder, gelegentlich, an ihrem altvertrauten („die Gerüche!“), dennoch „völlig neuen“ DT. Der Intendant besinnt sich klugerweise auf die lebensweisen Kunst-Könner „von früher“, die doch hier zu Stars wurden und es nach wie vor sind für sehr viele nicht nur in Berlin. Gestern wurde die verehrte „Altlast“ 75. Aber erst eine Woche später, am vierten Advent (und dann wieder am zweiten Weihnachtsfeiertag), steht sie in „Wintersonnenwende“ (sinniger Titel) auf der Bühne, die ihr für so lange Zeit alles bedeutete, dann schmerzlichst fast gar nichts mehr. Und jetzt wieder allerhand. Und alles ist wieder wie am Anfang: das Lampenfieber, das Sich-Behaupten-Müssen, die mehr oder weniger kleinen Kräche, der Ärger über Missratenes, das Glück des gelungenen Spiels, der Beifall. Alles eigentlich wie immer in ihrem entsetzlich schönen Beruf.

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