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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 143

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

19. Oktober 2015

Deutsche Oper


Mozarts frivol-aufmüpfiger, ja politisch aufrühriger „Figaro“ in der – man staune! – 138. Vorstellung. Premiere war am 14. Dezember 1978. Vor unglaublichen 37 Jahren! Und alles frisch; sängerisch, spielerisch. Man möchte wähnen wie am Tag der Premiere. Wie ein Wunder. Doch eigentlich das Ergebnis von unglaublich professioneller Arbeit nicht zuletzt der Abendspielleitung, der Korrepetitoren und sonstigen Fachkräfte, die imstande sind, eine Produktion über mehrere Jahrzehnte hin im Geist der Regie lebendig zu bewahren. Die Regie, das sind Götz Friedrich und sein Ausstatter Herbert Wernicke. Beide sind auf eigene Art den Autoren Mozart & da Ponte auf den Fersen – und dabei stets auf durch und durch poetische Weise. Anders gesagt: Die Interpreten bringen uns die hier selten tiefe und genaue Menschenbeobachtung der Autoren derart nahe, dass wir die Zeitgebundenheit der Figuren vergessen oder einfach beiseiteschieben können. Sie sind ewigmenschlich, sind aufklärerisch 18. Jahrhundert und sind Gegenwart in einem. Gleichsam nebenher wird uns begreiflich, was die Figuren da an politisch (und also auch psychisch!) gesetzten hohen Hürden überspringen – ob naiv oder lüstern oder hoch bewusst; das sei dahin gestellt. Die politisch intendierte Liebes-, Ehe-, Gesellschaftskomödie kommt in dieser genialen Inszenierung durchaus befremdlich, also ganz und gar kunstvoll daher – aber eben auch ganz und gar realistisch, freilich mit einem herrlichen Stich ins Absurde –da sehen wir Mozart und da Ponte grinsen… Und selbstredend ist alles höchst erotisch. Doch auch hier regiert das Komplexe: Das, was da lüstern ist und heutzutage gemeinhin geil oder gar supergeil genannt wird, es vermischt sich immerzu mit dem melancholischen Gefühl der großen Liebe, der tiefsten Zuneigung – von deren Endlichkeit es eben auch bittersüß tönt.

 

Die Deutsche Oper präsentiert mit diesem „Figaro“ eine umjubelte Kostbarkeit; nämlich die klassische Inszenierung eines Klassikers – mit tollen sexy Sängern, mit einer tollen Kapelle. Und liefert den Beweis: Eine im Geistigen wie Optischen gekonnte Inszenierung hat so schnell (oder überhaupt) kein Verfallsdatum (es sei denn, man könnte sie nicht mehr entsprechend besetzen). Die Deutsche Oper konnte es immer, war also klug genug, diesen „Tollen Tag“ ohne Not nicht einer Neuproduktion zu opfern. Das hat nichts zu tun mit Risikoscheu oder Musealisierung. Denn wenn man schon in der glücklichen Lage ist, ein zentrales Werk des Repertoires in mustergültiger Formgebung hinsichtlich des Geistigen und Optischen im Spind zu haben, sollte man seine Ressourcen besser für die Erweiterung des Repertoires nutzen – wie gerade jetzt wieder löblicherweise und durchweg gelungen mit Meyerbeers alle Kräfte des Hauses einspannendem Monumentalwerk „Vasco da Gama“.

 

Die im Herzen wie im Kopf wühlende, poetisch fein flimmernde und gedanklich weit schwingende, unvergesslich Schönes illuminierende „Figaro“-Inszenierung von Götz Friedrich beweist: Theaterproduktionen, die lebendige Menschen aus welcher Zeit sie auch kommen mögen, genau betrachten und ihre Geschichten packend, also verständlich erzählen, sind Dauerbrenner. Schade, dass andere Produktionen etwa von Friedrich oder Ruth Berghaus oder Harry Kupfer (meist vorschnell) abgesetzt wurden. Das Best-Of der Altvorderen hält allemal auf lange den Zeitläuften stand; das muss nicht immerzu aktuellen gesellschaftlichen Lagen angepasst werden, wie eitle, ehrgeizige oder gar bloß auf Honorar oder auf Feuilleton-Aufmerksamkeit erpichte Regisseure geflissentlich fordern. -- Nun gucken wir sehr neugierig und erwartungsvoll auf Jürgen Flimms „Figaro“-Inszenierung demnächst an der Berliner Staatsoper…

Berliner Staatsoper

Doch vor Jürgen Flimm, der lange Zeit vor Antritt seiner Staatsopern-Intendanz als innovativer Regisseur und ebensolcher Direktor im Schauspiel heftig reussierte, aber erst relativ spät zur Oper fand, wo er zuletzt, nebenher zu seinem (ihn nicht gänzlich ausfüllenden?) Berliner Intendanten-Posten in Mailand einen – halten zu Gnaden! – gedankenarm an der Rampe entlang arrangierten „Otello“ (Rossini) präsentierte, bevor nun also Flimms neuer „Figaro“ in die Bismarckstraße kommen wird, sangen dort Wagners „Meistersinger“ im schönen aber eben leider etwas kleinen Schillertheater, das besser zu Mozart passt als zu Wagner.

 

Um es gleich zu sagen: Sie taten es wunderbar, begleitet von der mindestens ebenso wunderbaren Staatskapelle dank Daniel Barenboims, dem alle – was sonst – hingerissen zu Füßen lagen.

 

Ehrlich gesagt, das hatte jeder erwartet. Der Komponist Wagner und ein Barenboim, das kann gar nicht schief gehen, wie mit einem Thielemann ja auch nicht. Doch mit dem Stückeschreiber Wagner, da mag es schnell problematisch werden, da ist der Regisseur entscheidend. Doch Barenboim (nebst Direktor Flimm an seiner Seite) war weise genug, Andrea Moses zu engagieren, die in Meiningen, Dessau und zuletzt Stuttgart mit teils überrumpelnd neuartigen Sichten auf große Klassiker das Publikum in Furor versetzte, in Begeisterung – aber auch in Abscheu.

 

Moses ist eine superkluge Analytikerin mit überbordender Fantasie. Prima Mischung! Und mit ihren „Meistersingern“ gelang ihr ein Meisterstück im Handwerklich-Technischen. Und obendrein ein Mut-Stück im Denken.

 

Wir alle wissen um die problematische Rezeptionsgeschichte des Werks (Hitlers Lieblingsoper etc.). Worüber vorschnell vergessen wird, dass Wagners hehrer Appell, die deutsche Kunst und ihre Meister unbedingt hoch zu halten, eine Mahnung ist, in der freilich auch eine Warnung vor Wahnhaft-Irrationalem mitschwingt (aus dem zweiten Akt), sich auf das Beste zu besinnen und sich dessen ohne Hochmut und Selbstüberschätzung zu vergewissern, was die Deutschen haben: nämlich ihre Kunst. Und dieser Ruf gegen eine gerade heutzutage dräuende, gerade heutzutage höchst fatale Geringschätzung steht in engem Zusammenhang mit 1848, dem Vormärz und dem freiheitlich-demokratischen Schwarz-Rot-Gold der Paulskirche – und nicht etwa mit (dem späteren) Schwarz-Weiß-Rot oder Braun.

 

Eingedenk der Besinnung auf diese kraftvolle Wurzel des Wagner-Werks inszenierte Andrea Moses „Die Meistersinger“ ungeniert und doch fein ironisch gerahmt in Schwarz-Rot-Gold; oder genauer gesagt: völlig durchdrungen von dieser Färbung. Und das nicht nur sinnbildlich, sondern konkret mit riesiger Fahne vom Boden bis hinauf in den Kunst- und Opernhimmel. Das hat sich – warum eigentlich? – bislang keiner so getraut. Geradezu genial diesbezüglich das Quintett im dritten Akt: Sachs, Eva, Stolzing, David, Magdalene fassen wie zum Fahneneid das Tuch und singen sich hoffnungsfroh die Glückseligkeit aus dem Herzen. Da wird Wagners so betörende Komposition für bewegende Momente zu einer Art neuer Nationalhymne. Sensibel und originell gedacht und groß gemacht. Schier überwältigend und unvergesslich.

 

Ansonsten konzentriert sich die Regie geschickt auf die psychologisch (und sozial) so überaus vielschichtige, dabei von tragischen und grotesken Einschlägen nicht freie Menschenkomödie. Mit „Verstand, Witz und Kenntnis“, so wie es Wagner notierte. Also absolut Wagnerisch. Obendrein schafft Moses das Kunststück (im Verbund mit ihren kongenialen Bühnenarchitekten Jan Pappelbaum und der Kostümbildnerin Adriana Braga Peretzki), das monumentale Breitwand-Opus voller Menschengewusel völlig unangestrengt im gänzlich heutigen Outfit zu illuminieren. Da ist im wesentlichen nichts oktroyiert oder eingepflanzt, was nicht den Intentionen des Autors entspräche. Ein so hellwaches wie entspanntes, ja gelöstes Publikum feierte in der vierten Vorstellung nach der Premiere zum Nationalfeiertag diesen souveränen Abend nach sechs Stunden mit stehenden Ovationen. Eine Viertelstunde lang. Endlich einmal wieder das helle Glück auf der Bühne und im Saal. Wie schön. (nochmals am 22. Oktober, 17 Uhr; ein paar Einzelkarten bekommt man – mit Glück noch vor der Vorstellung)

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