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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 141

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

5. Oktober 2015

Gorki Theater


Es ist zwei Jahre her, da tobten vier orientierungslose und dauerunglückliche, vom Leben und vom Lifestyle gestresste WG-Mädels so um die 20 über die Gorki-Vorbühne. Und plapperten aufgeregt über ihre Erfahrungen aus Clubs, BWL-Seminaren, Haschhöhlen, Chatrooms oder ihre Erlebnisse in fremden Betten, Minijobs und Körperstyling. Sie hatten keine Ahnung, wie sie ihre chaotische Existenz optimieren sollten. Ihre komische Verzweiflung und groteske Lustigkeit packte die aus Weimar stammende und in Zürich lebende Autorin Sibylle Berg in ein furios mit Klischees und Pointen jonglierendes Stück; vielsagender Titel: „Es sagt mit nichts, das so genannte Draußen“. Dieses Girlie-Quasselding, das allerhand über das so genannte wirkliche Leben draußen mitteilte, wurde auf Anhieb ein Hit, avancierte prompt zum „Stück des Jahres“ in der Kritikerumfrage des Fachblatts „Theater heute“ und gewann obendrein den Mülheimer Theaterpreis.

 

Jetzt schrieb die berühmte, für ihren tabulosen Sarkasmus auch berüchtigte und dennoch nicht ganz von Menschenliebe freie Zeitgeistzynikerin Sibylle Berg (Mitte 50) sozusagen die Fortsetzung ihrer scharfen Bloßstellung besagter Mädchengang von anno 2013; Titel: „Und dann kam Mirna“. Was heißt: Die vier Mittelschicht-Mädels, nunmehr ein Jahrzehnt älter, bekamen Kinder (eben Mirnas), was auch nicht wirklich sinnstiftend war für ihr „bloß mittelmäßiges Leben“, was die vier als Dauerdemütigung hinnehmen, worüber sie wiederum, wie früher schon, unentwegt labern. Sie kommen einfach nicht aus den Puschen! Zwar stehe ihnen die Welt zur Verfügung, aber sie bekämen nix in den Griff, so ihr Dauerklageton. Es ist das liebe Elend mit der Freiheit, dem Dickicht der Optionen und der schlagenden Mediokrität (oder Talentarmut). Also kein befriedigender Neuanfang mit Reproduktion und Alleinerziehung. Stattdessen werden immer nur egomanisch aber lustlos irgendwelche Selbstverwirklichungsprojektchen probiert und abgebrochen; wobei ihnen die Kids bloß auf den Keks gehen. Die wiederum regen sich komisch hochtrabend über die „Strukturlosigkeit“ ihrer so redseligen wie unpraktischen Mütter auf. Die seien nur noch peinlich in der Unfähigkeit, endlich erwachsen zu werden, Vorbild zu sein, Orientierung zu geben.

 

Auch diesmal vermittelt Sibylle Berg allerhand Einsichten ins moderne Leben draußen und seine postmoderne, haltlos machende Unübersichtlichkeit: Da sind die vielen gleißenden Erregungen (die heterosexuelle Determination aufbrechen oder in der Flüchtlingsarbeit mitmachen?), die vielen lachhaften Aufregungen (noch ein bisschen Kommunikationsdesign studieren oder eine Hütte in der Uckermark einrichten?) - das alles macht so blind fürs Auffinden eines einigermaßen befriedigenden Daseinskerns. Was durchaus mit Tragik zu tun hat, die freilich mit einem galligen Kichern sowie dem Einschreiben für einen Yoga-Kurs flink weggewischt wird. Und so bleibt alles beim hilflosen, dafür von der gewieften Autorin umso spitzzüngiger formulierten Herumgeschnatter um gähnende Lebensleere.

 

Regisseur Sebastian Nübling, der schon „Es sagt mir nichts, das so genannte Draußen“ als rockige Sprech-Kurzoper inszenierte, wird auch jetzt mit „Mirna“ in genau 70 Minuten fertig, schafft es aber nicht, dem Damenquartett die fürs Chorische notwendige rhetorische Präzision einzuhämmern. Obendrein wirken die von Tabea Martin ertüftelten choreografischen Verrenkungen albern und störend für den sprachlichen Sog, den die Autorin entfacht. Auch bleibt vieles akustisch unverständlich; erst recht bei den vier kleinen Schulmädchen, die als Töchter-Quartett herumpiepsen – den Kindergarten hätten Profis übernehmen sollen. Bergs entindividualisiertes, also abstrakt plakatives Spachkunstwerk wirkt nämlich nur stark als perfekt artifzielles Sprechkunstwerk. Damit haperte es mächtig bei dieser Uraufführung, das Rede-Rondo wollte nicht recht losrocken, der Ironie-Sound kam nicht zum Tanzen.

 

Vor zwei Jahren beschloss die eher pessimistisch veranlagte Sibylle Berg ihre Fallstudie jugendlicher Ratlosigkeit mit dem Satz: „Ich kann es manchmal nicht erwarten, älter zu werden. Denn vielleicht bedeutet das, nicht mehr so blöd zu sein.“ Inzwischen sind die Ratlosen älter, aber noch genau so blöd wie damals. Kein Fortschritt. Aber der lilifee-rosa verpuppte Nachwuchs verspricht am Ende, alles ganz anders zu machen als ihre doofen Mamas im grauen Schlabberpulli. Wir werden sehen… Das wäre dann der Stoff für Bergs drittes Stück zum Thema.

Gratulation!

Am 1. Oktober hat Bundespräsident Joachim Gauck 32 Bürgerinnen und Bürger für herausragende Leistungen mit dem Verdienstorden der Bunderepublik Deutschland ausgezeichnet. Unter ihnen die 61 Jahre alte Schauspielerin und Regisseurin Katharina Thalbach, die – gehörend zu den „herausragenden Künstlerinnen unseres Landes“ (so das Bundespräsidialamt) mit dem Verdienstkreuz Erster Klasse geehrt wurde. Ab Dezember wird sie wieder im Theater am Kurfürstendamm in ihrer Inszenierung von Hauptmanns „Roter Hahn im Biberpelz“ auftreten. 2016 wird Katharina Thalbach (61) Tennessee Williams Klassiker „Die Glasmenagerie“ mit Tochter Anna und Enkelin Nellie inszenieren.

Abschied von „Realness“ oder „Liveness“ und sonstigem Authentizitätsgeflunker im Theater. Ein Lesetipp

Längst schon hat sich unüberhörbar Unmut ausgebreitet im Schauspielpublikum: nämlich über die neueren Theatermoden. Jetzt gibt es gleich ein ganzes Buch dazu, das sich – einigermaßen theoretisch – auf 212 Seiten damit auseinandersetzt. Mit keckem Blick auf Bertolt Brecht („Lob des Kommunismus“) trägt es den heutzutage schon wieder provokanten Titel „Lob des Realismus“ (Verlag Theater der Zeit, 18 Euro). Geschrieben hat es Bernd Stegemann, ein gestandener Theatermensch, der sowohl als Dramaturg (Schaubühne) als auch Dramaturgie-Professor (an der Ernst-Busch-Hochschule) mit dem Betrieb bestens vertraut ist.

 

Zunächst untersucht Stegemann den Zusammenhang von eben jenen überall im Lande grassierenden Inszenierungs- und Darstellungsmoden mit dem generellen „Zwang zur Selbstvermarktung im Neoliberalismus“. Und sagt (nicht ganz neu), dass „der Umbau des Subjekts zum Performer seiner selbst“ eben nicht nur in der Kunst, nicht nur auf der Bühne stattfinde, sondern längst und überhaupt zur „Kernanforderung“ an die Arbeitskräfte in vielen Berufen jenseits aller Künste wurde, um im knallharten Konkurrenzkampf zu bestehen. Und so veredelten denn die Performer nur ästhetisch (im Theater), was in der Realökonomie draußen unter Zwang geschehe. Woraus folgt, dass diese Ästhetiken, dass also diese Kunst affirmativ sei, nicht kritisch, nicht aufklärerisch. Deshalb Stegemanns Haken zu Brecht und dessen realistisches, zur Veränderung der Verhältnisse beitragen wollendes Theater und die Forderung nach einer „normativen Ästhetik“. Die freilich mag total unzumutbar sein in Zeiten des regierenden Stil-Pluralismus der Ich-fixierten Postmoderne, in der „die Mittel der Kunst zum einzigen Gegenstand der Kunst“ werden, formuliert Stegemann zugespitzt. „Für realistische Kunst“, so seine deutlich linke Position, sei „Interesse an Welt, dialektisches Denken und Klassenbewusstsein“ vonnöten. Das geht natürlich gegen gängiges Ironisieren von allem und jedem, gegen das bis zum Überdruss praktizierte Ausstellen von Authentizitäten durch journalistisch-naturalistisches oder semi-dokumentarisches Theater, durch so genannte Experten des Alltags wie etwa bei der Gruppe „Rimini Protokoll“ oder egomanische Selfie-Performer. Stegemann spricht da von „Realness“ und „Liveness“ und meint eine selbstreferenzielle „Kunst, die nichts darstellen will“. Wie l’art pour l’art. Das postmodern Avantgardistische also, kurz gesagt, als Verschleierer der Wirklichkeit. Oder anders: als „Karikaturist der Gegenwart“. Deshalb (im Geiste Brechts) zurück (oder vorwärts) zu einem realistischen Theater der Aufklärung, das am ehesten dazu befähigt sei, im "geschlossenen Kunst- und Konzentrationsraum Bühne" komplexe und mithin widerspruchsreiche Darstellungen der Wirklichkeit herzustellen. Es geht Bernd Stegemann um eine neue Ernsthaftigkeit (oder auch: Bestimmtheit), um endlich die bestürzend geschrumpfte Relevanz des Theaters zu überwinden. Schließlich ist unübersehbar, das sich unser vermeintlich so gesellschaftlich engagiertes Theater verliert in Spielereien und Spielchen. Also wieder große Geschichten mit großen Figuren, statt im Übermaß politisierende Performance-Projekte, Talk-Show-, Journalismus- oder Befindlichkeitstheater. Also wieder Drama! Und mal wieder nachschlagen vielleicht nicht unbedingt bei Brechts Lehrstücken, sondern bei Schiller beispielsweise. Nachdenkenswerter Denkansatz…

Berliner Ensemble / Teure Krone

Pünktlich vor Saisonbeginn managte nun schon zum fünften Mal Groß-Entertainer Claus Peymann im Hof seines Berliner Ensembles eine Versteigerung (für soziale Zwecke) von Kostbarkeiten oder Ramschereien aus Fundus, Depot, Archiv. Der Andrang war riesig, der Umsatz beachtlich (17.505 Euro). Allein die Krone, die Gert Voss als uralter Knattermime im Thomas-Bernhard-Stück „Einfach kompliziert“ trug (Regie: Peymann), allein dieser königliche Kopfputz der Hit des Hammer-Happenings brachte 1.100 Euro ein. Schade, das Ding hätte eigentlich in ein Berliner Theatermuseum gehört!

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