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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 131

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

18. Mai 2015

Maxim Gorki Theater


Ein paar mopsige Hühner tapsen gedankenverloren pickend über die Bühne. Und gelegentlich gackern sie gar ihre Antworten auf die resignierten oder auch wutschnaubenden Redereien der Familie Wanja Wojnizkij nebst deren Verwandte und Freunde. Es ist ein kleines Kollektiv russischer Landeier, das da tafelt und trinkt auf der Wiese vorm längst brüchigen Familiensitz, umstellt vom, wie man klagt, allmählich absterbenden Wald. Ihm geht es wie den Menschen hier, deren Lebenslust, Zukunftshoffnung und Daseinssinn langsam abstirbt. – „Was tun dagegen?“, heißt ihre Grundfrage. Arbeiten? Trinken? Ausharren? Fortgehen? – Die Rederei und Träumerei, der Fatalismus und Vergeblichkeitstrotz – alles dreht sich im Kreis wie das ewige Picken des gedankenverlorenen Federviehs in dieser drückend schwülen Sommernacht (hier auf der Bühne muss es wach bleiben bis zum frühen Morgen).

 

Tschechows tiefschwarz gerahmte Komödie „Onkel Wanja“ inszeniert Nurkan Erpulat wie die etwas schwach geratene Blaupause eines schweren Mittsommernachts-Albtraums. Und die allseits unglücklichen Verliebtheiten dieser hoch neurotischen Truppe aus Verlorenen und Einsamen ist das mit Tee und Wodka verdünnte Bittersalz in diesem von Scherzen, Schmerzen, Tränen, lustigen wie traurigen Liedern durchsetzten, hochromantisch illuminierten Vergeblichkeitsspiel (der dichte Wald, hier noch ohne Baumschäden, die Abendröte, der sich verdunkelnde Himmel - Bühne: Alissa Kolbusch).

 

Erpulat imaginiert keinen schwermütigen, sondern einen halb schwermütigen Tschechow – und das ist doch etwas anderes als die Schwebe zwischen Trauerstück und Lustspiel, die Tschechow im Kopf hatte. Und das Ensemble folgt ihm brav (u.a. Tim Porath als etwas tumber Tor Wanja; Mareike Beykirch als in der Entsagung tapferes hässliches Entlein Sonja). Doch in den Mittelpunkt dieser moderat endzeitlich gestimmten Schar der Unglücksraben treibt die Regie den von Resten eines großen wilden Wollens gepeitschten Arzt Astrow (der wie immer hinreißende Dimitrij Schaad).

 

Just vor einem Jahr startete das neu besetzte Gorki-Haus mit Tschechows „Kirschgarten“, den Regisseur Erpulat in eine lebenspralle, grell schillernde Direktheit versetzte, was zart besaitete Tschechow-Freunde arg irritierte – ich war begeistert. Der berühmte schwarze Tschechow-Rahmen war damals trotz aller Traurigkeiten mit den bunten Bändern eines widerständigen Auflebens kess umwunden. Und obendrein durchsetzt mit drastischen Gegenwärtigkeiten. Ein prima Zugriff. Der Autor hatte das sehr viel besser vertragen als damals das Publikum, dem alles viel zu platt war.

 

Jetzt, bei „Wanja“, regiert das Wohltemperierte, das einigermaßen Tschechow-Wohlfeile. War nichts Falsches dran. Aber auch nichts wirklich Herzergreifendes, von weiter und höher greifenden Tiefsinnigkeiten ganz abgesehen. So geht das halt mit sehr früh schon sehr berühmt gewordenen Regisseuren wie Erpulat: Man erwartet nun immerzu einen besonders innovativen Zugriff, etwas Außerordentliches (Hühner allein genügen nicht). Diesmal war alles ordentlich, sogar das Gackern.

Hans-Otto-Theater Potsdam

Ödon von Horvàth (1901-1938) blättert in seinem Volksstück „Geschichten aus dem Wienerwald“ jenseits jeglicher Heurigen-Volkstümlichkeit ein dennoch süffiges, dabei aber entsetzlich buntschillerndes Leporello der menschlichen Verlogen- und Borniertheit auf. Es ist ein grausig lustiges Geschichtchen-Puzzle aus Kalenderweisheiten und Kleine-Leute-Gewusel, das sich zu einem grauenvollen Comic des Menschendaseins formt: „Küss die Hand – krepier!“

 

„Nichts gibt so sehr das Gefühl der Unendlichkeit als wie die Dummheit“ gab der Autor seinen Wienerwald-Geschichten als Motto mit. Und der sichtlich begabte Regisseur Alexander Nerlich offenbart denn auch in aller Drastik und Schärfe das Menschenhässliche, das in dieser Girlande aus Miniaturen der gemütlichen Kleinbürgerlich-Biedermeierlichkeit steckt. Das wird vom bravourösen Ensemble mit spielerischer Vehemenz ausgestellt. Doch dabei geht zunehmend unter, dass all das Kleine, Böse, Elende, Rohe, dass Niedertracht, Verlogenheit und Gewalt bei Horvàth einher gehen mit der schwelenden Glückssehnsucht seiner Figuren. Die Regie will uns mit überschäumender Fantasie sehr, sehr viele Facetten vorführen von der Menschen elenden Abgründigkeit, was ihr vielfach gelingt. Dennoch passiert ihr das Missgeschick, hingebungsvoll allein in dieser Abgründigkeit zu wühlen. Ostentativ müssen die Schauspieler sich darin suhlen. Das tun sie immerhin großartig – aber: So entstehen keine Fallhöhen. Und somit stehen sie nicht am Abgrund, kippen und stürzen nicht, sondern sind immerzu mitten drin in ihrer Hölle. Der vom Autor vorgegebene anschwellende Sog vom trübe schillernd Komödiantisch-Lustig-Grotesken ins beklemmend Ausweglose, ins finster Tragödische wird zunehmend ausgebremst. Die bei Horváth ins Tödliche eskalierende Nummernfolge spitzt sich bei Nerlich nicht zu. Der Kontrast zwischen den vergeblichen Himmelsstürmereien und grausigen Höllensauereien verblasst wie denn auch die Spannung nachlässt. Das Stück wird obendrein mit einer Überfülle von Regie-Einfällen unnötig breit getreten, plakativ aufgebläht und vergröbert, wodurch sich letztlich seine Tiefe und Größe reduzieren.

 

Bei allen Einwänden: Dieser überambitionierte, aber dennoch starke, leider mit maßlos viel künstlerischem Wollen vollgestopfte Abend hinterlässt ein überraschendes Staunen über Talent! Auch und vor allem durch Wolfgang Menardis berückend artifizielles Bühnenbild, das mit enormem Aufwand eine Vorstadt-Schmiere als sagenhaft versifftes Bühnchen auf der Breitwandbühne zeigt, in dem sich demonstrativ-realer Menschendreck und selig-romantischer Menschentraum raffiniert verquicken. Da ist der tolle Bühnenbilder dichter dran am Autor als der nicht minder tolle Regisseur, dem eine rigorose, auf Stringenz pochende Dramaturgie mutig hätte zur Seite stehen sollen. Dennoch: Eine sehenswerte Sache (wieder am 24. Mai).

Deutsches Theater

Er liebte Hortensien; sie mag sie auch. Also bringt Barbara Schnitzler eine schöne große, blassblaue Dolde mit für ihr Rilke-Programm im Rang-Foyer des Deutschen Theaters. Und steckt sie ins Glas auf dem Tisch mit den rokokohaft geschweiften Beinen. Dahinter sitzt sie, meist kerzengerade, seltsam mädchenhaft und zugleich hoheitsvoll abgeklärt. Seidig weiße Bluse, schwarze, weit geschnittene Hose. Auf dem Stuhl mit den Armlehnen und der herzförmig gebogenen Lehne bis hoch zu den Schultern. Das gute alte, vornehme Sitzmöbel, auf dem schon Inge Keller, ihre betagte Kollegin Mutter, aber auch andere Honoratioren des Hauses Ehrungen, Huldigungen und Blumen, meist Rosen (nie Hortensien), entgegennahmen. Ein theatergeschichtlich bedeutender Sitz, sozusagen. Die große Tafel an der Wand mit der goldenen Namensliste aller Ehrenmitglieder dieses Hauses, die freilich bleibt – wie so oft neuerdings – auch diesmal verhüllt.

 

Rainer Maria Rilke, was für ein Name, schwärmt spitzzüngig die Schnitzler; er klinge „kindlich, kirchlich, ritterlich“. Das Motto ihres, altmodisch gesagt, Vortragabends ist ein nur allzu berühmtes Briefzitat des großen Dichters, Melancholikers, Verführers, Vegetariers und Lebenskünstlers: „Wer spricht von Siegen? Überstehn ist alles“. Doch erst einmal, als Ouvertüre, spielt der wunderbare Michael Abramovich auf dem Klavier Chopin – es ist ein weißes Klavier (neben der blauen Hortensie). Und zwischen dem Lesen von Prosastücken und Gedichten sowie der Abgabe informativer, mit sarkastischen Zitaten („was wäre unbrauchbarer als ein getröstetes Leben“) durchsetzte Kurzkommentare oder fein ironischer Bemerkungen – dazwischen immer wieder ein Stück von Chopin.

 

Was für ein kunstvoller, dabei völlig unprätentiöser Abend mit tiefen Gedanken und berückender Sprache. Ein Abend auch im Sinnbildlichen, wird doch nur allzu oft die Dämmerung beschworen, der Abschied, die Endlichkeit. „Es ist Zeit, sich reisig auszurüsten…“ Weiß man doch, dass „alles einmal nicht mehr ist“. – „Uns überfüllts. Wir ordnens. Es zerfällt. / Wir ordnens wieder und zerfallen selbst.“

 

Die Schnitzler, äußerst einfühlsam und wissend, trifft mit ihrer unverwechselbar dunkel getönten Stimme (die auch scharf sein kann, schneidend, bissig) für jeden Text, ja jeden Gedanken den rechten Ton: warm und weich, weh und traurig oder kühl, kalt, hart, streng und unerbittlich. Doch niemals wehleidig, nie herzlos zynisch; aber doch immer mal wieder voll Bitterkeit, die sie freilich sofort lax weggesteckt. Rilkes Elegien – ganz unelegisch, dafür ernst und klar. Sentimentalitäten bleiben ahnbar bloß. Und immer wenn’s nur passt, da girrt ein Kichern, flackert ein Lachen, ein gewitztes Seufzen. Welch herrlich leuchtende Abendröte – ja schon: auch genießerisch, doch immer wahr. Und mit Chopin. Allein Chopin, nichts anderes, so der Wunsch der Schauspielerin. Und so – mit Rilke ihr Schlusswort:

 

„Noch ist die Welt voll Rollen, die wir spielen. / Solang wir sorgen, ob wir auch gefallen, / spielt auch der Tod, obwohl er nicht gefällt.“

 

Wieder am 26. Mai um 19.30 Uhr im DT (Rang-Foyer = Saal).

Gratulation

Just am heutigen Tag feiert die Berliner Volksschauspielerin Anita Kupsch ihren 75. Geburtstag! – Als Fünfjährige ging sie zur Ballettschule, und wurde doch nicht Tänzerin (so ihr Jugendtraum), sondern Kosmetikerin. Aber mit 16 Jahren stand sie in der „Kleinen Scala“ mit Sketchen auf der Bühne. Zwei Jahre später war sie auf der UFA-Nachwuchsschule – danach begann eine steile Karriere als Theater-Schauspielerin. 1964 spielte sie mit Rudolf Platte im Hebbel-Theater „Der Kaiser vom Alexanderplatz“ in sage und schreibe 440 Vorstellungen. Dann kamen die TV-Serien (12 Teile mit Harald Juhnke in „Ein Mann will nach oben“). Oder „Praxis Bülowbogen“ mit Günther Pfitzmann, 10 Jahre lang, 107 Folgen. Oder die ZDF-Serie „Anitas Welt“, die Kupsch als lebenslustige Witwe und taffe Leiterin einer Spedition. Und immer wieder die Kudamm-Bühnen, und viele Auszeichnungen. Sie lebe hoch, hoch, hoch, unsere kleine kesse, kluge, herzerwärmende und wunderbare Anita Kupsch!

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