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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 125

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

7. April 2015

Komödie am Kurfürstendamm


Sicherheit, das ist das allererste, was eine Bank ausforscht, bevor sie einen Kredit gibt. Doch nicht nur im Geldgeschäft steht Sicherheit ganz oben, vielmehr spielt sie in unser aller Leben eine zentrale Rolle: Alle Welt will Sicherheit! Doch Anton Herberg (Ilja Richter), der einen Kredit will von einer Bank, hat keine. Also sagt der Filialleiter (Markus Majowski) „Nein!“. Das ist die glasklare Ausgangslage für die so intelligente wie bissige Konversationskomödie „Der Kredit“ des in seiner Heimat äußerst populären und erfolgreichen Autors Jordi Galceran aus Barcelona (die herrlich spitzzüngige Übersetzung stammt von Stefanie Gerhold).

Doch was da offensichtlich ganz klar und sicher ist, hier der erfolglose Antragsteller, da der souveräne Finanzmann, verwischt sich in atemberaubender Geschwindigkeit. Die Böden, auf denen die beiden Ungleichen stehen, beginnen zu wanken, die Machtverhältnisse verschieben sich, Sicherheiten bröckeln, Ungewissheit wuchert auf geradezu beängstigende Art – der Motor dieser frappierenden Umwertungen sind die Eloquenz und Lebensweisheit des durchtriebenen Schlawiners Herberg, der den Zweifel in die Fassade der sicheren Selbstgerechtigkeit des stur geradeaus blickenden Finanzbürokraten sät, der dabei schließlich mehr als nur ins Stolpern gerät. Es kommt zu scharf geschliffenen Rededuellen und aberwitzigen Kollisionen am Rande der Farce zwischen den beiden so gegensätzlichen Männern; trotzdem können beide was voneinander lernen. Großartiges, erfrischend hintersinniges Unterhaltungstheater unter Regie von Martin Woelffer voller überraschender Wendungen und unglaublicher Pointen; mehr wird hier nicht verraten.

 

Großartig wird die Chose aber auch durchs optimale Casting – nämlich die beiden hinreißenden Protagonisten Majowski & Richter, die sich behende, zuweilen gar atemlos jagen durchs Textgebirge mit seinen schroffen Gipfeln und steilen Abhängen – oder sich gegenseitig halten und stützen, wenn’s denn extrem gefährlich wird. Nicht verpassen! (en suite bis 26. April)

 

Theaterdiscounter

 

Goethes „Torquato Tasso“ ist ein scharf geschliffenes Debattierstück über „die Disproportionen des Talents mit dem Leben“. Und zugleich ein packendes Polit-Drama vom Aufeinanderknallen von eherner Macht und freiem Künstlertum. Jetzt, im Theaterdiscounter, hat Regisseur Georg Scharegg aus dem Renaissance-Literaten Tasso einen erfolgreichen Maler-Performer gemacht (hoch erhitzt und tätowiert: Cornelius Schwalm), der sich im heutigen Kunstmarkt tummelt. Und aus dem mäzenatischen italienischen Fürstenhof zu Ferrara wurde der nicht minder feudale Berliner Galeriekommerz: Eine wohlfeil schicke Galeristen-Clique (Kerstin Schweers, Ursula Renneke, Christian Ahlers, Alexander Maria Schmidt), zelebrierend die Ausstellungseröffnung seines Stars Tasso. Dabei kommt es zu sarkastischen Diskussionen über die Autonomie der Kunst und die (absatzorientierten) Anforderungen der Markt-Wirklichkeit. Das vermeintlich autonome Künstler-Ich reibt sich am Gesellschaftlichen, am Zwang zur „institutionellen Sichtbarmachung“, die den Erfolg des Künstlers, also letztlich seine Freiheit bestimmt. Ein Zwang, der Tasso total nervt (Goethe liefert dafür tolle Formulierungen). In seiner Verzweiflung wiederum, aber auch, um sich im Geschäftlichen spektakulär zu behaupten und den Marktwert zu halten, greift unser Tasso von nebenan in den Galerien der August- oder Gipsstraße bemerkenswert opportunistisch ganz tief in die Kiste mit den Formulierungen aus dem griffig grotesken Kunst-Theorie-Blabla.

Das ist einigermaßen komisch. Doch Tasso verwandelt sich dabei vom Gegenpol des Establishments zu dessen Mitmacher. Somit verspielt sich zunehmend das Tragische, das hinter Goethes klassischem Teetisch-Disput um die zentrale Kunst- und Lebensfrage steckt: „Ist erlaubt, was gefällt?“ oder „Ist erlaubt, was sich ziemt?“ Aus der Redeschlacht des Klassikers wird eine ätzend zeitgeistige Feuilletondebatte. Die entlarvt amüsant deren schöngeistige Verkopftheit als Marketing-Trick. Und beweist: Der verrückte oder provokative Kreative ist wie dessen schlauer Vermarkter ein Teil des gleichen Systems. Dieser „Tasso. Das Reden über die Kunst“, so die Firmierung der kurzweiligen Veranstaltung im respektablen Off-Schuppen gegenüber dem Podewil, sie ist zwar eine Wiederaufnahme aus dem vergangenen Jahr, bleibt aber eine hoch aktuelle, hübsch giftige Hintergrund-Illustration des gespreizt intellektuellen Überbaus unseres allgegenwärtigen Kunstbetriebs. Ein heißer Tipp nicht nur für Freaks der einschlägigen Szene!

 

(10., 11., 12., 19. April, 20 Uhr. Klosterstraße 44/ am U-Bahnhof)

 

Peymanns Angstschweiß

 

Keiner will mit ihm reden, dabei bricht ihm der Angstschweiß aus, wie perspektivlos die Berliner Kulturpolitik agiere sonderlich der heillos überforderte Tim Renner, einst Pop-Manager, jetzt Kulturstaatssekretär. Diese „Fehlbesetzung des Jahrzehnts", so Peymann in einem offenen Wutbrief an den Regierenden und Kultursenator Michael Müller, diese Fehlbesetzung verspiele leichtfertig Berlins Nimbus als Theaterhauptstadt Europas – deshalb: Angstschweiß.

Aber auch deshalb, weil das Gerücht umgeht, dass der Nachfolger Frank Castorfs an der Volksbühne (ab 2017) der Engländer Chris Dercon von der Londoner Tate Modern sein könnte. Doch mit Peymann, der meint, es gäbe in der Stadt schon genug „vernetzten Blödsinn“, will ja darüber keiner reden. Was nicht gerade für Klugheit und Diplomatie der hiesigen Kulturpolitik spricht. Schließlich stimmt es: Berlin ist reichlich abgefüllt mit grenzüberschreitenden Projekten und Events, mit „amorphem, literatur- und schauspielfernem Performance-Ikebana“, wie mein Kollege in der Tageszeitung „Die Welt“ trefflich lästert.

Was mir jedoch allmählich wirklich Angst macht ist, dass die gegenwärtig angesagten Formen und Formate des Schauspiels nicht mehr genug Wirkungskraft entfalten, weshalb man dazu neigt, ihnen kein großes Schauspielhaus (wie die Volksbühne) mehr anzuvertrauen. Der Trend geht längst überall gegen das althergebrachte Ensemble- und Repertoiretheater, gegen das klassische Geschichtenerzählen auf der Bühne und hin zu Projekt-gebundenen, schnelllebigen Performance-Biotopen. Womöglich haben wir ja in nicht allzu ferner Zukunft nur noch diese. Was die gegenwärtig noch existierende Formenvielfalt der darstellenden Kunst arg einschränken und beträchtliche Teile des Publikums verprellen würde. Das wäre dann tatsächlich angstschweißtreibend.

 

Volksbühne/Lesetipp

 

Eine Regiehospitantin protokolliert Frank Castorf:

17. August 1992, Mitarbeiter-Vollversammlung. Frank Castorf: „Ick weeß ja och nich, wie’s hier weiterjeht. Ick kann ja nur hoffen, det sich allet zum Juten wendet. In der DDR haben wir ja Improvisieren jelernt. Ick würde euch bitten, nich so sehr auf die Presse, die Kritiken und andre Theater zu hören: Feinde jibts überall, die sich über Misserfolge freuen. Wichtig ist unsere innere Verfassung, det uns dit hier inner Volksbühne Spaß macht. Ick bitt euch, einfach mal een Jahr durchzuhalten. Man hat mir extra gesagt, ick soll hier Optimismus machen. Ick hoffe, det is mir jelungen.“ – Castorf danach in der Kantine: „Ick wunder mich ja manchmal, dass sie gerade mir den Posten jejeben haben. Ick weeß ja jar nich, ob Theater überhaupt Sinn macht. Etabliertes Theater is sowieso langweilig. Also ick rate, besonders den Jungen hier am Tisch rate ick ab, am Theater zu arbeiten.“

Probe „Rheinische Rebellen“, 9. Juni 1992.

 

Castorf: „Es muss sich aus dem freien Spiel, aus der freien Improvisation entwickeln. Wenn ihr’n Vorschlag habt, können wir och wat janz andres machen. Je mehr man denkt, desto langweilijer wird det. Ausprobieren! Wir müssen den Punkt der eigenen Schwerfälligkeit überwinden. Man darf det nich so jenau auskalkulieren, wir müssen det ausm Zufall entwickeln. Kraft aus Unordnung.. Mir fällt im Moment nüscht andret ein. Tut mir leid.“

Probe „Rheinische Rebellen“ 28. August 1992

 

Castorf wütend: „Da seh ick eine hilflose Schauspielerin auf der Bühne rumgehen!“

 

Castorf hinterher zur Hospitantin: „Weeste, warum ick so arbeite? Theater is eben Arbeit. Ick will keen Studententheater machen, wo alle lieb und nett sind zueinander, aber letztlich kommt dann nüscht bei raus. Du, ick war echt jereizt durch die Dickarschigkeit der jungen Schauspielerinnen. Da muss ick uff Härte machen. Det is aber völlig normal zu dem Zeitpunkt. Und der Schmerz, der ja für die Schauspielerinnen real ist, ist eben nötig, um jute Arbeit zu machen. Um eine Intensität, was Besonderet zu erreichen. Ick will aus den Leuten was Besonderet rausholen, um mich von anderen Theatern abzuheben. Und auf die Arbeitsweise reagiert eben jeder anders. Manche reagieren darauf aggressiv, messerscharf. Aber det weinerliche Getue jeht mir total uffn Geist. Und bei den jungen Schauspielerinnen nervt mich de Selbstgenügsamkeit, die Konzentrationslosigkeit. An der Volksbühne erwarten alle, dass ick der große Retter bin – aber selber verhalten sie sich wie Opfer und kriejn den Arsch nich hoch. Ick will mit wachen Leuten arbeiten. Diese psychologische Irritation ist nötig, damit die Schauspieler sich konzentrieren, sich nachher an den Schmerz erinnern und nich nachlässig werden. – Und irjendwo is det och Selbsthass. Wer det nich ertragen kann, ist eben falsch am Theater.“

Annika Krump, Studentin der Literaturwissenschaft (FU) und Gasthörerin im Studiengang Kulturmanagement an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“, kam Juni 1992 an die Volksbühne als Regiehospitantin. Zuvor hatte sie mit Kommilitonen eine Studienarbeit über „Image und Marketing“ für die Neugründung der Volksbühne vorgestellt, die der neuen Dramaturgie unter Matthias Lilienthal und auch bei Castorf, zu dessen Vertrauten sie alsbald gehörte, großen Eindruck machte. Krump führte damals, sie war Anfang 20, in der Aufbruchszeit handschriftlich Tagebuch, protokollierte Proben und schwang große Reden nicht nur in der Kantine. Man bescheinigte ihr eine „große Schnauze“, aber auch Verantwortungsbewusstsein, Durchblick und Chaosresistenz. Neben ihrer Volksbühnenarbeit verfolgte sie eigene künstlerische Pläne als Sängerin und Performerin. Die Kunstfigur „Palma Kunkel, die singende Tellermine“, war ihre Erfindung, mit der sie alsbald von der Volksbühne wieder weg und hinein ins Berliner Nachtleben zog. Ihr dokumentarisches Büchlein „Tagebuch einer Hospitantin. Berlin, Volksbühne 1992/93“ gibt aufschlussreiche Einblicke ins Backstage des frühen Castorf-Betriebs – schade, dass wir das erst jetzt, zwei Jahrzehnte später, lesen können. Doch man darf getrost annehmen: Es hat sich da bis heute grundsätzlich nicht viel geändert. (Alexander Verlag Berlin, 134 Seiten, 12,90 Euro)

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