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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 115

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

26. Januar 2015

Maxim Gorki Theater


„Was mich an der Geschichte interessiert, ist das Feuer, nicht die Asche. Ich wäre froh, wenn ‚Zement‘ begriffen würde als ein Beitrag gegen die politische Weltverschmutzung durch antisowjetische Propaganda.“ So schrieb Heiner Müller über sein Stück „Zement“ nach Motiven des gleichnamigen Romans von Fjodor Gladkow, handelnd vom himmlischen Pathos und der irdischen Not der Sowjetrevolution, erschienen 1926. Der Müllersche Satz richtete sich wohl vor allem an die Genossen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und ihre Zensur, um die Uraufführung von „Zement“ am 12. Oktober 1973 im Berliner Ensemble (Regie: Ruth Berghaus, Musik: Paul Dessau) nicht zu gefährden. Denn „Zement“ erzählt zwar unentwegt auch vom utopisch-revolutionären Leuchten (keine Sklaven, keine Herren), doch noch sehr viel mehr von dessen frühem Verlöschen durch den massenmörderischen Terror der Revolutionäre in Stalins Namen.

 

Müllers tatsächliches Interesse galt der Asche, die der Stalinismus bergeweise aufhäufte, kaum dem Feuer, das er anfachte (weshalb Manfred Wekwerth prompt das Stück mit deutlich entgegengesetzten Intentionen fürs DDR-Fernsehen verfilmte). Wobei Müller die schwarze Geschichte des roten Schlossers Gladkow vom grausig scheiternden Aufbau einer „neuen“ Gesellschaft unter den Sowjets archaisch-mythologisch überwölbt und gleich setzt mit dem Kampf des Prometheus oder Herakles mit der Hydra. Ein starker, universalgeschichtlich kontaminierter Blick auf die Tragik der Welt- und Weltverbesserungsgeschichte. Sebastian Baumgarten inszenierte ihn als quasi aus dem Orkus der Geschichte hervorgekramten und am Ende dorthin zurück beförderten tragikomischen History-Comic, eingefärbt mit der grellen, noch heute poppig wirkenden, raffiniert zeichenhaften Ästhetik des klassischen Avantgarde-Agitprop (Ausstattung: Hartmut Meyer, Jana Findeklee, Joki Tewes).

 

Ein spannendes, gerade bezüglich grauenvoller Aktualitäten gespenstig wirkendes Denk- und Lehrstück. Der Abgesang auf eine Epoche machende Hoffnung, die Beschwörung ihrer Toten, die – ob Täter oder Opfer oder ob beides zugleich – uns bis heute um den Schlaf bringen. Ein furioser Kraftakt, vehement theatralisch, auch durch das stark spielerische, dabei hoch konzentrierte Ensemble. Großes, komplexes, also überhaupt nicht plakatives politisch-philosophisches Theater über die Tragödie des Menschen aus rot glühender Weltverbesserungssehnsucht und blutgetränkter Vergeblichkeit.

Theaterdiscounter

Und gleich noch mal das Thema Weltverbesserung im Theater; freilich märchenhaft verpackt und geheimnisvoll zauberisch umwoben – von einer Art also, die uns mit ihrem seltsamen Lächeln und paradiesischen Träumereien heutzutage ziemlich altfränkisch und auch naiv vorkommen mag. Die deutsche Dichterin über den Autor, ihren französischen Kollegen Jean Giraudoux: „Auch die ernstesten Dinge führt er uns mit leichter Stimmgabe nahe: hohe Koloratur in den tiefsten, ja untröstlichen Lagen.“

 

Die Rede ist also von Jean Hyppolyte Giraudoux (1882 in Bellac – 1944 in Paris), der an einer französischen Eliteschule deutsche Literatur studierte und als Bester abschloss, der erst Hauslehrer der Herzöge von Sachsen-Meiningen und dann Lektor in Harvard wurde, der ein Meister im 200-Meter-Lauf war, als Berufsdiplomat in Staatsdienste kam und als umtriebiges Gesellschaftstier in den höchsten (auch literarisch höchsten) Kreisen seiner Zeit verkehrte und obendrein als fleißiger und einflussreicher Dramatiker und Poet weithin bewundert wurde.

 

In der Nachkriegszeit wurde der als „Apoll von Bellac“ Bewunderte noch viel gespielt, heutzutage freilich kaum noch – seine Bilderwelten gelten als zu blauäugig, ertüftelt und nicht mehr recht zeitgemäß. Umso erstaunlicher ist, dass sich jetzt der so rührige und gern für Überraschungen sorgende Theaterdiscounter Giraudoux‘ Zweiakter „Die Irre von Chaillot“ vornahm, der erst zwei Jahre nach dem Tod des Autors in Paris herauskam und in Deutschland erstmals 1948 in den Münchner Kammerspielen gespielt wurde.

 

Wir haben es also mit einer Rarität zu tun, und – um es gleich zu sagen: Es lohnt sich, dem kleinen feinen Ensemble des Discounters (sesshaft gegenüber dem Podewil in der Klosterstraße) die Aufwartung zu machen. Nicht nur, weil es um eine auch heutzutage relevante Angelegenheit geht: nämlich dem Spekulantentum mit Wohnhäusern.

 

Da will eine mit allen Wassern gewaschene Clique von Börsianern für ein Betrugsmanöver im Pariser Vorstadtviertel nach Erdöl bohren und denkt daran, es gleich ganz in die Luft zu sprengen. Doch eine Irre (die von Chaillot), bei Giraudoux eine graue Gräfin, durchschaut das Ansinnen und lockt die böse Bande erst in die Keller ihres Hauses und dann in die Pariser Kloake, um sie dort, im stinkenden Untergrund, grausam zu entsorgen. Ihr Schlachtruf: „Wir oder ihr!“ Das klingt weniger poetisch als brutal. Und nicht zuletzt passt es auch an die Spree, wo Regisseur Cornelius Schwalm die Widerstandsaktion vehement ins Groteske treibt, dabei die märchigen Arabesken rigoros zurück schneidet und die ganze große Tollheit zeitgenössisch tönt mit diversen Erfahrungen vom Berliner Immobilienschacher. So verrückt die Sache klingt und ist, so simpel plakativ kommt sie allerdings nicht rüber. Denn Schwalm verwischt die Fronten zwischen den guten wehrhaften Menschen von Chaillot (eine bunte Truppe pittoresker Figuren) sowie den so geldgierigen Sprengmeistern. Das Böse grassiert mithin auf beiden Seiten, der Vernichtungswahn hat sie alle gepackt, der Irrsinn tobt allgemein und überall. Eine schlimme Farce das Ganze, mit Lust und Aberwitz sowie akrobatisch-musikalischem Körpereinsatz vorgeführt. Und siehe da, Giraudoux‘ vermeintlich ältliche Gesellschaftskomödie entpuppt sich als ein aashaft sarkastischer Scherz voll gellendem Hintersinn und menschlich-unmenschlicher Abgründigkeit (mit einem scharfen Stich ins Faschistoide). Eine so verstörende wie gegenwärtige Sache, sehr komisch, sehr amüsant – und auch wieder überhaupt nicht.

 

(Wieder vom 28. bis zum 30. Januar und vom 6. bis zum 8. März, jeweils um 20 Uhr.)

Theater im Palais

„Er glaubt an den gesunden Menschenverstand wie an ein Wunder, und so wäre alles gut und schön, wenn er an Wunder glaubte, doch eben das verbietet ihm der gesunde Menschenverstand. Es steckt jeder in seiner eigenen Zwickmühle“, sagte Erich Kästner über Erich Kästner, diesen so überaus fleißigen und vielseitigen Feuilletonisten, Dramatiker, (Kinder-)Bücher-, Sketche- und Gedichte-Schreiber, der mit massig Humor, Menschenliebe und Lebensweisheit unermüdlich gegen die Trägheit der Herzen und die Unbelehrbarkeit der Köpfe ritt. Würde man versuchen, so Kästner, sein Schreiben sinnbildlich zu fassen, käme ein Strauß heraus der aussähe „wie ein Gebinde aus Gänseblümchen, Orchideen, sauren Gurken, Schwertlilien, Makkaroni, Schnürsenkeln und Bleistiften“.

 

Einem solch bizarren Gebilde gleicht tatsächlich der feine Erich-Kästner-Abend „Das Glück ist keine Dauerwurst“ mit Gabriele Streichhahn und Carl-Martin Spengler im Theater im Palais (Leitung: Barbara Abend). Er ist voller Witz und Lebensklugheit, macht auf ganz unaufdringliche Art nachdenklich, aber letztlich auch glücklich und herzensfroh – so, wie großartige Musik (zum Beispiel von Mozart) es gleichfalls vermag. Kästner erscheint frisch und erfrischend, seine Texte wirken wie soeben geschrieben für den heutigen Tag, auch wenn sie nun schon gut acht Jahrzehnte alt sind. Besonders gegenwärtig auch seine Berliner Beobachtungen (der gebürtige Dresdner wohnte ja zwischen 1927 bis 1945 in Wilmersdorf nahe Kudamm). Da nimmt er den Großstadtbetrieb aufs Korn, lästert über Starfriseure, Prominenten-Kochshows, gastronomische Edelbetriebe oder avanciertes Theater, das keiner versteht, aber jeder beklatscht. Alles wie heutzutage. Man sollte seiner Seele Balsam geben, seinen Kopf durchlüften und sein Herz aufpolieren und zu Kästner gehen. Herrlich! Auch durch die brillanten Zwischenspiele von Ute Falkenau am Pianoforte mit Schostakowitschs mal ungestüm, mal melancholisch kreisendem „Karussell der Tänze“.

 

Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt,

 

behaart und mit böser Visage.

 

Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt,

 

und die Welt asphaltiert und aufgestockt,

 

bis zur dreißigsten Etage.

 

Da saßen sie nun, den Flöhen entflohn,

 

in zentralgeheizten Räumen.

 

Da sitzen sie nun am Telefon.

 

Und es herrscht noch genau derselbe Ton

 

wie seinerzeit auf den Bäumen…

 

Erich Kästner. Wieder am 29. Januar.

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