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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 108

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

8. Dezember 2014

Sophiensaele


Dostojewskis Riesenroman „Die Brüder Karamasow“ ist ein Wälzer von 1250 Seiten. Das Skript für Thorsten Lensings Theateradaption (Mitarbeit: Dirk Pilz) hat gerade mal hundert Seiten. Da tritt dann von den drei weltberühmten Brüdern nur noch einer auf, Aljoscha, der jüngste. Und auch sonst sind zentrale Figuren und Szenen gestrichen zugunsten einer Folge von vielen kleinen, dabei durchaus dramatischen Begebenheiten aus dem Alltagsleben der Menschen im alten Russland. Und die rücken uns in ihrer Komik, ihrem Sarkasmus, ihrer Traurigkeit und Wut oder verzweifelter Liebes- und Glückssehnsucht doch sehr ans Herz, freilich ohne vordergründig auf die Tränendrüsen zu drücken. Was wiederum viel zu tun hat mit dem schnörkellos direkten, hoch konzentrierten, stark aufs Körperliche orientierten Spiel des grandiosen Ensembles.

 

 

Thorsten Lensing ist ein Erfolgsregisseur, der vergleichsweise wenig inszeniert, dafür aber packend in seinem präzise durchdachten Minimalismus. Wofür er jeweils – das muss ihm erst mal einer nachmachen! – eine erlesene Schauspielerschar engagiert. Diesmal: Sebastian Blomberg, André Jung, Ursina Lardi, Devid Striesow, Ernst Stötzner, Horst Mendoch und Rik van Uffelen.

 

Die weitverzweigte, eigentlich unaufführbare Familiensaga also quasi ohne Familie und ohne den Thrill der erregenden Sex-and-Crime-Geschichten unter neuem Kurz-Titel „Karamasow“. Doch der Reigen des ausgesucht Anekdotischen mit seiner Fülle von fein angespielten Subtexten ist durchsetzt mit einigen klug extrahierten Monologen über der Menschen erste und letzte Fragen, über Gott und Teufel, über Angst, Hingabe, Glaube und Verweigerung sowie über den Sinn unseres Daseins überhaupt. „Die Hölle ist das Leiden daran, dass man nicht lieben kann...“ Diese grandiosen Monologe stehen sozusagen als Kommentare zu den berührenden Alltags-Anekdoten. Das ist nun nicht Dostojewski-light, das ist, auch mit bloß hundert Seiten Script, ganz Dostojewski; erzählt auf sehr eigene, besonders pointierte Art. Und doch ist diese eigenwillige Dostojewski-Verkürzung (von Vernichtung keine Spur!!) eine grandiose Entschleunigung. Ein inspirierender Einhalt in unserer Alltagsraserei – für immerhin knapp vier Stunden. Man sollte sich darauf einlassen; auf diese Besinnung, diesen Text, dieses Spiel. Nichts passt besser zum Advent! (wieder am 13., 14., 15. Dezember, jeweils 19.30 Uhr)

Schaubühne

Münchner Oktoberfest anno 1929. Auf der Wiesn tobt die Party, in der Wirtschaft die Krise. Und auch Kasimir, den Chauffeur, hat's erwischt: „Abgebaut!“; also arbeitslos; was das Leben nicht schöner, die Menschen nicht besser macht. „Fräulein, die Menschen sind weder gut noch böse. Allerdings werden sie durch unser heutiges wirtschaftliches System gezwungen, egoistischer zu sein, als sie es eigentlich wären“, klugscheißert parteibuchmäßig der oberschlaue Bursche Eugen (David Ruland), der Karoline (Jenny König) anbaggert, die wiederum Krach hat mit ihrem Liebsten, dem just „abgebauten“ Kasimir (Moritz Gottwald), und die obendrein eifersüchtelnd bedrängt wird vom prolligen Jung-Kriminellen-Duo Franz & Erna (Sebastian Schwarz, Iris Becher). Soviel zum Personal von „Kasimir und Karoline“.

 

Ödön von Horváths schwer melancholische, mit Sarkasmus, Bitterkeit, Süße und allerhand Verzweiflung aber auch fein versteckter Hoffnung durchsetzte Oktoberfest-Lovestory setzt Regisseur Jan Philipp Gloger auf ein nacktes, schwarzes Podest vor eine leere schwarze Wand. Rabenschwarzer Pessimismus ist angesagt für die 117 Kurzszenen des wortstark lakonischen Stücks, von denen Gloger gut die Hälfte wegließ. Spot an, Spot aus, Spot an, Spot aus und dazwischen ein Konzentrat großartiger Schauspielkunst. Zum besseren Verständnis werden die nötigsten Szenenanweisungen Horváths wie Übertitelungen an die Wand geworfen. Formal bestechend und ziemlich cool dieser kalt-schwarz gerahmte Szenendurchlauf mit den pointiert und saftig aufgemischten Schwarz-Weiß-Bildern einer Jugendclique, die krampfhaft versucht, trotz ihrer tapfer weggesteckten sozialen Nöte auf der Achterbahn der Triebe und wankenden Gefühle ihren Spaß zu haben. Dabei wirken sie alle wie frisch aus dem aktuellen Berliner Clubleben importiert. Horváth (1901-1938) als Zeitgenosse: Die lebenstolle Jugend mit ihren Hormonexplosionen, der Kapitalismus mit seinen existenzvernichtenden Exzessen – alles wie heutzutage.

 

Doch spätestens nach einer halben Stunde schon hat man alles kapiert. Da beginnt denn das Panoptikum der Verdrucksten und Verträumten, der Egomanen und Verlierer mit ihren letztlich immer gleichen Verrenkungen im andauernden Licht-An-Aus arg zu langweilen. Da wirkt das zunächst faszinierende Verknappen nur noch als Korsett, das die theatralische Luft abschnürt. Als dann am Ende noch so überraschend wie unpassend platt karikiert wird (Robert Beyer und Ulrich Hoppe als die beiden älteren öligen Herren des Establishments, die sich an der Jugend übel handgreiflich aufgeilen), bei dieser Blödelei fällt der Abend nicht nur aus seiner Form, sondern ins Peinliche. Und überhaupt: So schwarz wie Jan Philipp Gloger das 1932 veröffentlichte Stück malt, so unerbittlich auf Untergang zielt der Autor nun gerade nicht. Sein Motto „Die Liebe höret nimmer auf“ zwinkert zwar ironisch mit den Augen, dahinter aber lauert die nicht tot zu kriegende Menschenhoffung auf ein kleines oder wenigstens ein winziges Stückchen Glück. So hat denn die stur auf Nichts-geht-mehr gebürstete Regie bei all ihren bemerkenswerten Finessen und prima Spielern (Jenny König!) den Autor klein gemacht. Das hat der große Mann nicht verdient. Wir auch nicht. (wieder am 19., 20., 21. Dezember)

Tipp für Fans - Kaminski-Kult in den DT-Kammerspielen

Das Format gibt es seit 2004. Stefan Kaminski, damals fest engagiert am Deutschen Theater, erfand es einst für sich aus Lust und Laune als „Live-Hör-Spiel“. Und präsentierte es dem damals neuen DT-Studio Box unter dem griffigen Etikett „Kaminski on Air“. Und seither ist es Kult und wanderte alsbald von der Box in die Kammerspiele.

 

„Live-Hör-Spiel“ meint: Die Produktion ist das Schauspiel. Und Kaminski, nicht nur ein virtuoser Spieler, ist auch ein Meister des so genannten „Stimmenmorphing“. Man agiert im Sitzen, bei sich die Geräuschemach-Gerätschaften. Das schaut aus, als wurde ein Sperrmüllcontainer ausgekippt. Dazu ein Dschungel aus Ton- und Lichttechnik. Und neben Kaminski ein paar Musiker an teils exotischen Instrumenten. Und dann imaginiert dieser genialisch angehauchte Kindskopf mit akrobatischer Flinkheit im Hand-, Bein- und Stimmbetrieb alle nur denkbaren Welten und Figuren. Da überwältigt sein Sinn für Komik, Tragik, Trash. Jetzt mal wieder in den Kammerspielen eine seiner verrückten Fantastereien, die alle DT-Intendantenwechsel überlebten: „Es kam von oben“ heißt lapidar sein nostalgisches Science-Fiction-Hörspiel, basierend auf einem Mix entsprechender Stoffe aus den 1950er Jahren, gespickt mit delikaten Verweisen auf diverse populäre Phänomene der Kulturgeschichte. Es ist eine krimihafte Story, durch die auch ein Liebesgeschichtchen hüpft und ein Raumschiff düst. Eine politisch anspielungsreiche, düster poetische 80-Minuten-Show funkelnd vor hellem Witz, Sarkasmus, Sentiment. Ein exzentrischer, so faszinierender wie feinsinniger Jux! Wieder am 12. Dezember, 20 Uhr.

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