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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk-Bühnenkritik Nr. 533

3. November 2025

HEUTE: 1. Komische Oper – „Konrad aus der Konservenbüchse” / 2. Deutsches Theater – „Die drei Leben der Hannah Ahrendt“ / 3. Theater im Palais – „Nur nicht zu den Löwen“

1. Komische Oper - Der famose Junge aus der Dose

"Konrad oder Das Kind aus der Konservenbüchse" in der Komischen Oper © Monika Rittershaus

Es klingelt an der Wohnungstür. Ihre Sendung ist angekommen. Berti Bartolotti wundert sich. Hat sie was bestellt und dann vielleicht vergessen? Wunderlich wäre das nicht in ihrem kunterbunten Haushalt. Also nimmt sie die Lieferung der Firma Himmelblau an, eine große Dose. Und findet darin ein quicklebendiges Kind. Konrad, einen echten Musterknaben.

Um Erziehung, Erwachsenwerden, um Vorurteile und Zusammenleben geht es in der jüngsten Produktion für Kinder der Komischen Oper. Wie in den letzten Jahren fiel die Wahl auf einen Klassiker. „Konrad oder Das Kind aus der Konservenbüchse“ entstand nach dem Buch der Österreicherin Christine Nöstlinger. Erneut haben Anne X. Weber und Susanne Lütje (mehr dazu in der Bühnenkritik Nr. 501 vom 9. Dezember 2024) eine flotte Fassung fürs Musiktheater geliefert, in der die Geschichte aus dem Jahr 1975 behutsam ins Heute transportiert wird, in Töne gesetzt vom australischen Komponisten Samuel Penderbayne. Diese Uraufführung hat Qualitäten zum Hit. Weil alle Beteiligten, ob jung oder alt, sich in der gewitzten Inszenierung von Ruth Brauer-Kvam und unter Anne Hinrichsens souveräner musikalischer Leitung in Top-Form präsentieren.

Andreja Schneider, bekannt von den Geschwistern Pfister, spielt – nomen est omen - die unkonventionelle Schneiderin Berti, die unverhofft zum Kind kommt und sich erst mal so gar nicht in ihrer neuen Rolle als Mutter zurechtfindet. Auch Herr Egon, ihr „Zweimal-die-Woche-Freund“, urkomisch von Philipp Meierhöfer verkörpert, muss sich an den siebenjährigen Jungen gewöhnen. Bis der akkurate Apotheker erfreut registriert, dass Konrad exakt das verkörpert, was er sich unter einem wohlerzogenen Kind vorstellt. Höflich, diszipliniert, widerspruchslos. Und gerade deshalb eckt der Junge in der Schule an. Streber. Petze. Gut, dass er in Nachbarstochter Kitti eine resolute Freundin findet.


Anarchie muss man erst lernen


Die Musik wechselt leicht und gekonnt zwischen Atonalem und Swing, zwischen Musical und Klassik, ebenso variantenreich ist Alfred Peters Bühne zwischen Fabrik, Wohnung, Schule und Apotheke. Dass die renitente Schulklasse wie die nervigen Eltern voll aus dem Leben gegriffen erscheinen, ist nicht nur dem grandiosen Einsatz des Kinderchors (Dagmar Barbara Fiebach) und dem erwachsenen Chor ((Jean-Christophe Charron) zu verdanken, sondern auch der geschickten Einkleidung aller Beteiligten durch Alfred Mayerhofer.

Hinter Konrad steckt die Koloratursopranistin Mengqi Zhang, die immer wieder zu vokalen Höhenflügen ansetzt, ebenso wie Elisa Maayeshi, die in der gleichen Stimmlage die Freundin Kitti rüberbringt. Andreja Schneider, die hörbar eine andere Ausbildung genossen hat, kämpft sich mit mächtig Spielwitz durch musikalische Notlagen.

In Not geraten auch Konrad, Berti, Herr Egon und Kitti. Nachdem sie sich alle gegenseitig in Herz geschlossen haben, verlangt die Firma Himmelblau die Fehllieferung zurück. Doch niemand will das ungewollte Kind wieder hergeben. Zur Tarnung soll aus dem Wohlerzogenen ein Anarcho werden. So gibt es viel zu lachen, bis es zum Happy End kommt. Für Konrad, seine neuen Eltern, die Mitschüler. Und vor allem für die Komische Oper.

Komische Oper im Schiller-Theater, noch wenige Karten für den 21. Dezember.

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2. Deutsches Theater - Ohne Freiheit ist alles nichts

"Die drei Leben der Hannah Ahrendt" im Deutschen Theater © Jasmin Schuller

Darf man das? Darf man das Leben und Denken einer vielschichtigen Persönlichkeit wie Hannah Arendt auf Sprechblasen, auf schnell gezeichnete Bilder beschränken? Man darf. Zumal die Graphic Novel „Die drei Leben der Hannah Arendt“, mit der Ken Krimstein, der amerikanische Comic-Künstler, 2018 einen Bestseller landete, alles andere als Reduktion ist. Sondern eine Skizze, die liebevoll und bewundernswert eine Ausnahmedenkerin des 20. Jahrhunderts ehrt.

Im Dezember jährt sich zum 50. Mal der Todestag der deutsch-jüdischen Philosophin, die den Begriff Philosophin für sich ablehnte. Grundsätzlich ließ Hannah Arendt sich nicht vereinnahmen. Von der Frauenbewegung ebenso wenig wie vom Zionismus, obwohl sie als Frau im akademischen Zirkus sich alleine durchschlagen musste, obwohl sie im Einsatz für die zionistische Bewegung jüdische Menschen rettete.

In der Kammer des Deutschen Theaters entwickelten die junge Regisseurin Theresa Thomasberger, Dramaturg Bernd Isele und fünf Schauspielerinnen gemeinsam eine Bühnenfassung der Graphic Novel. Ein Wagnis, das sich gelohnt hat. Der rund zweistündige Abend ohne Pause baut allerdings nicht allein auf Krimsteins Buch. Sondern auch auf das berühmte Fernsehinterview, dass Hannah Arendt 1964 dem ZDF-Journalisten Günter Gaus gab.


Shitstorm wegen Banalität des Bösen


Kurz zuvor war ihr Bericht „Eichmann in Jerusalem“ erschienen. Ihre heute noch allgegenwärtige Formulierung der Banalität des Bösen, die sie als Beobachterin im Prozess gegen den Nazi-Verbrecher anwandte, brachte ihr damals gerade von jüdischer Seite harsche Kritik ein. Heute würde man das als Shitstorm bezeichnen. Nur gab es damals noch kein Internet. Dafür ist das Interview mit Gaus heute online abrufbar, mehr als eine Millionen Mal wurde es geklickt.

Man glaubt im Theater anfangs, dem originalen Gespräch beizuwohnen, jede Nuance der Argumentation, jede Bewegung, sogar die Girlanden aus blauem Dunst, den die Kettenraucherin ausstößt, gelingt Abak Safaei-Rad. Der Clou: Ihr Gesprächspartner ist mit einem Kinderdarsteller (Theo Steinbeck / Jakob Stöve) besetzt, um die Naivität des jungen Gaus zu unterstreichen. Erinnert der rechte Bühnenrand ans Fernsehstudio, so werden in Mirjam Schaals halbrunder Spielfläche die Biografie und Gedankenwelt ausgebreitet. Neben Safaei-Rad spielen Mareike Beykirch, Julischka Eichel, Svenja Liesau und Daria von Loewenich die Denkerin mit unterschiedlichen Charakterzügen und prominente Zeitgenossen wie Martin Heidegger oder Walter Benjamin gleich mit.

Der Lebenslauf allein wäre abendfüllend. Kindheit in Königsberg, früher Verlust des Vaters, Studium in Marburg bei Heidegger allein unter Männern, die Berliner Jahre, Gestapohaft, Exil in Frankreich, Internierung, Flucht vor den deutschen Besatzern nach New York, das liest sich wie ein Abenteuer, bekommt aber auf der Bühne manchmal Züge von Karikatur. Eins zu eins lässt sich Krimsteins Bilderbogen eben nicht übertragen.

Richtig stark ist der Abend, wenn Texte auch visuell verständlich werden, wie Benjamins „Passagen“, aber vor allem aber Arendts politisches Hauptwerk. Ausführungen aus „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ von 1951 erscheinen im Zeitalter brüchiger Demokratien erschreckend aktuell. Freiheit im Denken, das war für Hannah Arendt das höchste Gut.

Deutsches Theater, Kammer; Termine bis zum 27. November. Hier geht’s zu den Karten.


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3. Theater im Palais - Wie eine Schnecke ohne Haus

"Nur nicht zu den Löwen" im Theater im Palais © Ildiko Bognar

Erzählt man Menschen aus Tel Aviv von der Gentrifizierung in Berlin, erntet man allenfalls ein müdes Lächeln. In Israels Metropole müssen ganze Stadtviertel waghalsigen Investitionsplänen weichen. Und damit auch die Bewohner. Wie Rivi Greenfeld, die aus dem Fenster auf die wartenden Bulldozer schaut. Gut zwei Stunden bleiben ihr, dann muss sie raus. Die 79-Jährige ist die letzte Mieterin im Haus, hat um ihre Wohnung, in der sie aufwuchs mit den inzwischen verstorbenen Eltern, gekämpft wie eine Löwin. Und fühlt sich nun wie eine Schnecke ohne Haus.

„Nur nicht zu den Löwen“ heißt der Roman, den die israelische Autorin Lizzie Doron, die auch einen Wohnsitz in Berlin hat, vor zwei Jahren veröffentlichte. Die Schauspielerin Daphna Rosenthal, die als Kind aus Israel nach Deutschland kam, hatte die Idee, diese Geschichte auf die Bühne zu bringen. Nun feierte das Ein-Personen-Stück Uraufführung im Theater im Palais. Ildiko Bognar, eigentlich am Festungsgraben für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig, hat die Theaterfassung erarbeitet und Regie geführt. Ein etwas anderer Abend im Palais, wo man sonst musikalisches Salontheater gewohnt ist.

Rivi, Zeitungslektorin in Rente, soll vertrieben werden aus ihrer Welt, in der sie gleichzeitig auch gefangen ist. Eine Schatztruhe der Vergangenheit ist die nicht gerade komfortable Wohnung, in der noch ein Stück der alten Welt lebt, aus der die Eltern dem Holocaust entkamen. Rivi wuchs mit Reisele auf, ihrer Schwester, der sie nie begegnete. Denn Reisele wurde ermordet, zusammen mit der ersten Frau des Vaters, der Rivi immer wieder, bewusst oder unbewusst, mit dem Namen der Schwester anredet. Ansonsten ist Rivis Kindheit vom Schweigen belastet. Und von der Zerstrittenheit von Vater und Mutter. Das Einzige, worin die Eltern sich einig waren, das seien die Nazis gewesen.


Geborgen und gefangen in der alten Welt


Lizzie Doron, 1953 in Tel Aviv geboren, gehört ebenfalls zur zweiten Generation der Überlebenden. Die Mittel des Erzählens im Roman, etwa in Mails und Chats, die auch mal nicht gesendet werden, stehen Daphna Rosenthal nicht zur Verfügung. Die Schauspielerin erzählt in Selbstgesprächen, aber oft direkt ins Publikum. Von „meschuggenen“, sprich traumatisierten Nachbarn. Von gescheiterten Beziehungen, wie mit dem verheirateten Chefredakteur, der auch sie betrügt, sogar in ihrer Wohnung.

Was macht ein gutes Leben aus? Diese Frage stellt sich Rivi ständig, denn ihr Schicksal kann im Vergleich zu dem ihrer Eltern doch nicht so schlecht gewesen sein. Das Leben ist noch nicht zu Ende, auch wenn der Bauleiter schon an der Tür klingelt. Ob Rivi öffnet? Wir wissen es nicht.

Ein anrührender Abend mit leiser Ironie. Ein schöner Erfolg, der dem Theater, wie bei der Premiere zu sehen, auch neues Publikum beschert.

Theater im Palais, wieder am 8. November. Hier geht’s zu den Karten.

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