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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 452

Kulturvolk Blog | Uwe Sauerwein

von Uwe Sauerwein

9. Oktober 2023

HEUTE: 1. DEUTSCHES OPER – „IL TRITTICO“ / 2. STAATSOPER – „AIDA“ / 3. KABARETT  DISTEL – MORGEN LACHEN WIR DRÜBER!

1. Deutsche Oper - Aus der Hölle ins Paradies

"Il Trittico" in der Deutschen Oper Berlin - Szene aus "Gianni Schicchi" © Eike Walkenhorst

Ein echtes Spektakel zum Saisonauftakt, so gehört sich das. Mit der ersten Premiere offeriert die Deutsche Oper Berlin an einem Abend sämtliche Gefühlswelten, die wir in der gesamten Spielzeit erwarten dürfen. „Il trittico“ („Das Triptychon“) vereint eine tragische, eine lyrische und eine grotesk-komische Kurzoper zu einem Zyklus. Giacomo Puccini zeigt in dem 1918 uraufgeführten Dreiteiler nichts weniger als das, was das italienische Musiktheater seinerzeit zu leisten vermochte. Dank berühmter Arien wird Puccini gern auf Belcanto reduziert. Anders in „Il trittico“: „O mio babbino caro“ aus „Gianni Schicchi“, dem letzten Einakter der Trilogie, von der armenischen Sopranistin Mané Galoyan hinreißend dargebracht, ist der einzige wirkliche Ohrwurm. Trotzdem, oder gerade deswegen gerät der dreieinhalbstündige Abend musikalisch zur Offenbarung.

Nicht immer werden diese drei Einakter im Dreierpack gespielt. Sie sind ja auch von Ort, Zeit, Thema und Stimmung her sehr verschieden. „Il Tabarro“ (Der Mantel) ist eine düstere Dreiecksgeschichte auf einem Lastkahn auf der Pariser Seine, die in einem brutalen Mord aus Eifersucht endet. In „Suor Angelica“ betrauern wir das Los einer verzweifelten Nonne in einem Kloster, die ihr Kind zurücklassen musste. Und in besagtem umwerfend komischen „Gianni Schicchi“ geht es nach bester Commedia-dell-arte-Manier um betrogene Betrüger in einem Erbschaftsstreit.


Die drei Kurzopern gehören zusammen


Pinar Karabulut
, die junge Regisseurin, stellt geschickt Verbindungen zwischen den drei Opern her, dazu passt die Besetzung. Misha Kiria überzeugt erst als eifersüchtiger Schiffer wie später als lustiger und listiger Intrigant Gianni Schicchi. Bevor Mané Galoyan sich als dessen Tochter in Ränkespiele tolldreist verstrickt, rührt sie als Schwester Angelika, die Erlösung im Freitod sucht. Eindrucksvoll an ihrer Seite Violeta Urmana, als gewissenlose fürstliche Tante. Die großartige Annika Schlicht erfüllt gleich in allen drei Kurzopern jeweils eine Rolle mit Leben. Jonathan Tetelman, eigentlich als Star des Abends erwartet, gerät darüber fast ein wenig in Vergessenheit, weil er seinen Ausnahmetenor ausschließlich im ersten Teil, als Liebhaber Luigi im Eifersuchtsdrama einbringen darf.

Die Abfolge orientiert sich an Dantes „Göttlicher Komödie“: Auf das Inferno folgt das Fegefeuer und schließlich das Paradies. In Karabuluts Debüt für die große Opernbühne ist allerdings sogar die Hölle quietschbunt. Mit demselben Team, Michela Flück (Bühne) und Teresa Vergho (Kostüme) hat sie vor zwei Jahren Mark-Anthony Turnages „Greek“ auf dem Parkdeck der Deutschen Oper zum Erfolg verholfen, mit einer comic-haften Interpretation. (mehr dazu im Blog vom 30. August 2021). Schrille Überzeichnung prägt nun auch optisch den Puccini-Abend. Ein schroffer Gegensatz zur feinen Feder, mit der John Fiore, der kurzfristig für den erkrankten Generalmusikdirektor Sir Donald Runnicles einsprang, das Orchester und auch den vor allem in der religiös aufgeladenen Klosteratmosphäre vorzüglichen Chor unter Jeremy Bines zu einer eindringlichen Leistung motiviert.

Erst zum schrillen dritten Teil finden Musik und Szenerie dann wirklich zusammen. Selten erlebt man Opernsängerinnen und Sänger so komisch, selten wird im Opernhaus so laut gelacht. Und dabei fast übersehen, dass das Regieteam namhafte Kollegen, am deutlichsten die grotesken Arbeiten von Herbert Fritsch an der Volksbühne, zitiert, wenn nicht abkupfert.

Deutsche Oper Berlin, 13. und 17. Oktober; 9. und 14. Dezember. Hier geht’s zu den Karten.


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2. Staatsoper - Zwischen Liebe und Lieferkette

"Aida" in der Staatsoper Unter den Linden © Herwig Prammer

Apropos zitieren: Bei „Aida“ an der Staatsoper kam mir in der Pause der berühmte Kritiker Alfred Kerr in den Sinn. „Als ich aus dem Theater trat, regnete es, auch das noch.“ So ging es mir, weil ich einfach frische Luft brauchte. Denn so einen Triumphmarsch, wie von Calixto Bieto am Ende des 2. Akts inszeniert, den muss man erst mal verdauen.

Der als Provokateur bekannte Katalane schichtet mehrere Zeitebenen übereinander. Hinter modernen Absperrgittern stehen die Ägypter, die ihrer siegreichen Armee zujubeln, in Kostümen aus der Entstehungszeit der Oper. Dazu gesellen sich Hausfrauen von heute in Kittelschürzen, mit riesigen karierten Einkaufstaschen. Und direkt am Rande des Orchestergrabens müssen Kinder den Computer-Elektroschrott unserer Wegwerfgesellschaft zusammenbauen, bevor sie bewaffnet und als Kindersoldaten missbraucht werden.

Nun rechnet heute niemand mehr ernsthaft mit Pyramiden bei „Aida“. Giuseppe Verdis Vierakter, für dessen Uraufführung 1871 in Kairo man eigens ein neues Theater errichtete, wurde immer wieder politisch vereinnahmt. Auch deshalb zählt „Aida“ zu den Lieblingsobjekten des modernen Regietheaters, wenn es ums Entrümpeln von Opernklassikern geht. Bietos Bühnenbildnerin Rebecca Ringst hat einen klinisch-weißen, mitunter schmerzhaft hell ausgeleuchteten, wandelbaren Kasten gebaut, wohl der größte Gegensatz zu dem, was man mit dem Land der Pharaonen assoziiert.


Postkolonialismus, Militarismus, Globalismus


Ehe der erste Ton erklingt, werfen Demonstranten imaginäre Steine Richtung Publikum. Wir sind wohl die Bösen, die mit dem Genuss dieser Auftragsoper das imperialistische Spiel mitmachen. Bald kommen die entsprechenden Videos hinzu, Aufnahmen von Kampffliegern und Panzern, von Großwildjägern auf Safari bis hin zu Supermärkten und modernen Containerschiffen mit Schlagseite. Der globale Kapitalismus, so lernen wir per Holzhammermethode, hat ihren Ursprung im Imperialismus der Uraufführungszeit, so gründen sich die heutigen Lieferketten immer noch auf Sklavenarbeit und sonstige Ausbeutung.

Augen zu und durch, denkt man sich in Anbetracht dieses Thesentheaters, denn zumindest Verdis Musik scheint unkaputtbar. Sogar dann, wenn die Staatskapelle Berlin die ausnahmslos wunderbaren Stimmen auf der Bühne allzu phonstark begleitet. Gerade in den Massenszenen muss Dirigent Nicola Luisotti, international geschätzter Verdi-Experte, heftig rudern, um Solisten und Solistinnen und den vom neuen Leiter Daniel Juris geführten Chor mit dem Orchester unter einen Hut zu bringen.

Abseits der Massenszenen ist Verdis Oper ein Kammerspiel. Liebe in Zeiten des Krieges. Die äthiopische Sklavin Aida hin und her gerissen zwischen Liebe und Patriotismus ebenso wie Radamés, der die Gefangene liebt, aber trotzdem gegen ihr Volk in den Krieg zieht, aus dem er siegreich, aber traumatisiert zurückkehrt. In intimen Momenten zeigt die Inszenierung eine gewisse Kraft, auch wenn man schlucken muss, wenn ein ständig mit der Pistole herumfuchtelnder Radamés mitten im Liebesduett mit Aida lässig Kriegsgefangene erschießt. Der Tenor Yusif Eyvasof gibt sich auch stimmlich recht martialisch, Marina Rebeka erscheint in ihrem Rollendebüt demgegenüber als softe, aber berückende Aida, mit hauchzarten Koloraturen in höchsten Tönen.

Den nachhaltigsten, am heftigsten bei der Premiere bejubelten Eindruck hingegen hinterlässt Elīna Garanča als Amneris. Die Entwicklung der launischen Prinzessin zur Versöhnerin weiß sie mit ihrem weichen Mezzo fantastisch auszudifferenzieren. Obwohl sie von Radamés verschmäht wurde, versucht Amneris den als Verräter zum Tode Verurteilten zu retten, ein berührender Aspekt des sonst so plakativen Opernabends. Dass Aida wiederum zu Radamés in die Gruft geschlichen ist, um mit ihm gemeinsam zu sterben, scheint in dieser Inszenierung ein Traum des Verurteilten zu bleiben.

Staatsoper Unter den Linden,19., 22.,25. und 29. Oktober. Hier geht’s zu den Karten.


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3. Distel - Sechs Personen suchen einen Autor

"Morgen lachen wir drüber" in der Distel © Chris Gonz

Zu den Erzählungen älterer Generationen gehört, dass man früher, in schweren Zeiten, sich gerne mit den Worten tröstete: „Morgen lachen wir drüber!“. Dass man schon in der Gegenwart drüber lachen kann, dafür wurde einst das Kabarett erfunden. Theater wie die Distel an der Friedrichstraße, das nun 70-jähriges Jubiläum feiert. „Morgen lachen wir drüber!“ haben Autor Thomas Lienenlüke und Regisseur Dominik Paetzhold auch ihre „ultimative Jubiläums-Show“ übertitelt. Dem Anlass entsprechend agiert statt der üblichen Dreierbesetzung ein sechsköpfiges Ensemble im rasanten Rollenwechsel auf der Bühne, das obligatorische Musik-Duo wurde zur Feier des Tages zu einer „Bigband“, soll heißen zu einem Trio erweitert.

Die Geschichte des Hauses, Reminiszenzen an die spannenden subversiven Jahre im SED-Staat, bleibt dem Rahmenprogramm zum Jubiläum vorbehalten. In der Revue ist man der Zukunft zugewandt. Statt mit einer durchgehenden Geschichte diesmal mit Sketchen und originellen Songs, erstmals unter musikalischer Federführung von Christin Henkel.
Nicht zuletzt geht es dabei, nicht zum ersten Mal in der Distel auch um die Zukunft des Kabaretts selbst (mehr dazu im Blog vom 24. Oktober 2022). Was darf man sagen, gerade in diversen Zeiten, was kann man bewirken, welche Berufsaussichten haben Politikerparodisten?


Parade der Parodien


Fragen, die nicht wirklich beantwortet werden, wenn etwa zu Beginn zwei nonbinäre Enten „Schwanensee“ tanzen. Angst vor Lächerlichkeit kennen die Darsteller nicht. Timo Doleys, Caroline Lux, Stefan Martin Müller, Rüdiger Rudolph, Nancy Spiller und Frank Voigtmann zeigen, was sie alles drauf haben, gerade was Parodien betrifft. Prominenz wie Wagenknecht, Weidel, Trump, Merz, Söder, Lindner, Lauterbach, Baerbock und die gute alte Merkel bevölkert die Show (der aktuelle Bundeskanzler nicht, der ist wohl zu unwichtig). Sogar der Herrgott persönlich tritt auf, der ebenfalls unter mangelnder Beliebtheit leidet, ganz im Gegensatz zu einem Klempner, der in Zeiten des Fachkräftemangels in vielen Haushalten wie der Messias erwartet wird.

Bei allem Einsatz können die sechs Personen im Rampenlicht auch nicht mehr machen als das, was der Autor ihnen hingeschrieben hat. Die Frage, ob Frauen Humor haben, wirkt ebenso altbacken wie die scheinbar unvermeidlichen FDP-Witze, deren Häufigkeit sich umgekehrt proportional zu den Prozentzahlen der Partei bei Wahlen verhält.
Manche reizvollen Ideen, was etwa wäre, wenn man statt Lobbyisten oder Militär Kabarettisten zum Auslandseinsatz senden würde, werden leider nicht wirklich zu Ende entwickelt.

Es gibt zum Jubiläum viel zu gucken, zu hören und zu lachen. Aber die Stacheln der Distel waren schon spitzer.

Kabarett-Theater Distel, bis 21. Dezember. Hier geht’s zu den Karten.

 

 

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