Heute: 1. Deutsches Theater – „Prima Facie“ / 2. Vaganten – „Nur drei Worte“ / 3.Berliner Ensemble – „Fremder als der Mond“
Am Wochenende startete das Deutsche Theater unter seiner neuen Intendantin Iris Laufenberg in die neue Spielzeit. Zur Eröffnung am Sonnabend ging es auf der großen Bühne mehr oder weniger um alles: Über „Weltall Erde Mensch“ wird mein Kollege Reinhard Wengierek im nächsten Blog berichten.
Gestern nun öffnete auch die DT Kammer ihre Pforten mit „Prima Facie“, der deutschsprachigen Erstaufführung eines Frauenmonologs der australischen Autorin Lucie Miller, in der Regie von András Dömötör.
Prima facie ist ein juristischer Begriff, der sich mit „auf den ersten Blick“ oder dem Anschein nach“ übersetzen lässt. Er bedeutet, dass die Anscheinsvermutung gilt, solange das Gegenteil nicht bewiesen ist.
Wir bewegen uns also in der Welt der Juristerei und begegnen dabei Tessa. Tessa ist eine junge Anwältin, die, aus einfachsten Verhältnissen stammend, sich nach oben gekämpft hat und als erfolgreiche Strafverteidigerin in einer renommierten Kanzlei glänzt. Tessa ist intelligent und selbstbewusst, Tessa kennt alle Tricks und setzt sie ein, um ihre Mandanten frei zu bekommen. In völliger Übereinstimmung mit dem System, an das sie glaubt und dem sie dient, erledigt sie ihren Job. Sie überprüft Aussagen. Entscheidungen trifft sie nicht, das tut das Gericht.
One Woman Show für Gerechtigkeit
Aber dann verändert sich ihr Leben von einem Moment auf den anderen. Nach einer Vergewaltigung durch einen Anwaltskollegen, den sie eigentlich mag, in den sie vielleicht sogar ein bisschen verliebt ist, findet sie sich jetzt auf der anderen Seite des Systems wieder. Erlebt sie die Demütigungen, denen Vergewaltigungsopfer bei polizeilichen Vernehmungen und vor Gericht oft ausgesetzt sind. Ist sie gezwungen, zu beweisen, dass es, obwohl der Anschein ein anderer ist, kein einvernehmlicher Sex war. Tessa erlebt die Unzulänglichkeit von Gesetzen, die über Generationen hinweg von Männern festgeschrieben wurden und mit denen es in Fällen sexualisierter Gewalt oft keine Gerechtigkeit gibt.
Mercy Dorcas Otieno als Tessa betritt die Szene wie eine Showbühne. Im knallgelben seidig schimmernden Hosenanzug mit wilder Lockenpracht, in der Hand das Mikro mit Kabel, bewegt sie sich zu jazziger Musik (Tamás Matkó) selbstsicher, geschmeidig, tänzelnd durch den Raum. Diese Frau ist eins mit sich und mit der Welt, sonnt sich im grellen Licht der auf Stativen montierten Scheinwerfer, genießt ihren Erfolg, ihr Leben.
Das Zentrum der nackten schwarzen Bühne (Bühne und Kostüme: Moïra Gilliéron) bildet ein auf dem Boden angeordnetes trapezförmiges Viereck, das von ebenfalls grellen Leuchtstoffröhren begrenzt wird. Es gibt den sicheren Rahmen vor, in dem sich Tessa bewegt.
Im zweiten Teil der Aufführung gerät dieser Rahmen buchstäblich aus den Fugen, verrutschen die Leuchtstoffröhren und werden schließlich demontiert. Tessa versucht noch, sich an einer der Röhren aufzurichten, sich daran festzuhalten. Da ist ihr perfektes Outfit längst derangiert, die Lockenperücke vom Kopf gerissen.
Mercy Dorcas Otieno verkörpert diese Frau mit enormer Power, sie wirft sich in die Figur, verschmilzt mit ihr.
Das lässt über eine gewisse Plakativität des Stückes, das hochaktuell ist und zweifellos auf die Bühne gehört, hinwegsehen und auch darüber, dass sich die Schauspielerin immer mal wieder verhaspelt und der Text an einigen Stellen nicht zu verstehen ist. Womöglich war das auch der Premierenaufregung zuzuschreiben.
Das Premierenpublikum feierte die Aufführung und die Darstellerin mit viel Beifall.
Deutsches Theater, Kammer, 23. September, 1., 11., 14. und 22. Oktober. Hier geht’s zu den Karten.
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Ein netter Abend zu viert, Vertrautheit, weil sich alle schon lange kennen, es wird gesmalltalkt, Alkohol fließt, vielleicht ein bisschen zu viel. Die Behaglichkeit findet ein jähes Ende, als Tessa mitteilt, dass sie und Conrad sich nach zwanzig gemeinsamen Jahren trennen werden. Ganz einvernehmlich. Bonnie und Anni – auch schon lange ein Paar – sind entsetzt, verstehen die Welt nicht mehr.
Was in den folgenden gut neunzig Minuten im kleinen spärlich möblierten weißen Bühnenraum der Vagantenbühne verhandelt wird, ist die alte Geschichte. Wie schafft man es, eine Beziehung zu führen und trotzdem seine Individualität nicht aufzugeben? Wie geht man mit der sogenannten Midlifecrisis um, wenn man sich mit Anfang vierzig fragt, ob das alles gewesen ist oder ob da draußen nicht doch noch was Neues, Spannenderes, Besseres wartet?
Das kleine feine Theater in der Kantstraße ist bekannt dafür, Stücke aufzutun, die den Nerv der Zeit treffen. Das ist mit „Nur Drei Worte“, der mehrfach ausgezeichneten australischen Autorin Joanna Murray-Smith wiederum gelungen. Das Stück – in der hervorragenden Übersetzung von Peter und John von Düffel – ist gut gebaut, die Sprache ist klar und schnörkellos, die Dialoge scharf, auf den Punkt und witzig.
Nicht nur für Langzeitpaare
In der Regie von Lars Georg Vogel, der auch für Bühne und Kostüm verantwortlich zeichnet, vergeht der Abend in einem flotten Tempo. Das Zusammenspiel funktioniert bestens, die vier Darsteller werfen sich die Worte wie Bälle hin und her.
Alles wird hinterfragt, nichts bleibt so selbstverständlich wie es bisher schien, unterdrückte Ängste werden endlich ausgesprochen, Verletzungen führen zu Aggressionen. Und dann geht es nicht mehr nur um Tessa und Conrad, sondern auch um Annie und Bonnie, die sich doch bis jetzt so sicher fühlten in ihrer Beziehung zueinander und auch zu Tessa und Conrad.
Stella Denis-Winkler als Tessa, Urs Stämpfli als Conrad, Natalie Mukherjee als Annie und Melissa Anna Schmidt als Bonnie zeigen in einer beeindruckenden Ensembleleistung die Vielschichtigkeit ihrer jeweiligen Figuren und der Beziehungen aller Vier untereinander auf und setzen den Text in sinnfällige theatralische Vorgänge um. Mal knistert es sanft zwischen den Figuren, mal poltert es gewaltig.
Im Zuschauerraum wird viel gelacht, der Wiedererkennungseffekt ist zweifellos spürbar.
Aber dann wird es plötzlich auch ganz still, wenn die verbale Auseinandersetzung zwischen Tessa und Conrad in einer Bücherschlacht und schließlich in nackte Gewalt umschlägt.
Alle vier Schauspieler bleiben die ganze Zeit auf der Szene, sind, wenn sie selbst nicht spielen, weg, aber doch da. Dafür wurden schöne Lösungen gefunden: Wenn Conrad und Annie, die nebeneinander vorn an der Rampe sitzen, einfach nach hinten weg klappen und liegenbleiben, nachdem alles gesagt ist.
Am oberen Rand der weißen Rückwand flimmern die ganze Zeit die Porträts der Vier, die hin und her geschoben werden. Die Köpfe sind mal von vorn, dann auch mal im Profil oder auch von hinten zu sehen. Nichts bleibt wie es ist, und alles hat seine mindestens zwei Seiten.
Vagantenbühne, 28. bis 30. September, 11. bis 13. Oktober. Hier geht’s zu den Karten.
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Volkssänger im Zeitalter der Wolkenkratzer – so wurde der junge Brecht im Feuilleton in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts genannt. Und dieser Anspruch – für die Leute und über alles zu schreiben und zu singen, über Alltägliches wie Philosophisches, über die Liebe wie über den Schmerz, über die Schönheit des Lebens, aber auch über den Tod – zieht sich wie ein roter Faden durch den Abend „Fremder als der Mond“, mit dem das Berliner Ensemble in die neue Spielzeit ging.
„Fremder als der Mond“ in der Regie von Oliver Reese erzählt in drei Teilen vom bewegten Leben Brechts: Von den Jahren in Augsburg, München und Berlin, in denen der junge Dichter seinen Platz sucht, erste Erfolge verzeichnet und mit der Uraufführung der „Dreisgroschenoper“ berühmt wird. Von den langen Jahren des Exils in Dänemark, Schweden, Finnland und schließlich Kalifornien, in denen Stücke entstehen wie „Mutter Courage, „Arturo Ui“ oder „Der kaukasische Kreidekreis“, die erst nach Kriegende aufgeführt werden. Und schließlich von seiner Rückkehr nach Berlin, wo er im Theater am Schiffbauerdamm „sein“ Berliner Ensemble zusammen mit Helene Weigel gründet.
Zwei großartige Darsteller als Alter Ego des Meisters
Katharine Mehrling und Paul Herwig bringen uns in Liedern, Gedichten, Tagebuchaufzeichnungen und Briefen den Dichter und den Menschen Brecht sehr nahe. Die Texte sind alle von Brecht selbst. Die Musiken sind vor allem von Eisler, von Dessau und Weill; einige von weniger bekannten bekannten Komponisten wie Matthias Schramm oder Franz Wittenbrink.
Adam Benzwi hat wunderbare Arrangements für die bekannten Songs, aber auch eigene Kompositionen geschaffen und bildet mit seinem kleinen Instrumentalensemble (Karola Elßner, Ralf Templin und Otwin Zipp) eine musikalische Grundlage, auf der sich Katharine Mehrling und Paul Herwig sicher bewegen können.
Die Bühne ist ein grauer Kasten. In seiner Rückwand sich öffnen sich immer mal wieder Fenster in verschiedenen Größen, die den Blick freigeben auf eine Großstadtsilhouette, einen winterlichen Garten, eine Varieté-Bühne oder den Raum bis an die Brandmauer sichtbar machen. (Bühne: Hansjörg Hartung). Farbige Lichteffekte und Projektionen verwandeln die Enge und das Grau in flirrende Bilder. Das sieht alles toll aus, eröffnet neue Perspektiven, illustriert aber auch unnötigerweise, was auf der Bühne vor sich geht. Und das braucht es oft nicht, denn Katharine Mehrling und Paul Herwig als Alter Ego Brechts begeistern sowohl gesanglich als auch in ihrem Zusammenspiel gleichermaßen.
Den stärksten Moment hatte der Abend für mich, als beide einfach nur in der Mitte der leeren Bühne stehen und die„Kinderhymne“ mit der einfachen und doch schwer zu singenden Musik von Hanns Eisler den Zuschauern unmittelbar ins Ohr, in den Verstand und ins Herz bannen: „Anmut sparet nicht noch Mühe/ Leidenschaft nicht noch Verstand/ Dass ein gutes Deutschland blühe/ wie ein andres gutes Land.“
Mit dem Gedanken, dass es 1990 eine Initiative gab, diese Kinderhymne zur Nationalhymne des wiedervereinigten Deutschlands zu machen, schlägt der Abend einen berührenden Bogen direkt in unsere Gegenwart.
Leider können wir Ihnen im Moment für diesen Abend keine Karten anbieten, da unser Kontingent erschöpft ist. Sie haben die Möglichkeit, sich auf eine Warteliste für kommenden Vorstellungen setzen zu lassen. Rufen Sie dafür in unserem Service an: 86009351.
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