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Kulturvolk Magazin

Die FVB im geteilten Berlin

Vom Bau der Mauer bis zu ihrem Fall

 

Die Zahl der Mitglieder der Besucherorganisation war nach dem Wiederaufbau und der engagierten Führung Nestriepkes stetig auf 120.000 angestiegen.

 

1961, nur zwei Jahre vor seinem Tod, übergab der große alte Mann der Volksbühnenbewegung, die Nachfolge an Günther Abendroth. Der ausgebildete Chemiker, der 1920 geboren worden war und die Freie Volksbühne erstmalig zur Zeit der Gleichschaltung aller Theater erlebte, stand im Gegensatz zu Nestriepke für einen weniger emotionalen, stärker auf Konsens und Machbarkeit ausgerichteten Pragmatismus. Abendroth, seit 1946 SPD-Mitglied, hatte u. a. die Bekanntschaft von Willy Brandt gemacht, der damals zum Ortsverband der SPD Wilmersdorf gehörte und sich ebenfalls zur Freien Volksbühne bekannte.

 

Bereits am 1. Mai 1963 übergab Bornemann das Theater, das auf dem Wilmersdorfer Grundstück Schaperstraße, Ecke Meierottostraße errichtet wurde, an Erwin Piscator. Nach der Flucht vor den Nazis ins amerikanische Exil und anschließenden Jahren der Gastregie in diversen europäischen Ländern, gewann ihn Abendroth gleich nach Amtsantritt 1962 als FVB-Intendant zurück und zog somit einen Strich unter das alte Zerwürfnis der Zwanziger Jahre.

 

Die für ganz Berlin schicksalhafte Zeit des Mauerbaus fiel mit der Errichtung eines neuen eigenen Theaters im Berliner Westen zusammen. Der damalige Vereinsvorstand, der bereits in den 50er Jahren den Bau eines eigenen Hauses erwogen hatte, beauftragte den Architekten Fritz Bornemann mit der Planung eines Theaters, das 1.000 – 1.200 Menschen fassen konnte.

 

Mit der oben erwähnten Uraufführungsinszenierung von Hochhuths "Der Stellvertreter" (1963 noch im Theater am Kurfürstendamm) lieferte Piscator eine der am meisten beachteten – und umstrittensten – Aufführungen der 60er Jahre, die eine Welttheaterbewegung auslöste. Weitere Aufführungen, die die Freie Volksbühne weltweit bekannt machen sollten, waren z.B. seine Inszenierungen von "In der Sache J. Robert Oppenheimer" von Heiner Kipphardt (Premiere 1964) und "Die Ermittlung" von Peter Weiss (Premiere 1965). Neben Max Reinhardt und Fritz Kortner galt er als einer der innovativsten Theaterregisseure des 20. Jahrhunderts.

 

Bis zu Piscators Tod 1966 stellte sich Abendroth bei kritischen Attacken hinter den berühmtberüchtigten Verfechter des politischen Theaters, der der Freien Volksbühne ein Profil verliehen hatte, das sie deutlich von anderen Berliner Bühnen unterschied. Über ein grundsätzliches Verständnis hinaus mischte sich Günther Abendroth in den drei Jahrzehnten seines Vorsitzes jedoch nie in den Kompetenzbereich der Theaterleiter ein und blieb seinem Grundsatz "Die Freiheit des Intendanten ist unantastbar" stets treu. Unter diesen Bedingungen inszenierten unter anderem Peter Zadek, Claus Peymann und Hansjörg Utzerath in den Sechziger Jahren moderne, kontrovers diskutierte Stücke.

 

Utzerath, ab 1967 Piscators Nachfolger, betrieb als erster künstlerischer Intendant der Freien Volksbühne ein Repertoire- sowie ein zeitgenössisches Kontrastprogramm. Auch das erste feste Ensemble der Freien Volksbühne geht auf ihn zurück. Dennoch führte er bewusst die Tradition Piscators weiter und brachte dessen Stellvertreter-Inszenierung im neuen Haus an der Schaperstraße erneut zur Aufführung.

 

Auch der langjährige Verwaltungsdirektor Hugo Diederichs, der anfangs schon bei Oskar Fritz Schuh am Theater am Kurfürstendamm, dann bei Piscator, später unter Utzerath und bis in die Anfangszeit von dessen Nachfolger hinein die administrativen Geschicke des Hauses geleitet hatte, geht in die Geschichte der Freien Volksbühne ein.

 

Im Rahmen der Studentenbewegung um 1968 wurden zudem vermehrt Fragen nach möglicher Demokratisierung und Entwicklungsrichtung des Theaters laut. Abendroth, der mittlerweile Bezirksbürgermeister von Kreuzberg geworden war, richtete seinen Blick auf das Machbare und navigierte die Organisation der Freien Volksbühne Berlin sicher durch großstädtische Klippen aus künstlerischen Freiheiten, ökonomischen Realitäten, fiskalischen Zwängen und sozialpolitischen Konfrontationen.

 

Auch im Theater zeichnete sich fortan mehr Stabilität ab. Als Kurt Hübner das Theater 1973 übernahm, ahnte sicher niemand, dass diese neue Verbindung bis zum Jahre 1986 andauern und die längste durchgehende Intendanz markieren würde. Hübner wurde 2006 Ehrenmitglied der Freien Volksbühne Berlin. Seine Ära stand im Zeichen großer Regisseure wie Rudolf Noelte, dessen Premieren-Inszenierung von Gerhart Hauptmanns "Die Ratten" 1977 als erste Produktion der Freien Volksbühne zum Theatertreffen eingeladen wurde. Auch Luc Bondy, Klaus-Michael Grüber und Hans Neuenfels holte er an das Haus und sicherte damit qualitativ hochwertige Aufführungen.

 

Hans Neuenfels wurde 1986 zum Nachfolger Kurt Hübners ernannt. Damit kamen neue Regieformen ins Haus sowie strukturelle, innovative Ansätze, die Bühnen zu reformieren, wie zum Beispiel die Aufhebung der Trennung von Bühne und Zuschauerraum.

 

1988 feierte die Freie Volksbühne das 25-jährige Bestehen ihres Theaters in der Schaperstraße, zu dessen Anlass es eine Festschrift mit Grußworten des damaligen Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen sowie des Senators für kulturelle Angelegenheiten Volker Hassemer gab. Gekrönt wurde das Jubiläum mit der Festvorstellung "Die Schwärmer" von Robert Musil am 30.04.1988, in der u. a. Elisabeth Trissenaar und Hermann Treusch zu erleben waren.

 

Der Schauspieler Hermann Treusch trat später die Nachfolge Neuenfels’ an und wurde somit zum letzten Intendanten der Freien Volksbühne (1990 – 1992).

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