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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 98

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

29. September 2014

Berliner Kriminaltheater


Nachdem sich der fleißige Bühnentrupp aus Jägern und Gejagten, Mördern und Opfern, Gangstern und Geliebten ohne Pause durch den Sommer geschossen, gehauen und gestochen hat – ob im Seehotel bei Strausberg, im Kloster Chorin, in der Schweiz oder zuletzt auf Sylt (stets ausverkaufte Häuser), startet nunmehr die bemerkenswerterweise ganz aus eigener Kraft so erfolgreiche Kleinbühne mit überraschend opulentem Repertoire in seine jetzt schon 15. Spielzeit. Und zwar mit einem Klassiker des britischen Dramatikers Patrick Hamilton (1904-1962), den einst Alfred Hitchcook unter dem hübsch sarkastischen Titel „Cocktail für eine Leiche" verfilmte, womit er einen Welterflog landete; mit James Stewart in der Hauptrolle.

 

Das Besondere an dieser tödlichen Sache ist, dass dem Publikum von Anfang an klar ist, wer die Mörder sind: Zwei Studenten, die nach getaner Arbeit schnurstracks zu einer gespenstisch flotten Cocktailparty laden, in der die Gäste, eloquente Akademiker, locker parlieren beispielsweise über die offensichtlich unausrottbare Sucht und Lust mancher Menschen, ein perfektes Verbrechen zu begehen. Und wir begreifen sofort: Die beiden mörderischen Studenten wähnten sich zu solcherart unterhaltsamem Tun befähigt. Und obendrein legitimiert, was sie philosophisch begründen – beispielsweise mit Friedrich Nietzsche, dessen Theorie von der Macht des Übermenschen sie fatalerweise gründlich missverstehen. Nietzsche erklärt nämlich keine Elite und überhaupt niemanden für berechtigt, gewöhnliche Menschen, also „Untermenschen“, auszurotten, damit sich‘s selbsternannte „Übermenschen“ ungestört gemütlich machen können auf der Welt. Nietzsche meint vielmehr schlicht einen idealen Menschen, eine Utopie also, die anzustreben jedermann angelegen sein sollte.

 

Wir haben es also mit einem ziemlich geistreichen Konversationsstück zu tun, das an keiner Stelle verkopft oder theorielastig wird, sondern Allgemeinmenschliches gewitzt zuspitzt; das zudem irrige Verstiegenheiten nebst anschließenden Gewissenskrämpfen bloßlegt und das mit einer aasigen Pointe endet, die hier freilich nicht verraten wird.

 

Wolfgang Rumpf, dem stets bestens bewährte Hausregisseur, gelang diesmal das besondere Kunststück, die so durchtriebene wie luftige Konversation auf dieser Party des Grauens elegant am Laufen zu halten. Feines Ensemble, schillerndes Kammerspiel mit Champagner und Gurkensandwiches vor rabenschwarzem Hintergrund.

Staatsoper

„Rheingold! Rheingold! Leuchtende Lust, wie lachst du so hold und hehr…!“ trällern die drei Rheintöchter im „Rheingold“ von Richard Wagner. Bei Nicolas Stemanns Inszenierung von Elfriede Jelineks liebevoller, rotziger und doch verständnisinniger Wagner-Verarbeitung „Rein Gold" sitzen die drei verwegen verkleideten Fluss-Damen vor einer Wandtafel und fummeln beim lieblichen Trällern mit Kreide so lange am vielsagenden Wort „Rheingold“, bis „Rein Gold“ da steht. Was direkter ist und zugleich, wie praktisch, den Titel illustriert, den die österreichische Wagnerianerin ihrer „Ring“-Überschreibung gab.

 

Jelinek, eine immerhin fortgeschrittene Klavierspielerin, betont drastisch: „Ich höre Wagner bewusst nicht analytisch, sondern ich schmeiße mich hinein wie ein Schwein in die Suhle.“ Was ja, finde ich auch, wirklich Spaß macht.

 

Also Elfriedes ellenlanger, zuweilen ein bisschen ausgeleierter, aber immer wieder auch höchst komischer und sogar ziemlich wuchtiger poetischer „Zum Golde drängt, am Golde hängt“-Essay über Wagners „Ring des Nibelungen“, dessen Mythenlyrik sie nebenbei lustvoll verkalauert (auch das ist lustig!). Ihr Ausgangspunkt ist die Vater-Tochter-Konstellation, der große Dialog zwischen Wotan und seiner Lieblingstochter Brünnhilde in der „Walküre“. Da verhandeln beide spannende Fragen um Schuld und Schulden, Macht und Geld. Wobei die Autorin, nicht untypisch, ein bisschen vom Stöckchen aufs Hölzchen kommt, von Karl Marx auf Christian Wulff, von Eigenheim bis NSU. Und sie macht sich und aller Welt klar, was schon Richard Wagner sonnenklar war: So wie bisher kann es nicht weiter gehen mit der Wotanerei. Mit dem Geld und mit der Welt.

 

Der Text ist, halt wie immer bei dieser Literatin, auf enorm weiter Fläche ausgerollt. Diese nun nimmt der Komponist David Robert Coleman keck als Spielwiese, auf der er, sehr schön und auch sehr schräg anzuhören, mit heutigen musikalischen Mitteln herumtollt. Und das vor allem mit einem Riesending von elektrisch geladenem Perkussions-Apparat. Immerhin: Riesendinger (ob Flächen oder Apparate) passen prima zu Richard.

 

Also Elektronik pur und dann wieder Elektronik zusammen mit Großorchester. Denn die Staatskapelle musiziert raffiniert Colemannisch verfremdet oder eben auch mal ganz und gar fein unverfremdet wagnerisch auf.

 

Der vor Phantasie strotzende Regisseur Nicolas Stemann inszeniert im Schillertheater diese so monumental wie total und cool angelegte und doch immer wieder fein ziselierte „Ring“-Paraphrase mit äußerster Delikatesse, selbst bei den gröberen Späßen. Die Schwelherde der Tragik werden noch gewürzt mit gut dosiertem Zynismus. Für Kopf und Ohren explosiv, aber auch schmeichelnd. Es gibt viel zu schauen. Und, bei allem höheren und niederen Blödsinn, reichlich zum Denken. Hat man nicht allzu oft: Intelligente Unterhaltung; zugegeben: eher für bezüglich Wagner-Hörengucken Fortgeschrittene.

 

Wieder am 5., 10., 17., 21. Oktober in der Staatsoper im Schillertheater.

Deutsches Theater

Auf so ausladendem wie effektvollem Tableau, in einem Schwimmbad realsozialistischen Designs (Bühne: Jo Schramm), lassen die Regisseure Tom Kühnel und Jürgen Kuttner die SPD baden gehen; mit tatkräftiger Beihilfe von Carl Sternheims Satire über den Reformismus der deutschen Sozialdemokratie „Tabula Rasa" von 1914. Und doch, bei aller kabarettistischer Holzschnittartigkeit im Spiel (es wird fleißig gebrüllt und herum getrampelt) und bei all dem Plakativen der den Sternheim-Plot ergänzenden historischen Verweise – von der SPD-Kaisertreue und den Kriegskrediten 1914 über das Godesberger Programm bis hin zu Gerhard Schröder und der Agenda 2010 – die beiden fantasievollen, unideologischen, dabei hoch politischen und gar nicht überheblich- oder schlaumeierischen Regisseure kippen das alte graurosa Kind Sozialdemokratie nicht mit dem Bade aus.

 

Es geht vielmehr um eine große gesellschaftliche Tragik. Um den bislang nicht gelösten (oder temporär äußerst blutig verdrängten) Widerspruch zwischen Revolution und Reform, zwischen dem „Jeder für sich allein“ und dem „Alle für alle“. Um diese zwei Seelen ach in unserer aller Brust: Bürgerlicher Eigennutz versus dessen mehr oder minder radikale Zurückstellung um der mehr oder weniger allgemeinen Gerechtigkeit willen.

 

Bei aller ätzenden Schärfe, mit der Sternheim die Verlogenheit und Bestechlichkeit sozialdemokratisierter Funktionäre aber auch den umstürzlerischen Partei-Radikalinski geißelt (hier eine Art mopsiger Thälmann mit langen Haaren in Proleten-Lederjoppe), auch Sternheims Text weiß überraschend vorausschauend, dass man mit Liebknecht, Luxemburg und Lenin bloß bis Stalin & Co. kommt. Also ist klar: Der solide Sozi ist fürs kompromisslerische brave „Hinaufentwickeln“ im Gesellschaftlichen, und nicht fürs frech flotte „Hinaufschießen“ wie der Genosse nebenan von der Partei Neuen Typs aus der totalitären Abteilung. Da mag man nun kräftig lästern über die Braven mit ihrer gepflegten Meinungsvielfalt auf dem reformatorischen Mittelweg, was die Inszenierung denn auch gut und gerne tut. Zugleich aber verweist sie, man muss es nur hören wollen im Gelächter, scharf und streng auf die Genossen nebenan mit der ständig gereckten Faust, die jeden erschlägt, der sie nicht korrekt radikal reckt. So relativiert sich das Braven-Bashing von selbst. Und eine gewisse entspannte, philosophisch-politische Ratlosigkeit verströmt sich. Die Regisseure mögen geistreiche Scherzkekse sein, Besserwisser sind sie nicht.

 

Auf die von ihnen eingeworfenen Fragen, was denn bloß heutzutage Links sei, geben sie in ihrem spannend diskursiven Abend klüglich nur läppische, also unbefriedigende und zugleich lachhafte und gerade dadurch nachdenklich machende Antworten. Die Spitze dabei der deftige Auftritt von Kuttner, diesem hier exzellenten Satiriker, der nassforsch berlinernd die Sternheim-Sotisse illustriert, nach der im Kern der Sozialdemokratie viele, selbst die weit schweifendsten Gedanken Platz hätten und dennoch ein jeder, der sie pflegt, das Recht hätte, sich als echten Genossen zu bezeichnen. So ist es! Und es ist besser, als herrsche nur ein Gedanke...

 

Wir kapieren: Wir alle, die halbwegs bei Verstand und also für Fortschritt, Emanzipation, soziale Gerechtigkeit und Frieden sind und uns heftig darum sorgen, wir alle sind Sozis. Und zerfressen vom Konflikt zwischen wohliger, sozialversicherter Daseinsgemütlichkeit und schlechtem Gewissen. Und wir befürchten, dass diese Wärme nicht Bestand haben könnte in dieser kalten Welt und Ewigkeit. Soweit die unfrohe Botschaft dieses auch im Schauspielerischen starken Abends, der durchaus über weite Strecken gellendes Agitprop und lustiges Kabarett ist, aber eben super gemacht. Also ist es gutes Theater. Da mögen die feinen chorischen Auftritte mit rührend rotem Liedgut des Guten vielleicht etwas zu viel sein. Wie auch die Radio-Einspieler mit Pawel Kortschagin, dem kommunistischen Revolutionär aus Ostrowskis sowjetischem Kultroman „Wie der Stahl gehärtet wurde“ (ein süßer Gruß an die Kindertage von uns Alt-Ossis). Und auch das so puppenlustige wie reichliche Planschen im Badewasser sowie die ausufernde und doch letztlich todernste Parodie mit den drei Rheintöchtern und dem goldräuberischen, dafür die Liebe schmähenden Alberich aus Wagners „Rheingold“ (Richard unschlagbar vor ever!), auch diesen wahrlich amüsanten Einschub möchte ich letztlich nicht missen. Scheiß SPD – sie lebe hoch! Der Rest ist der so gottverdammt schwierige Kampf um die richtige rote Linie.

 

Zwei kleine Fragen am Rande: Warum muss im DT ein Bühnenarbeiter mit dem Burgtheater-Wien-Logo auf dem Rücken seines privaten T-Shirts auftreten? Und warum muss das DT an seiner Fassade auf einem Plakat marktschreierisch das annoncieren, was es dahinter, auf seiner Bühne, ohnehin einzulösen hat, nämlich „Widerspruch“? – Immer dieser erregte Firlefanz: „Tabula rasa“ ist scharfer Widerspruch, kluger Einspruch und weiser Zuspruch in einem! Also bitte mehr Gelassenheit, Herr Intendant.

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