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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 96

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

15. September 2014

Kleines Theater


Die ziemlich menschenscheu gewordene Baptistenwitwe Lily hat sich auf ihre alten Tage einen Tanzlehrer ins Haus bestellt; sie will’s noch mal genau wissen, wie das korrekt geht: Gesellschaftstanz. Doch sie rechnet nicht mit Michael, einem hitzköpfigen, mimosenhaften Italiener. Prompt kracht es zwischen Lily und Michael, schon bei der Begrüßung. Um seinen Job zu behalten, erfindet er, knapp bei Kasse, eine kranke Ehefrau und schielt auf Lilys Mitleid. Dass er in Wirklichkeit schwul ist, verrät er besser nicht. Lily kommt ihm allerdings alsbald auf die Schliche und schäumt vor Wut. Michael kann gut kontern, denn er hat herausgefunden, dass auch die Dame Lily ziemlich lax mit der Wahrheit umgeht. So kreuzen die beiden sehr gegensätzlichen Charaktere, die immerhin drei Lebensjahrzehnte trennen, bei Swing, Tango, Walzer, Foxtrott, Cha-Cha-Cha und Twist eloquent die Klingen. Es kracht mächtig im Karton. Und allmählich keimt Vertrauen zwischen der mürrisch traurigen Einsamen, einer pensionierten Lehrerin, und ihrem frechen feschen „Eintänzer in den Himmel“, der – goldene Zeiten – einst in Revuetempeln die Glieder schwang.

 

 

Die balletös bewegte, scharf geschliffene Konversationskomödie von Richard Alfieris „Sechs Tanzstunden in sechs Wochen" ist längst ein köstlicher Klassiker des Boulevards. Dramaturgisch perfekt gebaut erzählt er pointiert und ziemlich sarkastisch von extrem unterschiedlichen Lebensläufen und Daseinsentwürfen, spart nicht mit Herz und vor allem nicht mit Schmerz – freilich verpackt mit reichlich Charme. Das ist fettes Schauspielerfutter, und die beiden Protagonisten Margot Nagel und Frank Brunet geben denn auch unter der federnden Regie von Karin Bares alles, auch im furios Tänzerischen, so dass es nur so swingt zwischen (bei Lily womöglich letzter) Lebenslust und tapfer hin getuschtem Daseinsernst.

Am Ende steht, man darf es ahnen schon beim ersten Takt, eine ganz außergewöhnliche Freudschaft – der nun wiederum, so ist das nun mal, wenn späte auf sehr, sehr, sehr späte Jugend trifft, nicht mehr viel Zeit bleibt, sie zu leben. Großer und herzlicher Beifall! (wieder am 26., 27., 28. September und am 1., 15., 17. Oktober)

Schaubühne

Hier kurz und bündig Volkes Stimme: „Ziemlich zum Einpennen, zwischendurch aber zum Totlachen.“ Ist nicht erfunden; sagte beim Rausgehen aus der Schaubühne nach der Premiere von Büchners „Leonce und Lena" ein junger Kerl aus Reihe sieben. Dem wäre beizupflichten; nur: Beim Totlachen hatte unsereins gewisse Schwierigkeiten. Es reichte höchstens zu gelegentlichem Grinsen.

Dabei ist Regisseur Patrick Wengenroth ein süßer Scherzkeks, eine gestandene Ulknudel, eine ranschmeißerische Popröhre, die liebend gern und in waghalsiger Verkleidung seine Lieblingshits ins Mikro rockt. Lustig! Doch Wengenroth, das brüllende, oft auch nur kreischende Theatertier, ist auch ein wirklich geistreich-ironischer Unterhalter, der höchst erhellend und gewitzt in den Hirnen diverser Geistesgrößen herumfuhrwerkt – zum Beispiel Schiller, Nietzsche, Brecht.

Diesmal also Georg Büchner und sein sarkastisch wehmütiges, hochphilosophisch blödelndes, puppenlustiges, todtrauriges, tiefsinnig menschelndes Märchenspektakel um die Daseinsverlorenheit und wehe Liebe eines Prinzen Leonce aus dem ziemlich menschenverachtenden Reich Popo sowie einer Prinzessin Lena aus einem dementsprechenden Reich Pipi.

Was Büchner ziemlich zynisch Lustspiel nennt, umspielt fein poetisch die Ohnmacht des Lebens gegenüber seinen Zwängen, dem bösen „Zurechtstutzen“ des einzelnen zum „nützlichen Mitglied der Gesellschaft“. Und es beschwört die Allmacht des allgegenwärtigen Todes, der letztlich alles sinnlos macht. Es ist die ins Absurde zielende, mit Melancholie übergossene große Komödie zweier Königskinder, die sich in einer in Blödigkeit erstarrten Welt unendlich langweilen und in einem höchst modernen Lebensgefühl zwischen Nihilismus und Aufbegehren umherstreifen. Es ist eine höhnisch schillernde, grauenvoll fatalistische Parodie des Menschheitsbetriebs.

Unglücklicherweise meint der Regisseur, alldem mit Mätzchenmachen und Herumblödeln beikommen zu können. Auf einer gefährlich schrägen Riesendrehscheibe als freilich trefflichem Sinnbild einer ins Groteske gekippten, zirkusbunt illuminierten Welt (oder ist es bloß ein Disko-Brettl – Bühne: Mascha Mazur), dort also lässt der Regisseur die wunderbaren Protagonisten Jule Böwe und Ulrich Hoppe ihre wunderbaren Texte hersagen. Und immer wenn sie ernstlich miteinander zu spielen anfangen, müssen sie gequält weiterwurschteln zur nächsten albernen Nummer in Wengenroths peinlich plattem Ulknudel-Universum. Der Regisseur unentwegt im angestrengten Modus, schrecklich cool sein zu wollen. Dazu noch seine grellen Auftritte als Träller-Tröte! Wo sind nur seine Lockerheit, Gewitzheit, sein sinniger Charme und aufklärerischer Ernst?

Büchner bloß als Stichwortgeber fürs poppig-neckische Aufmotzen zweier Twens, für deren Weltschmerzerei. Also kein Schmerz. Und kein Grauen, Träumen, Trauern. Kein Staunen und Entsetzen. Nur Langeweile mit hin und wieder Kichern. Der Regisseur als Scherzkeks. Büchner im süßen Blödel-Format. Doch da ist ja noch immer die ungeheure Kraft seiner unsterblich schönen Worte, die jegliche Theaterei überstrahlt. (wieder am 20. September)

Filmtipp

Hat man nicht oft im Kino: Ein tolles Terzett dreier Virtuosen mit virtuosem Text: Schaubühnen-Star Katharina Schüttler, Sebastian Blomberg und Devid Striesow. Johannes Nieber fand das Glück, die drei casten zu können für sein faszinierendes Kammerspiel „Zeit der Kannibalen“ . Selten wurde derart sarkastisch der westliche Geist der Zeit, der Politik und Weltwirtschaft auf den Punkt gebracht – als Farce.

Das Trio, abgrundtief aufgeklärt, souverän und doch kaputt von ihren Geschäften und Beziehungen und Nicht-Beziehungen, ist die Besatzung einer fernen Außenstelle einer hochmögenden, global agierenden Wirtschaftsberatungsfirma. Man residiert in einem Vier-Sterne-Hotel in der Hauptstadt eines gerade scheiternden Dritte-Welt-Staats; draußen wabert der ewige Smog, krachen Bomben und rattern die Kalaschnikows der religiösen Fanatiker. Die drei stecken in ihrer wie ein Raumschiff hermetisch abgeschlossenen Luxusbude fest und liefern sich gegenseitig erst aashaft durchtriebene, dann böse und schließlich, als die Gotteskrieger in die Zimmertür schießen, hysterische Endspiele.

Die Oberschlauen in Business-Kostüm und Krawatten-Dress schenken sich nichts – wie ihnen (und uns allen) der Turbokapitalismus nichts schenkt. Doch bevor draußen die archaischen Krieger vor der Hoteltür das westliche Trio der Ungläubigen und Verderbten massakrieren, wird gnädig abgeblendet. Schluss mit Business. Das Davor aber: Eine moderne Apokalypse in der Luxuskapsel, dem Büro und Lebensraum der hyperkapitalistischen Wirtschaftskrieger des High-Tech-Westens – ein bizarres Gleichnis unserer Welt.

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