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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 86

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

12. Mai 2014

Gorki-Theater


Wie viel Leid erträgt ein vom Dasein geschundener Mensch, bevor er durchdreht oder gar zum Mörder wird? Das fragt Georg Büchner in seiner Szenenfolge „Woyzeck“, dieser berühmt-kompakten Psycho-Studie, die sozial- und wissenschaftskritisch sowie philosophisch einzigartig tief greift. Ein aufschreckendes Stück Aufklärung. Weltliteratur eines Jung-Genies.

 

Im Gorki-Theater bringt nun als kecker Trittbrettfahrer bei Büchner der nicht eben wenig selbstbewusste, um nicht zu sagen anmaßende, auch mit seinen 43 Jahren noch immer gern wüst und finster und ziemlich spätpubertär um sich schlagende Regisseur Mirko Borscht „Woyzeck III– Magic Murder Mystery“ als bluttriefend schwarze Sex-und-Mord-Messe auf die vernebelte Bühne.

 

Vergessen ist Büchners cool aufklärerischer Impetus. Vielmehr suhlt sich jetzt eine Meute enthemmter Zombies lustvoll in sadistischen Verrichtungen. Büchner sagt: „Der Mensch ist ein Abgrund.“ Und er zeigt auf, warum das so kommen kann. Borscht blickt auf Terminator III und jagt von Vernichtungsgier Getriebene in eine Endzeitschlacht. Jeder gegen jeden. Regressiv aggressives Grusel- und Horror-Theater mit halbnackten Psychopathen bei reichlicher Absonderung von (pseudo)philosophisch-theologischem Geschwurbel. Darunter freilich als Ausnahme ein Kabinettstück: Eine knappe Viertelstunde lang zitiert quasi ohne Luft zu holen frei aus dem Kopf der Schauspieler Dimitrij Schaad (Bravo!!) aus dem durchaus bedenkenswerten Buch des durchaus seriösen US-Theoretikers Julian Jaynes „Der Ursprung des Bewusstseins aus dem Zusammenbruch der bikameralen Psyche“ (es geht um die Evolution des Bewusstseins, um Ich und Über-Ich, Sühne und Schuld). Die einzig wirklich interessante, rhetorisch brillant zelebrierte Nummer in dieser von Sperma, Spucke, Blut und Regenwasser durchnässten Veitstanz-Revue des geilen Trötens und Tötens. Der gut zweistündige Rest der langweilenden Orgie - gemeint ist Büchners "Abgrund" - ist peinsam kraftmeierischer Mumpitz. (wieder am 17., 23., 24. Mai)

Bravo für eine erste Bilanz:

 

Okay, es kann nicht immer alles gut gehen. Trotz des Büchner-Flops: Das neue Gorki steht super da: In den ersten fünf Monaten der Intendanz Shermin Langhoff/ Jens Hillje betrug die Auslastungsquote auf Anhieb sagenhafte 95 Prozent. Und ich finde: die meisten Produktionen sind tatsächlich sehenswert; nicht zuletzt wegen des durchweg starken Ensembles. Und immer ist die Stimmung wunderbar: viele junge Leute, prima Service und während der Vorstellungen erstaunlich hohe Konzentration im Publikum. Hillje: „Bis jetzt ist es unserem Ensemble gelungen, mit jeder Premiere neue Zuschauer zu gewinnen und das alte Gorki-Publikum von uns zu überzeugen.“

Kammerspiele des Deutschen Theaters

Hier, am hohen Ort des Staatstheaters, tobt das junge Blut junger Laien: nämlich das „Junge DT“ mit eigens aus Schulen gecasteten, mitreißenden Spiel-Talenten. Man muss sie einfach lieben, diese geballte Front intelligenter Jugendlichkeit (11 Mädels, 5 Burschen). Und sie machen einen ungewöhnlichen, großartigen Abend unter dem vielsagenden Motto „Tod. Sünde. 7“: In 90 Minuten reden sie mit eigenen, im Workshop erarbeiteten Texten über ihre ziemlich genau registrierten und formulierten Erfahrungen mit dem Wahnsinn des Daseins, über ihren von Hormonen und jugendkulturellen Zwängen gestressten Alltag, über Gelüste und Lebenssehnsüchte, Lebensängste und Lebenswut. Das bringen sie monologisch oder chorisch, aber immer intensiv rüber, eingebunden in choreographisch vehement arrangiertes Körperspiel. Und alles ohne moralisch oder philosophisch wackeln- und winkendem Zeigefinger. Ein verdienstvolles, ziemlich aufwändiges Jugendprojekt des DT, von Regisseur Wojtek Klemm und Choreographin Efrat Stempler packend auf die Bühne der Kammerspiele gesetzt. Sehr zu empfehlen sonderlich jugendlichen Theaterenthusiasten (die es ja durchaus gibt, man glaubt es fast nicht) sowie deren Freunde und Verwandtschaft (wieder am 12., 16., 27. Mai).

Abschied

„Die gesehene Welt zerfällt./ Ich bin von meinem Blick umstellt./ Ich reite händefuchtelnd im Palaver/ Durch diesen Wirklichkeitskadaver.“ – Das reimte Horst Sagert einst über sich selbst. Jetzt ist der Berliner Bühnenbildner und Regisseur, der in den 1960er bis in die 1980er Jahre mit seinen Innovationen (ein barock pittoresker, prunkend „fantastischer“ Stil) das deutschsprachige Theater maßgeblich bereicherte, vor ein paar Tagen ist Sagert im Alter von 79 Jahren gestorben. Internationalen Ruhm brachten ihm sonderlich seine Ausstattungen für „Der Drache“ (1965) und „Ödipus Tyrann“ (1967) am Deutschen Theater; unter seinen Arbeiten in Westdeutschland sticht die Bühnenbildnerei für Peter Zadeks Shakespeare-Inszenierung „Der Widerspenstigen Zähmung“ 1981 an der Freien Volksbühne hervor. Nach 1990 zog er sich vom Theater zurück, arbeitete als bildender Künstler und Autor. Glücklicherweise gelang es dem umsichtigen Bernd Kauffmann von der Stiftung Schloss Neuhardenberg im letzten Sommer – fern von Sagerts wichtigsten Wirkungsort – im tiefen Brandenburgischen eine grandiose Ausstellung über dessen Lebenswerk einzurichten. Es gibt ein großes Bilderbuch darüber („Zwischenwelten“, Verlag Theater der Zeit).

Horst Sagert, Jahrgang 1934, klein, rundlich, grauer Rauschebart, malte, zeichnete, collagierte, schrieb, dichtete, bastelte. Und baute eben traumhafte Bühnenbilder. Der Vielkönner verstand sich als „multipler Künstler“, der für seine fantastisch weite Gedankenwelt in akribischster Kleinstarbeit eine adäquate Gestalt in unterschiedlichsten Genres suchte. Sagert: „Der Grund der Theaterwelt ist der Mensch, ist die Angst, wie die Sonne zu erkalten.“

 

Einar Schleef sagte über diesen herrlichen und geheimnisvollen Theaterträumer euphorisch: „Es gab einen einzigen Künstler in der DDR, Sagert, der versucht hat, die Tragödie wieder auf die Bühne zu bringen. Er war der größte Theaterkünstler, den die DDR hervorgebracht hat. Er experimentierte mit anderen Mitteln als ich – mit Rüschen, Schmuck, Federn. Aber er versuchte, ganz spielerisch den Themen heiligen Ernst zuzuführen.“ – In Lorcas „Dona Rosita bleibt ledig“ mit Christine Schorn in den DT-Kammerspielen gab es ein weißes Pferd, und als sein Leib aufriss, waren drin statt Gedärm Schmuck und Geschmeide, Perlen, Gold und Silber… Ein irrer Traum!

 

Sagert einmal (und er meinte, er war nicht unbescheiden, auch sich selbst dabei): „Die Besten gehen einen Schritt vor und dreihundert zurück. Wenn sie aus der Vergangenheit in der Gegenwart angekommen sind, bringen sie die Zukunft mit.“ Und: „Ich glaube, dass es eine Zeit gibt, die nicht vergeht….“

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