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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 82

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

14. April 2014

Renaissance Theater


Der Romancier und Dramatiker Moritz Rinke, der seine Erfolgskarriere als Aufsehen erregender Feuilletonist am Berliner „Tagesspiegel“ begann, ist mit seinem neuen, bereits an mehr als 30 deutschen Bühnen gespielten Ehekrach-Stück „Wir lieben und wissen nichts“ jetzt endlich auch in Berlin angekommen.

 

Um es gleich zu sagen: Die nach klassischen Vorbildern organisierte Zimmerschlacht zweier akademischer Mittelstands-Paare kommt nicht ganz auf die kriegerische Höhe eines Edward Albee oder einer Jasmina Reza. Doch spiegelt sie scharfsinnig und in geschliffenen Dialogen typisch-heutige Malaisen, mit denen man sich gegenseitig auf den Keks geht wie etwa diverse Gestörtheiten durch allgegenwärtige Vernetzung oder ein gewisser Öko- und Pseudo-Psycho-Heiler-Wahn. Und natürlich gibt es die klassisch-bürgerlichen Paarschaft-Komplikationen etwa bezüglich Geld, Alk, Seitensprung, Karriere- und Familienplanung.

Aufgefädelt ist das Hick-Hack im Quartett samt kreuzweis erotischer Explosionen über einen Wohnungstausch Berlin-Zürich: Die Berliner Sebastian und Hannah (Hans-Werner Meyer, Gesine Cukrowski) müssen beruflich in die Schweiz, Roman und Magdalena (Tonio Arango, Judith Rosmair) hingegen müssen aus gleichem Grund von dort nach Berlin. Bei der Schlüsselübergabe in Berlin kommt es, so hübsch wie trefflich drastisch konstruiert, zum Clinch zwischen gegensätzlichen Denkmustern, Gefühlswelten Verhaltensweisen – einerseits zwei poetisch Verträumte (Magdalena und Sebastian), anderseits zwei rational Geerdete (Hannah und Roman). Man begreift alsbald die falsche Verpaarung und ahnt: Ein grundsätzlicher Partnertausch steht nächstens an.

 

Und so geht denn ganz ordentlich die Post ab – und bleibt dennoch kleben an ihrer kabarettistisch-satirischen Oberfläche. Denn Torsten Fischer, der am Renaissance-Theater so überaus erfolgreiche Regisseur fürs hinreißend Komödiantische, der schafft es nicht, das vom Autor angelegt Tragische in der nicht unkomplizierten Figurenkonstellation ordentlich auszuloten. Und das traumhaft Fantastische, das dieser notorische Romantiker mit subtilem Hang zu sinnig-surrealen Arabesken in alle seine Texte einbaut, das bleibt seltsam platt und am Ende ins Leere auslaufend. Obendrein ist das sonst so perfekte Casting diesmal suboptimal. Allein die große Judith Rosmair ist imstande, die in ihrer Figur angelegte Größe, das ihr eigene, zwielichtig Faszinierende zu geben. Die drei anderen aber wursteln sich bloß neurotisch aufgedonnert durch ihre Nöte, Enttäuschungen, Sehnsüchte.

 

Der hellwache Feingeist Rinke schrieb eine feinsinnig unterhaltsame Komödie mit schwarz ins Tragische greifendem Generalbass. Doch den vermisse ich. Also keine flirrende Balance zwischen Holterdipolter-Situationskomik, Scherz, scharfsinnigem Witz und Melancholie über vertanes Glück, Wut über falsche Lebensentscheidungen und Weh angesichts ungenutzter Chancen. Es bleibt beim netten Amüsement.

 

Ich ahne in diesem theatralischen Missgeschick ein Dilemma: Rinke nämlich wettert unermüdlich gegen das so genannte Regisseurs-Theater, das unter dem Druck, immerzu Kreativität beweisen zu müssen, erst den Stücktext radikal umforme, um ihm dann ein inszenatorisches Paralleluniversum aufzupfropfen. Was den zunehmend unverständlichen Bühnenbetrieb generiert: Der Autor erkennt sein Stück nicht wieder, das Publikum guckt ratlos. Die lauthals beklagte Theaterkrise.

Torsten Fischer, die brave Haut, will das alles nicht. Er bleibt aus Angst vor falscher (verfälschender) Entfernung vom Rinke-Text fest an ihm kleben. An dessen Oberfläche. Anstatt spielerisch kühn mit ihm umzugehen, denn ohne den Mut zu solcherart Freiheit kommt keine Inszenierung zur wirklich großen Wirkung. Allein der selbstsüchtige Missbrauch dieser Freiheit nervt, was Rinke kritisiert. Fischers allzu vornehme und auch ängstliche Zurückhaltung, hier wurde sie zum Verhängnis.

Kino-Tipp (als herrlich hartes Osterei!)

Die perfekte, zugleich massenwirksam familiär-intime Klopperei zwischen Paaren wie Generationen liefert der tolle Literat Tracy Lett mit seinem formidablen Film-Script „Im August in Osage Country“, das keinerlei Rücksicht nimmt auf gutbürgerliche Verklemmtheiten. Klar, dass sich da Stars wie Meryl Streep und Julia Roberts (in wahnsinnigen Hauptrollen) oder Star-Dramatiker Sam Shepard (in einer grimmigen Nebenrolle) nebst anderen Groß-Könnern des mimischen Gewerbes um die Mitwirkung in diesem Film von John Letts geradezu rissen. Er wurde großartig.

 

Nun ja, Hollywood ist (Gott sei Dank!) nicht das Renaissance-Theater (obwohl: Judith Rosmair würde sogar neben der Streep gute Figur machen). Dennoch muss ich just an dieser Stelle meine Begeisterung ausstoßen über diese zutiefst beeindruckende, rabenschwarze Filmkomödie vom toll gelebten Leben und bedrohlich vor und in der Haustür stehenden Tod. Super Schauspieler-Kino mit einem selten sarkastischen Drehbuch. Beides zusammen ist außergewöhnlich für Hollywood. Rinke muss, wie auch ich, diesen unterhaltsam lebensprallen Mix aus Komik und Grauen klasse finden. Und er darf auf Constantin bauen. Die Münchner Blockbuster-Firma hat nämlich längst die Rechte für sein „Wir lieben…“. Mit dem rechten Regisseur könnte es ein Hit werden. Könnte! „Osage Country“ immerhin ist ein Kino-Kunststück! Man sollte es nicht verpassen.

Ballhaus Naunynstraße

Schick schauen sie aus, die fünf türkisch-stämmigen Herren gemischten Alters, die da im blütenweißen Hemd mit schmaler schwarzer Krawatte und gut gebügeltem dunklen Anzug antreten als „Süpermänner“ auf dem blitzblanken Parkett in der Naunynstraße. Sie sollen uns endlich zeigen, was den türkischen Mann nun wirklich ausmacht, von dem – jenem Abkömmling der „Parallelgesellschaft“ - seit einem halben Jahrhundert hier immer bloß die Rede ist als „teetrinkender Patriarch, mandeläugiger Importbräutigam, prügelwütiger Macho, als fleißiger Hartz-IV-Empfänger oder sich unentwegt am Sack kratzender Verrücktblütler“.

Soweit die offizielle Ankündigung dieser Ballhaus-Veranstaltung, die zur Premiere große Neugier und beträchtlichen Medienauftrieb entfachte.

Freilich, schon das „Ü“ im Titel verrät den Widerhaken: Hier nämlich toben keine Super-Helden und auch keine Klischee-Türken übers Parkett. Vielmehr treten auf ganz unterschiedliche Art irritierte, gequälte, gebrochene, verwunderte oder gar traumatisierte Menschen auf – und erzählen uns davon in bewegender Offenheit.

Und dieses Erzählen vom erlebten Leid (und Glück), diese teils erschütternden oder entsetzlichen, teils komischen Lebensbeichten, dieses Generationen übergreifende Offenbaren von schönen Triumphen und schrecklichen Niederlagen ist durchaus schon Heldentat genug – nicht nur unter Osmanen im verkrampft-verbissenen Maskulin-Wahn.

 

Die Filmschauspielerin Idil Üner („Gegen die Wand“, jetzt im Engagement am Gorki-Theater), sie hat dieses spannende dokumentarische Recherche-Projekt entwickelt. Es stützt sich auf die Selbsthilfegruppe „Aufbruch Neukölln“, die von dem Psychologen Kazim Erdogan für Männer und Väter mit türkischen Wurzeln im Jahr 2007 gegründet wurde. Ihr Kern besteht aus 40 Männern, und man diskutiert über Kindererziehung, gewaltfreies Familienleben, über Vorurteile auf türkischer wie deutscher Seite. Mittlerweile soll es 20 solcher Gruppen in Deutschland geben; ein guter Anfang.

 

Der durchaus ziemlich besondere Abend fesselt allein durch Authentizität. Durch überraschend tiefe Einblicke in ganz unterschiedliche, unterschiedlich krumme, schwierige, uns dabei sehr nahe gehende Lebenswege. Da lenkt es nur ab, dass die Autorin Idil Üner meint, als Regisseurin die von des Schicksals Härte gezeichneten Berichte der fünf großartigen Männer noch drapieren zu müssen mit läppisch szenischen Garnierungen. Hat doch die Sache nichts zu tun mit Theater, mit Figur, Rolle, Dialog. Sie ist vielmehr gut gemachter, schnörkellos vorzutragender Journalismus, den zu vertheatern seine Wirkung nur schwächt. (Heute wieder, am 14. April. Und vorerst noch einmal morgen, am 15. 4.)

Kosky ist der Größte!

Gerade wurde aus London vermeldet: Barrie Kosky, Chef und Chefregisseur der Komischen Oper, wurde Gewinner des International Opera Awards. Für seine, wie es heißt, „weltweit provokanten, herausfordernden Inszenierungen“. Neben Berlins Opern-Darling waren Koryphäen im Rennen wie Calixto Bieito, Tajana Gürbaca, Martin Kusej, Dimitri Tcherniakov und Graham Vick.

Koskys Kommentar: „Oper macht man nicht allein. Ich sehe diese Auszeichnung als eine für alle, mit denen ich zusammen arbeite, auf und hinter der Bühne.“ – Nun dürfen sich alle schwarz ärgern, die kürzlich die von Alice Ströver moderierte „Kulturmacher in Berlin-Veranstaltung“ mit Barrie in der Ruhrstraße verpasst haben. Ärgerlich nur, dass wir diese denkwürdige Talkshow -- Kosky schwärmt von ihr allerorten! -- nicht aufgezeichnet haben.

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