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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 75

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

24. Februar 2014

Maxim Gorki Theater


Reiner Zufall, dass kurz nach dem Outing von Starfußballer Thomas Hitzlsberger der auch international höchst erfolgreich agierende Regisseur und Autor Falk Richter mit seiner „Recherche“ über schwule Identität, über alle nur denkbaren Geschlechter- und Beziehungsmodelle am Gorki herauskam. Ihr Titel, nach dem Bronsky-Beat-Hit, der süß-sanften Coming-out-Hymne von 1984: „Small Town Boy“ .

 

Es geht also um Identitätssuche, um Coming-Out-Geschichten mit sexuelle Selbstfindung nebst ihren großen und kleineren Katastrophen, aber auch um Agitation gegen staatlich verordnete Homophobie (Russland!). Und es geht darum, wie das so läuft, wenn die sexuelle Selbstfindung modisch-blöd oder eitel-kommerziell verwertet wird beispielsweise in Kunst-Projekten. Man kann sagen: Richters drastisch und witzig formulierte „Recherche“ ist ein rasendes Hin-und-Her zwischen agitatorischen Kampfeinsätzen, gespielten Beziehungskistchen, schlagfertigen Diskursen, Slapstick- und Musikeinlagen; alles immerzu taumelnd zwischen Empathie und Distanz, Kabarett, Agitprop, Parodie und Seelenschmerz – wie das etwa so ist mit geilen Sehnsüchten und partnerschaftlicher Verbindlichkeit, mit den Verlassens- und Versagensängsten und den Kollisionen, wenn da womöglich komplexe Selbstverwirklichung zusammen kracht mit dem „System“, das uns ja alle zu „reinen Leistungsobjekten zurichtet“ (Richters wohlfeil theatralisches Generalthema).

Falk Richters chaotisch-journalistisches Projekt liefert im Prinzip ungestüm Gebrauchsanleitungen zum mutigen Erwachsenwerden. Obendrein zeigt es äußerst grelle, schwer schockierende Warnbilder vor gängigen Ressentiments und vor allem vor einschlägig politischer Repression (dass es dabei einige peinlich dämliche Querschläger gegen hiesige Regierungspolitiker gibt, sei nicht verschwiegen).

 

Immerhin ist zu konstatieren, dass Richter zumindest ein bisschen die unheimliche Lücke ausgefüllt, die da klafft zwischen dem beifallumtosten Bekenntnis des weltberühmtesten schwulen Fußballers und den so klammheimlichen wie zentnerschweren schwülen Ressentiments einer letztlich doch nur sehr partiell aufgeklärten, sehr partiell liberalen westlich-bürgerlichen Gesellschaft.

Die zwischen Aufklärung, Provokation und bittersüß rockendem Entertainment arg wankende, dabei enorm komödiantische Zwei-Stunden-Veranstaltung wird von einem rhetorisch, musikalisch, artistisch und spielerisch supertollen Quintett virtuos vorgeführt (Mehmet Atesci, Niels Bormann, Lea Draeger, Aleksandar Radenkovic, Thomas Wodianka). Wieder am 25. Und 28. Februar. – Und wieder ist zu sagen: Die Gorki-Truppe strotzt vor Talenten!

Büchertipp

Was für ein Aufstieg: Nach der Schule die Koffer gepackt (voll mit Lebensmitteln), und mit 22 Lenzen aufgemacht ins Euro-Land nach Meinigen. Denn nur in Deutschland gibt es ein Groß-Repertoire für Sänger; zu Hause in Lettland kein Mozart, kein Händel, kein Rossini. Immer nur bloß Puccini und Verdi. Elina Garanca wusste, daheim hat das Kind einer Musikerfamilie keine Chance. Und über ihre Gesangslehrerin Irina fand Elena einen Aufruf der damals im thüringischen Meiningen amtierenden Intendantin Christine Mielitz, sich für die Hosenrolle des Octavian im „Rosenkavalier“ zu bewerben. Also – ohne Deutschkenntnisse auf nach Thüringen, Vorsingen, Abwarten. Dann der Schicksalsbrief ins Baltikum: Drin ein Vertrag! Also die Lebensmittelbüchsen und Salamiwürste ins Gepäck gestopft, Einstudieren, Auftreten – und eine beispiellose Karriere angefangen.

„Am 13. Februar 1999 stieg ich in Riga in den Bus nach Berlin. Nach 20 Stunden stieg ich beim Tiergarten aus“ (es muss der ZOB am Funkturm gewesen sein!). „Und dann suchte ich die Zugverbindung nach Meiningen…“ So steht es in der Biografie des Opern-Superstars Elina Garanca „Wirklich wichtig sind die Schuhe“ (Ecowin Verlag Salzburg).

Tatsächlich, richtiges Schuhwerk (und ordentlich Essen!) ist überlebenswichtig auf der Opernbühne, wo man oft lange, lange stehen muss und eine stabile Grundlage braucht. Elinas zweitwichtige Grundlage für den Ruhm: ihre Stimme. Darüber und über den so mutigen wie schweren Anfang und dessen oft noch viel schwerere Fortsetzung plaudert der Superstar (Vorbild: Joan Shuterland) so anschaulich wie freimütig in ihrem Buch. Amüsante Lektüre für jeden Theaterfreund; für Opernfans sowieso. In Berlin übrigens singt der Mezzo-Star mit Hollywood-Appeal sowohl an der Deutschen Oper (Octavian, Carmen) als auch an der Staatsoper (in Mozarts „Titus“, mit dem sie 2003 in Salzburg auf einen Schlag Weltruhm kassierte).

 

„Für den Octavian ging ich extra auf Fußballplätze, um zu sehen, wie sich junge Burschen bewegen und inszenieren. Ihre Gestik, ihre Blicke halfen mir, Frische und Übermut junger Männer realistisch zu spielen.“

Nebenbei bemerkt, zumindest für das erste Quartal 2014 hat die Garanca, verheiratet mit dem in aller Welt arbeitenden Dirigenten Karel Mark Chichon, sämtliche Termine abgesagt. Der schöne Grund: Die Geburt der zweiten Tochter Christina Sophie Anfang Januar in London; ihre Erstgeborene, die knapp zweijährige Catherine Louise, trällert schon.

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