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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 7

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

22. Oktober 2012

Friedrichstadt-Palast


Wer scharf ist auf Märchenpaläste, Kronleuchter, Wolkenstores wird verdattert dreinschauen: Die weltweit größte Bühne vom Friedrichstadt-Palast gleicht – wie weiland Neu-Bayreuth einer entleerten Kathedrale. Doch dann glimmt Farbe, blitzt, schimmert, flimmert Licht, rast das sagenhaft kostümierte Ballett durch die Halle. Und uns juckt der Hintern im Parkettsessel zum rockig rauschenden Sound der Musik. Dazu wirbelt Schaum, schweben Seifenblasen, weht feiner Sand, stürzt Wasser vom Himmel. Lauter optische Sensationen voll Poesie und Charme. Sagenhafte Stimmungsmalereien, frappierende Verwandlungen. Nervenkitzel bei der Artistik hoch droben. „SHOW ME“, die Neun-Millionen-Euro-Show und mit 162 Mitwirkenden die rein zahlenmäßig größte der Welt, die gleißt, swingt, witzelt. Alles very stylish, total kitschfrei. Extrem ästhetischer High-Tech-Perfektionismus; ohne Thema, ohne Moderation. Sehr zum Staunen.

Renaissance-Theater

Alles, was die lieben Kollegen vor gut einem Jahrzehnt an Euphorie und Wut, Gold oder Dreck in die Feuilletons geworfen haben bezüglich „Regietheater“ (Zerschlagung des Dramas, Auflösung der Figuren, Verwirrung der Erzählstrukturen), das hat Theresia Walser anno 2006 in einen Pott geschmissen und daraus ihr bissiges Konversationsstück „Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“ destilliert: Drei Schauspieler fetzen sich über den Tiefsinn von Verfremdungsorgien und den Blödsinn von Stückeverwurstung, über die Differenz zwischen fiktiver Figur und privater Identifikation, also zwischen Ich und Rollenspiel, über Kräche mit ehrgeizigen Regie-Tyrannen und egomanischen Rampensau-Kollegen. Das eitle Knurrhahn-Trio giftet hemmungslos über den Bühnenbetrieb, motzt aus den mit Nadeln gespickten Nähkästchen des Berufs. Mit dem scharfzüngigen Klasse-Trio Jörg Gudzuhn, Guntbert Warns, Robert Gallinowski wird die verbale 60-Minuten-Klopperei zum hochkomischen, aufschlussreichen Amüsement im Renaissance-Theater.

Deutsches Theater

Gerade rast Jasmina Rezas Bühnen-Bestseller „Gott des Gemetzels“, verfilmt von Roman Polanski, als Hollywood-Blockbuster durch die Kinos. Und ihre Komödie „Kunst“ schäumt seit Jahren unentwegt auf vielen Bühnen dieser Erde (gerade auch im BE). Weil: die angeblich in der Welt meistgespielte französische Autorin beherrscht wie kaum eine sonst die schwere Kunst, in den bürgerlichen Glitzerboulevard flott Löcher zu hacken, in denen sich die finstersten Abgründe des artig Zivilisatorischen auftun. Und nun ein neues Reza-Stück mit dem sperrigen Titel „Ihre Version des Spiels“. Bereits Wochen zuvor wurde die „Welt“-Uraufführung am Deutschen Theater journalistisch hoch gejubelt als DIE Sensation. Allein schon, weil Superstar Corinna Harfouch mitmacht, der auch ich – es sei verraten   rücksichtslos zu Füßen liege. Nun, da das Getöse verhallt und das annoncierte Wunder in Augenschein genommen, da schwillt Ernüchterung: Kein Pointenfeuerwerk, kein Höllensturz. Dafür viel hochtrabendes Kulturbiz-Blabla in einem flachbrüstigen Feuilleton-Stückchen über Autorenlesungen, die, das wusste bereits Mark Twain, wie „Hexensabbat“ sind. Also es geht um das vertrackte Verhältnis zwischen Kunst und Wirklichkeit: Eine Großschriftstellerin (Harfouch) auf einer Talkshow-Lesung, eingeladen von einem verklemmt literaturbeflissenen Bibliothekar-Bübchen (komisch-traurig: Alexander Khuon). Dazu eine alerte Moderatorin (durchtrieben sensationslüstern: Katrin Wichmann), die dreist im Seelenleben ihres Promi-Gegenübers bohrt. Es soll gucken lassen, was die erfundenen und in einen Mord verstrickten Romanfiguren mit seinem realen Privatleben zu tun haben könnten. Doch die ätzend mürrische Schreiberin sperrt sich. Und der Clinch zwischen dem hämisch dauergrinsenden Gazetten-Girlie und der nervös ladyliken VIP-Literatin wird zum grausig-grotesken Weibergroßkampf. Den Rest der Veranstaltung darf man vergessen. Viel insiderisches Geplapper, dem die wenig ingeniöse Regie von Stephan Kimmig kaum katastrophenhaltige Leerstellen abzuringen vermag. Freilich, der Harfouch gelingt allemal eine hart an der Tragödie entlang hangelnde Balance zwischen gehetztem Reh und beißender Löwin, leidender Schmerzensfrau und wütendem Widerstandsweib. So erwächst im kleinen schmutzigen, in jeder Hinsicht provinziellen Talkshow-Krieg der Harfouch die starke Figur einer arg zerbrechlichen, latent hysterischen Dichterin mit blank liegenden Nerven die sich zugleich geistesstark als Künstler-Diva und Dame von Welt so trotzig wie verführerisch zu behaupten weiß.

Andalusien in Kreuzberg

Zum Schluss ein Erlebnis der besonderen und – O Gott! – sportiven Art des Mitmachtheaters. Furioses Vorspiel unter der erhabenen Kuppel der Passionskirche am Marheinekeplatz: Flamenco mit Laura la Risa und Jose Galvan – lauter kleine bittersüße Dramen zwischen Weh und Krach, Sentiment und Härte atemberaubend als Tanz. Danach in Lauras Studio Flamenco-Party für jedermann: Schultern zurück, Arme hoch, Hohlkreuz, Hüftschwung, Kopfrucken, Fingergymnastik und mit den Hacken aufs Parkett gestampft, dass es nur so knallt. Zum Abheben! Die Seele fliegt! Herrlich! Wer Lust hat, kann sich in Lauras Flamenco-Schule in den „Höfen am Südstern“ perfektionieren; spart die Fitnessbude. Olè!

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