Molieres „Tartuffe“ ist die große Komödie von einem durch religiöse Heuchelei und durchtriebene Verführungskunst manipulierten Familienvater (Orgon), der in einer als haltlos empfundenen Welt Halt suchend sich einem Menschenfänger (Tartuffe) hingibt und ihm beinahe alles opfert. Aus diesem gallig wogenden Aberwitz vom Aussetzen aller Vernunft macht der neue Schaubühnen-Hausregisseur Michael Thalheimer kurzerhand eine starre Karikatur total Verblödeter, die in einer engen, vergoldeten Schachtel steckt und schließlich auf dem Kopf steht (Olaf Altmanns sinnfälliges Bühnenbild ist der einziger Lichtblick der Veranstaltung). Da rattert und rotiert also ein technisch perfektes Aufsage-, Rumschrei-, Grimassier- und Verrenkungstheater. Mit super Schauspielern wie Ingo Hülsmann und Lars Eidinger, Regine Zimmermann oder Judith Engel. Garniert ist die 90-Minuten-Performance von lauter Zombies mit endlos herunter geleierten Bibelzitaten.
Im Sommer trieb Luc Bondy im Wiener Burgtheater das Stück aus dem allgemeinmenschlichen Tollhaus radikaler Wirklichkeitsverweigerung mit leichtester Hand in schwerstes Entsetzen. Kein Zerrbildtheater, sondern spannendes Menschenspiel! Zählt zu meinen Theater-Höhepunkten des Jahres! Claus Peymann plant ein Gastspiel in seinem Berliner Ensemble – nicht verpassen, wenn es soweit ist. Wer hingegen diese gespreizte „Tartuffe“-Klamotte verpasst, muss sich überhaupt nicht ärgern. ‑ Was aber hätte da werden können mit diesem Ensemble sowie einem anderen, zumindest weniger plakativen Zugriff.
Ja leider, Berlin hat noch immer kein solches, sondern nur die kleine feine so genannte Theaterabteilung im Märkischen Museum. Doch die „Initiative Theatermuseum Berlin e.V.“ mit Klaus Wichmann an der Spitze kämpft seit langem unverdrossen um die Einrichtung eines „richtigen“, also eigenständigen Theatermuseums. Die kontinuierlich anwachsenden, kostbaren Bestände (darunter mehrere ererbte, in sich geschlossene Sammlungen) lagern in mehreren über die Stadt verstreuten Archiven und warten sehnsüchtig auf dauerhafte Präsentation in der Öffentlichkeit.
Da lässt nun jetzt der so verdienstvolle Herr Wichmann eine Kostprobe gucken ‑ inmitten vom Weihnachtstrubel in der Kreuzberger Marheineke-Markthalle, in deren Galerie in der oberen Etage. Sie zeigt (freilich kurz gefasst) in anschaulichen Dokumenten die Geschichte der Staatsoper samt ihrer vielen wagehlasigen Umbauten und faszinierenden Umbauplanungen – vom friderizianischen Anfang bis zur Rekonstruktion heute. Dabei wird klar: Der Baugrund im Berlin-Warschauer Urstromtal (Sumpf und Sand) war schon immer das Grundärgernis; die gegenwärtige Reko wird mithin dauern. ‑ Teil zwei der liebevoll improvisierten Schau: Eine Illustration des prachtvollen europäischen Barocktheaterbaus. In Bayreuth (nicht zu verwechseln mit Wagners Walhall) und in Drottingholm stehen unversehrt edelste Beispiele. -- Jeder Theaterfan sollte sich ein Stündchen Zeit nehmen für diese schöne kleine, aufschlussreiche Show der Fotos, Modelle, Zeichnungen, Plakate. Im Anschluss mag man getrost Futtern und Einkaufen unten im Markthallengewusel (noch bis zum 11. Januar; wochentags 8 bis 20 Uhr, samstags 8 bis 18 Uhr; Eintritt frei/ FVB-exklusive Führung).
Volker Brauns „Übergangsgesellschaft“ ist eine Übermalung von Tschechows Lebenslüge- und Stillstandskomödie „Drei Schwestern“, 1987 von Thomas Langhoff am Gorki DDR-erstaufgeführt. Braun lieferte eine präzise DDR-Standortbestimmung zwischen sozialistisch heller Utopie und finsterer realsozialistischer Wirklichkeit. Ein Satz wie „Die Revolution kann nicht als Diktatur zum Ziel kommen“ hätte jeden Bürgerrechtler sofort in den Knast gebracht. Von der Gorki-Bühne geschleudert, schlug das ein wie eine Bombe. Da brannte die Luft!
Ein Vierteljahrhundert später wird das Theater der Väter, das etwas sagen und dem Publikum etwas aufhelfen wollte in seiner Not und das obendrein allgemeinmenschliche Seelenqualen subtil beschrieb, das wird jetzt von den Söhnen (von Lukas Langhoff, von dessen Dramaturgen Holger Kula) nassforsch zum totalen Gesülze reduziert. Eitel Lukas fällt weder zu Tschechow noch zu Braun etwas ein und auch nichts wirklich Triftiges zur Gegenwart. Dafür lassen ein paar schräge Typen unentwegt bloß allgegenwärtig läppischen Frust ab, blödeln und lachen sich halbtot dabei. So geht der Übergang des Politischen ins Banale. Da brennt keine Luft mehr. – Bleibt höchstens die Frage: Ist derart einfältiges Theater womöglich doch ein weiter greifendes Symptom?
Weihnachtskonzert zu Hause auf der Kommode neben dem Schreibtisch mit einem Traditionsorchester: Die Sächsische-Erzgebirgische Privatkappelle „Kühne & Wendt“ (seit 1915) in ganz großer Besetzung, die himmlisch hölzernen Heerscharen im possierlichen Fünf-Zentimeter-Kleinstformat in bester Verfassung musizierend auf der luxuriös breiten blauen Wolke mit den sechs Stufen und goldenen Sternlein drauf. Dabei haben die ältesten als Engel verkleideten Instrumentalisten knapp 90 Dienstjahre auf dem Buckel mit den grünen Flügeln dran; ein jeder mit korrekt elf weißen Punkten geschmückt. – „Jauchzet frohlocket…!“
1. Komödie Mörder, ärgere dich nicht!
2. Deutsches Theater Völlig aus dem Häuschen
3. Chamäleon Theater Die glorreichen Sieben
1. Volksbühne Tödlich zunehmende Verzweiflung. Gedenken an René Pollesch
2. Berliner Ensemble Daseinsnot und Künstlerelend
3. BuchTipp: Manfred Karge „Eigentlich immer Glück gehabt. Begegnungen und Begebenheiten“
1. Vagantenbühne Nicht nur zum Zugucken
2. Deutsches Theater Zweisprachige Tragödie
3. Theater Strahl Rennen und Springen
1. Kleines Theater am Südwestkorso Erben und erben lassen
2. Staatsballett Berlin Zeitgenössisch und klassisch
3. Kino Babylon Hans Dampf in allen Gassen
1. Renaissance-Theater Sommerfrische im Winter
2. Schlosspark Theater Tu, was dir gut tut!
3. Neue Nationalgalerie Vom Revue-Girl zur Menschenrechtlerin
1. Schaubühne Lied vom Leid der Vereinsamung
2. Berliner Ensemble Prinzipientreue, Prinzipienreiterei
3. Noch einmal Berliner Ensemble Bubikopf, Beruf und Lust auf freie Liebe