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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 56

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

7. Oktober 2013

Komödie am Kurfürstendamm


Es war der Kino-Hit des letzten Jahres: Allein in Deutschland sahen bisher neun Millionen die französische Filmkomödie „Ziemlich beste Freude“ , aus der Gunnar Dreßler jetzt eine stringente Bühnenfassung formte; sprachlich funkelnd mit scharfen Dialogen und mit allerhand schwarzem Humor.

Zur Erinnerung: Es geht um einen vom großen Zeh bis zu den Schultern querschnittgelähmten steinreichen Pariser Bourgeois, der von einem prolligen Underdog mit Migrationshintergrund gepflegt wird und durch ihn, durch dessen frechen Witz und unverstellte Menschlichkeit, ein gehöriges Quantum Lebenslust zurück gewinnt.

 

Theaterdirektor Martin Woelffer inszenierte die in rascher Folge wechselnden Szenen mit leichter Hand und einigem Sinn für Situationskomik sowie für effektvolle Musik von Klassik bis Pop. Freilich haperte es anfangs mächtig am optimalen Timing der musikalischen Zwischenspiele, deren Überlänge den Sog der aneinander gereihten, relativ kurzen, doch prägnanten Szenen arg störte. Auch verpasste der Regisseur schöne Möglichkeiten, das „Ziemliche“, das zwischen den besten Freunden (Erdal Yildiz & Mike Adler) steht, pointierter herauszuschälen. Und mit mehr Mut zur Fantasie hätte Woelffer dem charmanten Aberwitz so mancher Szene kräftiger aufhelfen können. Außerdem machen die beiden so gegensätzlichen Protagonisten einiges an innerer wie auch äußerlicher Wandlung durch. Sie stehen am Ende ein bisschen anders da als vor ihrer Bekanntschaft – auch das hätte die Regie stärker akzentuieren können, ohne gleich ins Plakative zu fallen. Das wäre dann die verfeinerte Art der ansonsten halt bloß flotten Regiearbeit gewesen.

 

Doch lassen wir die Mäkelei, „flott“ ist ja bei einer Komödie auch schon was! Kommen wir endlich zum Star des Abends: Mike Adler als ziemlich unkonventionelle Pflegekraft. Der Mann mit dem urdeutschen Namen und dem Aussehen eines wie unter südlicher Sonne Geborenen, kam in Berlin zur Welt, entstammt der Rapper-Szene und ist studierter Schauspieler (Filmhochschule Babelsberg), der sich an berühmten Theatern unter berühmten Regisseuren und im Filmgeschäft längst bewährt hat. Der Mann verfügt über eine unverwechselbare Aura, über intensive Bühnenpräsenz sowie über eine herrliche Leichtigkeit und – ja doch! – Eleganz. Er ist das Kraftzentrum der Aufführung. Der Mittdreißiger hat das Zeug, groß rauszukommen in Entertainment und Boulevard   aber eben auch im Dramatischen. Er ist ein Komödiant von Graden, der wohl auch Tragödie kann; ist vehement spielerisch und sehr besonders bis hin zum trefflichen Umgang mit der Sprache.

Alles in allem ein schöner, unterhaltsamer Abend (en suite bis 15. November). Mit einem geschliffenen, klamaukfreien Stück – ein Bravo allein für den Einkauf des für Berlin neuen Werks, das obendrein ganz unaufdringlich gespickt ist mit sozialkritischen und moralisierenden Querverweisen, das also bei aller raffinierten (seltsamen) Konstruktion gesellschaftlich geerdet ist. Mit prima Mitspielern. Und mit dem Casting-Coup Mike Adler; einem, wenn alles gut geht, künftigen Superstar.

Renaissance Theater

Thomas ist sauer: „Zu alt, zu jung, zu dick, zu dünn, mit Brille oder wie eine Nutte.“ Keine der vielen Damen, die da antanzten zum Casting, passt ihm, dem berühmten Broadway-Regisseur, der sein neues Stück herausbringen will. Es geht um die Besetzung der Hauptrolle namens Wanda   eine vertrackte Sache. Denn das Stück heißt eindeutig vielsagend „Venus im Pelz“, und jedermann ahnt die Schwierigkeiten. Erst recht, da es sich um die Bearbeitung einer Novelle des altösterreichischen Skandal-Autors Doktor Leopold Ritter von Sacher-Masoch handelt. Die einen sagen, das um 1870 verfasste Kunstwerk, das in Deutschland übrigens bis 2001 auf dem Index stand, sei eine so exzessive wie großartige Liebesgeschichte. Die anderen sagen, „Venus im Pelz“ sei nichts anderes als Pornographie. Immerhin, das Briefpapier des aristokratischen SM-Spezialisten zierte noch in dessen hohem Alter eine kühn die Peitsche schwingende Domina...

 

Nun ist mittlerweile allbekannt, dass harter, einvernehmlicher Sex heutzutage alltäglich und leicht zu haben ist. Die Aura des Skandalösen hält sich in Grenzen. Doch davon ist auch gar nicht die Rede in diesem hoch eloquenten Konversationsstück. Denn der amerikanische Autor, den das Times Magazin zu den „100 klügsten New Yorkern“ rechnet, nutzt des edlen Ritters tollen Text über dämonische Obsessionen und furiose Entgrenzungsgelüste kühn als Steinbruch für eine ganz gegenwärtige Geschichte über das, was so alles stattfinden mag zwischen Mann und Frau – zwischen den von ihm erfundenen Figuren Regisseur Thomas (Michael von Au) und Schauspielerin Wanda (Anika Mauer), die da beim Casting aufeinander prallen und häppchenweise die Novelle spielerisch durchexerzieren. Das Casting quasi als improvisierte Bühnenprobe.

 

„Venus im Pelz“ ist sozusagen ein raffinierter Mix aus Sado-Masochs Text und kommentierendem Ives-Text, wobei der Amerikaner enorm weit ausholt. In fein ziselierten, scharfen Dialogen (Übersetzung der deutschsprachigen Erstaufführung: Michael Raab) wird vehement abgehoben ins Mythologische, Tiefenpsychologische, Moraltheoretische, Philosophische, Kunsttheoretische – auf dass uns die Rübe mächtig raucht bei all dem rasenden Gedankenfuror, der sich zuweilen auch einigermaßen verirrt ins Überdrehte, Verstiegene, Verschmockte. Wäre da nicht das sensationelle Doppel Anika Mauer & Michael von Au, auf deren federnde Souveränität im Presto-Presto-Diskurs der Regisseur Torsten Fischer sich voll verlassen konnte. Was für ein Vergnügen, aber eben auch anstrengend. Letztlich aber triumphiert die hinreißende Präsenz der beiden Protagonisten.

Buchtipp

„Als ich einmal meinen Freund Frank Castorf fragte – er stand gerade (warum ich dabei war, weiß ich nicht mehr) unter einer Dusche  , wie er das denn alles hinbekomme mit den Freundinnen, über die er in einem fort jammert, und den vielen Kindern (sechs oder sieben sind es mittlerweile), und ob das nicht, vor allem organisatorisch, schwierig sei, da musste er nicht einmal nachdenken, um mir zu antworten: „Weeste Leander, ick lass et einfach loofen.“ – Ich verstand ihn sofort, war ein bisschen neidisch auf seine Freiheit und sage jetzt dasselbe: Ick lass et einfach loofen.“

 

Das ist der Prolog von Leander Haußmanns 200-Seiten-Memoiren (mit 54 Jahren Memoiren!), die soeben, vor fünf Tagen, erschienen sind unter dem propagandistisch voll wirkungssicheren (hinsichtlich der künstlerischen Fähigkeiten des Regisseurs allerdings nur halb zutreffenden) Titel „Buh“  im Verlag Kiepenheuer & Witsch; 18,99 Euro.

Haußmann, gelernter Drucker, nach seinem Schauspielstudium an der Berliner „Ernst-Busch“-Schule unterwegs als rotierende Skandalnudel in der ostdeutschen Provinz. Nach der „Wende“ vom gesamtdeutschen Feuilleton gefeiert als Jung-Star-Regisseur (Nationaltheater Weimar, Einladungen zum Berliner Theatertreffen). Dann Intendant des damals im ideologischen Grau eingeschlafenen Schauspielhauses Bochum, das er unsanft erweckte mit Skandalen hinter den Kulissen und mit grell sinnlichen, saftig poetischen Inszenierungen auf der Bühne. Dann herumreisender Theater- und Opernregisseur plus Filmregie: „Sonnenallee“, „Herr Lehmann“, „NVA“, „Kabale und Liebe“, „Hotel Lux“ (großartig!); zuletzt „Hai-Alarm am Müggelsee“ (so lala-blabla) und ganz zuletzt der TV-Polizeiruf „Kinderparadies“ (wieder ganz und gar großartig!!). Daneben zahlreiche Filmrollen.

 

Ein berühmter Kritikerkollege nannte ihn nassforsch „Deutschlands fröhlichste Regienull“. Quatsch! Das mit der Null ist unverschämt unzulässig verallgemeinert. Das „Fröhlichste“ jedoch stimmt; abgesehen von Haußmanns melancholischem Grundeinschlag.

 

Haußmann, den Claus Peymann „ewiges Enfant terrible“ nennt und gerade den „Hamlet“ proben lässt (BE-Premiere Mitte November), Haußmann ist ein Neurotiker und Komiker von sehr hohen Graden. Mithin kennt er ganz genau das dauernd heulende Elend der Welt – einschließlich seines eigenen, wovon sein so freches wie wehes Buh-Buch vor allem handelt.

 

Dass er es einfach so loofen lässt wie Kumpel Frankie, mag stimmen und auch nicht. Denn Castorf ist natürlich – wie Haußmann auch – ein Meister der kecken Pointe. Und die, diese Übertreibung namens „Buh“, stimmt stets nur zur Hälfte überein mit der (meist bitteren) Wahrheit. – Lebenskunst und Kunst überhaupt heißt durchaus: Es loofen lassen zu können. Aber es immer und immer wieder auch anzuhalten!! Beide, Haußmann & Castorf, haben es hinlänglich bewiesen; Castorf freilich am künstlerisch wirkungsvollsten. Er wurde schließlich weltberühmt, was Kumpel Haußmann ihm (hoffentlich) nicht neidet.

 

Das Defizit zum, sagen wir mal forsch, Herzensfreund Castorf, mag unter vielem anderen der Grund gewesen sein für Haußmanns bemerkenswert vehementes „Buh“ an sich selbst, was sich nun gleich zu einem ziemlich selbstkritischen und selbstironischen Buch weitet – irgendwie muss man schließlich mit seinen Misserfolgen fertig werden; womöglich ist Castorf diesbezüglich gar der größere Wegstecker.

Zugleich aber feiert Leander Haußmann, der ein geiles und schlimmes Ekelpaket sein kann – „ewiges Enfant terrible“ sagt milde Claus Peymann, zugleich feiert er, der mit 30 Jahren immerhin „hottest Director in Deutschland“ war, neben seinen ungeniert, ja geradezu exhibitionistisch ausgestellten Flops seine feinen, edlen, sensiblen, großartigen Charakterseiten nebst den entsprechenden Kunstveranstaltungen.   „Damals hatte ich viele lustige Ideen“, sagt er über die Zeit als „hottest Director“. Heute bin ich für jede lustige Idee, die ich nicht habe, dankbar.“ Wir werden ja sehen mit „Hamlet“, Mitte November...

 

Überdies erfährt man in diesem anekdotisch komponierten Buch viel darüber, wie das geht: Theater zu machen und Film. Man hat, wie der Autor, seinen Spaß am Kramen im Nähkästchen der Kunst wie dem des allgemeinen wie privaten Lebens. Vor allem, wenn man ein so begnadeter Schreiber ist (diesbezüglich ist der Titel total irreführend). Dieser Mann kann es – als federleichter Feuilletonist seiner verrückt schäumenden Daseinsgeschichte. Enormes Lesevergnügen. Frei von Schreibschweiß; fast frei von Koketterie. Leander lässt es einfach loofen. Und es läuft und läuft. Aber es läuft niemals über. Ein souveränes Kunststück. Bravo „Buh“.

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