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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 51

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

2. September 2013

Vaganten-Bühne


Mehr als 200 Vorstellungen im Jahr, Platzauslastung knapp unter 80 Prozent; ein griffiger Repertoire-Mix aus zeitgenössischer Dramatik (darunter Ur- und deutsche Erstaufführungen) mit modernen Klassikern, literarisch-(musikalisch)-parodistischen Minirevuen sowie Projekten als Reaktion auf aktuelle Themen – das 99-Plätze-Theaterchen direkt neben dem Großtanker Theater des Westens ist eine der feinen und sehr sympathischen (privaten) Hauptstadtbühnen. Mit überwiegend jugendlichem Publikum, das sich gern auch im hauseigenen Theaterclub tummelt. Bravo!

Die Vaganten-Bühne an theaterhistorisch bedeutsamem Ort im Souterrain vom Delphi-Kino, Eingang Kantstraße (Künstlerische Leitung und Geschäftsführung: Jens-Peter Behrend), überrascht zu Saisonbeginn mit frischem Outfit: 666 000 Euro aus Lotto-Mitteln sind geflossen. Ins dezent schicke Foyer und vor allem in die technische Ausrüstung sowie in Maßnahmen zur Lüftung und Dämmung (Prophylaxe gegen Wassereinbrüche – die Kellerlage!).

 

In die neue Spielzeit starten die Vaganten bezeichnenderweise nicht klein, sondern programmatisch fulminant: Mit einem Gipfelwerk deutscher Dramatik, nämlich „Danton“ von Georg Büchner, das der jugendliche Autor anno 1835 mit genialischer Hand in nur knapp fünf Wochen hinwarf. Es ist eine geradezu modern protokollarische Auseinandersetzung mit dem Ruhm und Elend der Französischen Revolution sowie der Tragik des Menschseins im Allgemeinen. Es geht um die mörderische Kehrseite jeglicher Revolution (wie gerade jetzt wieder). Um die massenhaften Opfer des (vermeintlichen) Fortschritts. Um den Menschen überhaupt als Opfer seines Drangs zum Besseren und Höheren und seines tragischen Zwangs, erkennen zu wollen trotz seines Wissens, letztlich nichts wirklich wissen zu können. Büchner schrieb ein so grandioses wie schmerzliches Stück über dieses ewige und geradezu wahnsinnige wie irrwitzige Wollen und Drängen. Und die unmögliche Sehnsucht nach Lassen, nach Ruhe. Also um die immerwährende menschheitliche Daseinsnot jenseits aller Revolutionen, jenseits allen Fortschritts und Fortschreitens.

„Danton“ ist soziales Drama, Lehrstück, Groteske, Tragödie, Grand Guignol, Jahrmarktsposse, ist surreales Gedicht und pathetischer Aufschrei der Entrechteten wie der Gerechtigkeitskämpfer. Ein geballtes, ja monumentales Gesamtkunstwerk, mit dem eine Kleinbühne schon allein bezüglich der Figurenfülle überfordert sein muss. Das weiß natürlich auch Regisseur Martin Jürgens, ein gestandener Philologe und Theatermacher. Deshalb gibt es Büchners Meisterwerk auch nicht im Original, da nämlich heißt es „Dantons Tod“, sondern in einer klugen, den Autor nie vergewaltigenden Digest-Fassung unter dem allerdings etwas verschwiemelten Titel „Büchner: Danton, freies Feld“.

 

Die vom Regisseur erstellte Stückfassung konzentriert sich auf den fiebrigen Dualismus „Es lebe…!“ und „Nieder mit…!“ von Revolutionen (hier: der französischen). Auf den Tugendterror des Radikalen Robespierre; dieser folgt der angeblich reinen Lehre von der Revolution, die es gebietet, mit allen, selbst mit tödlichen Mitteln eine Menschenverbesserung durchzudonnern. Daneben steht kontrapunktisch die Einsicht des Gemäßigten Danton, dass Mordmaschinen wie die Guillotine nichts mit Revolution und Demokratie zu tun hätten und dass Freiheit bedeute, dass jeder nach seiner Fasson selig werden dürfe, ohne Einmischung selbsternannter Revolutions- oder Tugendwächter. Und dass obendrein der Glaube, selbstbestimmt Geschichte steuern zu können, absolut irrig sei. Schließlich seien die Menschen doch bloß Puppen, „von unbekannten Gewalten am Draht gezogen“.

 

Immerhin, das ist der Kern von Büchners Drama, den die Regie in quasi semidokumentarischem Spiel vorführt. Und das wiederum wird zur Crux des Abends: der Mix aus Einfühlungs- und Aufsage-Theater. Denn diesen beiden Spielformen ist das freilich hingebungsvoll bemühte Ensemble kaum gewachsen. Büchners sowohl fein geschliffene als auch wuchtige Sprachmacht kommt bloß arg schwächlich rüber; die Psyche der Figuren, ihre ungestüme Lebens- und Liebeslust, ihre Seelenschmerzen, ihr abgründiger Wahn nerven als Gefühlsgelaber, überzeugen allerhöchstens andeutungsweise – noch dazu im engen Spielraum zwischen dem Publikum mit den irritierend vielen, den dramatischen Sog störenden Auf- und Abgängen. Die komplexe Sache wäre wohl wirkungsstark zu verhandeln gewesen als packendes Lehrstück – einfach als rhetorisch brillanter Diskurs am runden Tisch.

Deutsches Theater

Das älteste, kostbarste und traditionsreichste Staatstheater der Hauptstadt überschreibt seine 163. Spielzeit mit dem so großen wie pässlichen Motto „Demokratie und Krieg“. Und so geht es denn in der Eröffnungspremiere um staatliche Machtstrukturen, um Machtmissbrauch, Manipulationen der Macht, um staatliche Propaganda und Gewalt sowie um Widerstand.

Gezeigt werden zwei aneinander gekoppelte Texte: Zum einen als Uraufführung das knappe Werk des jungen und, um es gleich zu sagen, begabten jungen Autors Mario Salazar „Hieron. Vollkommene Welt“, zum anderen das Dramenfragment „Demetrius“ von Friedrich Schiller – beides in Regie des namhaften Routiniers Stephan Kimmig.

 

Hieron, der Allmächtige, ist ein die Welt beherrschender Diktator. Er beschert allen Menschen Arbeit, Frieden, Brot und gemäßigten Wohlstand für den Preis ihrer Kasernierung, Rundum-Überwachung, perfekter Unterordnung bei 364 Werktagen im Jahr (allein der 24. Dezember ist arbeitsfrei) sowie totaler Aufgabe alles Privaten, aller familiären Bindungen. Vierteljährlich werden die jeweils infolge steigender Arbeitsproduktivität, fortgeschrittenen Alters oder Krankheit unbrauchbaren, also überflüssigen Menschen liquidiert.

Wir sehen den in seiner Allmacht über seine totalitäre Welt sich langweilenden Hieron (Felix Goeser eindringlich als schmierig verfetteter, unheimlich selbstverständlich grausamer Homunkulus auf Krücken). Und wir sehen eine am alljährlich einzigen freien Tag sich treffen dürfende Familie mit opportunistisch angepasster Ehefrau (Judith Hofmann) und hilflos aufbegehrendem Ehemann (Ole Lagenpusch) nebst ihren beiden Kindern.

 

Salazars grauenvolle Negativutopie einer vollkommen verkommenen Welt mag zwar die Klischees einschlägiger Literatur vereinnahmen, geht aber in ihrer Pointiertheit dennoch an die Nieren. Die Regie tut dabei allerdings nicht viel mehr, als den geschliffenen Text an der Rampe aufsagen zu lassen. Ist akzeptabel; obgleich im Text allerhand Möglichkeiten für inszenatorische Fantasie stecken. Diverse Videoeinspielungen, projiziert auf einen beständig wie eine Kamera rotierenden Quirl aus hässlich verdreckten Holzwänden (Bühne: Katja Haß) imaginieren den allgegenwärtigen Überwachungsstaat. Eine makabre, kleine (einstündige) szenische Skizze über eine zwar absurde, aber dennoch durchaus denkbare Zukunft; die extreme Gegenwelt von allem Demokratischen.

 

Schillers „Demetrius“ handelt vom gleichnamigen Jüngling, der 1603 als vermeintlich rechtmäßiger Erbe den Zarenthron erkämpft und für ein besseres Russland wirken will. Doch der anfänglich schwärmerische Idealist wird schließlich im Kampf um seinen Machterhalt selbst zum Tyrannen. Die exzellente, gedankenscharfe Studie in Sachen Geschichtsfatalismus wird von der Regie erstaunlich desinteressiert und geradezu sträflich anspielungslos auf die Bühne gesetzt, die Katja Haß mit ihren nackten Wänden bemerkenswert hässlich vollgestellt hat. Wir folgen irritiert einem bloß plappernden historischen Bilderbogen. Das Ensemble entsprechend lasch. Dazu etwas theatrale Garnierung mit Blut aus der Plastikflasche, einem nackten Felix Goeser in der Titelrolle sowie entbehrlichen Video-Mätzchen und noch ein bisschen Kostümschnickschnack (Anja Rabes) aus dem Tschechow-Fundus als kleine optische Aufmunterung zum ansonsten herrschenden, öde üblichen Herrenanzugwesen aus dem Humana-Laden.

Die ausgefranste, labernde und laue Veranstaltung hätte  bei diesem Autor!   zumindest ein stringentes, gern auch grelles Polit-Spektakel werden können; selbst ohne die sich so heftig aufdrängenden akuten Zeitbezüge. Doch Kimmig liefert eine geradezu erschreckende Lappalie! Dem Hauptstadttheater unwürdig, die Möglichkeiten des Deutschen Theaters leugnend. Wie nur konnte das passieren? Ich würde sagen: falscher Regisseur! Und: Die DT-Denkabteilung sollte unbedingt aufgefrischt werden.

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