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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 45

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

22. Juli 2013

Amphitheater-Hexenkessel 1


Das zentrale Bühnenmöbel: Eine Badewanne randvoll mit Gold und Geld. Sie gehört Volpone, der sich den Schatz ergaunert hat, auf den nun ganz Venedig scharf ist – wo das ergötzlich hintersinnige Intrigenstück „Volpone“ spielt. Von Ben Jonson, dem großartigen Autor deftiger Boulevardnummern, der dennoch bis heute ungerechter weise im übergroßen Schatten seines Kollegen Shakespeare steht.

 

Volpone, der Fuchs, thront schick im Business-Anzug von heute auf seiner kostbaren Wanne und macht sich fit für ein dreistes Bubenstück: Höhnisch grinsend reißt er sich die edlen Klamotten vom Leibe, steht da im ekel-versifften Unterzeug – das überzeugende Outfit eines vermeintlich Todkranken. In dieser Verkleidung nämlich, als Elender am Rande des Grabes, will der steinreiche Single die gierige Mitbürgerschaft anziehen und einem jeden die kostbare Badewanne als Erbstück versprechen, sofern ihm die Erbschleicher nicht vorher noch ein fettes Abschiedsgeschenk machen.

Der Waschzuber quillt folglich über wie die absurden Turbulenzen beim Tanz um die goldene Wanne. Frieder Venus inszeniert die Raserei der menschlichen Gier als grotesk kostümierte Slapstickiade der Extraklasse. Das toll akrobatische Ensemble vom Hexenkessel Hoftheater tobt durch die höhnische Klamotte mit atemberaubenden Tempo, Krachbums, derbem Witz, vermischt mit reichlich Sarkasmus. Und immer hautnah am begeistert kreischenden Publikum in der schönen Shakespeare-Arena am nächtlichen Spreeufer gegenüber dem Bode-Museum.

Amphitheater Hexenkessel 2

Der geile Gott Jupiter tänzelt vom goldenen Olymp herab nach Theben. Dort beglückt er als triebgesteuerter Dandy im hauteng-brustfrei-lila Sexy-Dress Alkmene, die brav ihrem aus dem Krieg heimkehrenden Gatten Amphitryon entgegen harrt - für den sie den göttlichen Superman hält. Jupiters Trick: Der Verführer erscheint der irdisch Wartenden verwandelt als deren Ehemann. Am Morgen danach: Amphitryon, ein tumber Haudruff in antiker Lederkampfkluft, kommt endlich nach Hause und wundert sich bei der Begrüßung über die von überraschend himmlischer Lustnacht schwärmenden Ehefrau. Alkmene versteht nicht...

 

Sarah Kohrs inszeniert „Amphitryon“, diese grotesk-außerirdische Unverschämtheit plus anderweitige Vexierspiele, mit denen Molière sein raffiniertes philosophisch-psychologisches Antik-Märchen über Ehelust, Ehefrust und Liebhaberleidenschaft, über wissentliche Treue und unwissentlichen Verrat verpackt, als eine so saftige wie pfiffig anspielungsreich ins Allgegenwärtige reichende, große Komödie (super Textfassung: Carsten Golbeck). In dem höchst humorig deftigen, tiefsinnig traumhaften und spannenden Identitäten-Verwirrstück blitzt ein Feuerwerk von Weisheiten, dann wieder überraschen subtile Momente der Besinnung. Ach, ich bin beglückt.

 

Hexenkessel Hoftheater, das ist rauer Charme, Tempo, Satire, Spektakel – gelegentlich zum Anfassen und Mitmachen. Da es keine Ausfälle gibt außer Wolkenbrüche von oben sind hier unten alle große Könner auch im Improvisieren und Extemporieren. Die intelligenten und mit Lust werkelnden Hexenkessel-Köche verwenden nur allerbeste Zutaten für ihre scharfe, heiße, gelegentlich äußerst delikat gewürzte Volksküche. Den dankbaren Gästen tropft das Maul, brodelt das Hirn. Man jauchzt vor Begeisterung. Befreiendes Lachen in der Sommernacht. Ach Gottchen, ich gedenke da der so vielen trüben Hochkulturveranstaltungen im subventionierten Bühnenbetrieb, in dem viel zu oft die aufwändig gepflegte oder ambitioniert dämliche, dazu kostspielige Langeweile grassiert. Und deren Stars wohl gern öfters ihrem Affen derart Zucker gäben. Hier, im hexischen Keller, blüht des Volkes wahrer Himmel. Herrlich!

Spree-Ufer-Entertainment in Mitte

Überhaupt fantastisch die so vielfältige Sommerbespielung des Kunst-Areals Vorplatz Bode-Museum und Monbijou-Park: Die Strandbar mit den Lümmelstühlen schon ab 10 Uhr vormittags. Dann im Amphitheater der Hexenkessel mit „Volpone“, „Amphitryon“, den Montagskonzerten mit „Weltmusik zur blauen Stunde“ und sonntags dem Improvisationstheater „Turbine hebt ab!“ (Theaterszenen auf Zuruf von Stichworten). Dazu die kostenlosen Klassik-Sonntagskonzerte vorm Bode-Museum und in der Strandbar die Mitmach-Tanzabende (Tango, Walzer, Salsa, Swing). Und immer auch sonntags 22 Uhr zwischen den Monbijou-Märchenhütten „Jacob“ und „Wilhelm“ unter Palmen und Zitronen (Romantik!!) das "Nomaden-Kino" in Liegestühlen mit Kopfhörern mit dem nostalgisch summenden Projektor vom VEB Carl Zeiss Jena für 35-Millimeter-Streifen (eine zarte Erinnerung an das gute alte, einstige DDR-Landfilm-Kino). Und zu allem Gastronomie mit Pizza-Bäckerei, Eiscreme- und Hot-Dog-Mobil sowie Ausschank bis Mitternacht. Wie gesagt: Des Volkes wahrer, herrlicher Himmel!

Poltergeist Wagner

Wieder Richard! Weil mal wieder im Plattenschrank gekramt. Und siehe da ein tolles Fundstück (mit Patina): Die CD „Liebestod in Venedig“ (Deutsche Grammophon Literatur). Passt ins Doppel-Gedenkjahr. Schließlich ist 2013 nicht nur Wagners runder Geburtstag (200. war am 22. Mai), sondern auch sein halbrunder Sterbetag (130. war am 13. Februar).

 

Also statt Ticket-Stress nebst Bandscheiben-feindlichen Bayreuther Klappsitzen bei Richards „Ring“ von Frank Castorf (der diesmal, so der Buschfunk, in Berlin und Amerika spielt sowie mit, nochmal Buschfunk, den riesigsten Bühnenbildbauten aller Bayreuth-Zeiten; ab kommenden Donnerstag) also statt schweißtreibendem Festspielhaus entspannt im kühlen Zuhause auf dem Kuschel-Sofa ein bisschen Bayreutherei für daheimgebliebene Keinekartenbekommer. Mit Richards Lebensfinale auf CD, Maria Wimmer und Gert Westphal. Die beiden leider längst dahin gegangenen Schauspielstars im fiktiven Dialog lesend aus Cosimas Tagebüchern. Dazwischen die Berliner Philharmoniker unter Karajan, das Bayreuther Festspielorchester unter Karl Böhm.

 

Karajan lässt geheimnisvolle Parsifal-Töne grummeln. Dann die Wimmer mit Cosimas Protokoll über die Abreise der Familie aus Bayreuth nach Venedig, Spätsommer 1882. Richard quält das oberfränkisch raue Klima. Und er laboriert an Magenerweiterung, Herzverfettung, Angina Pectoris sowie an einem Leistenbruch. Deshalb ab ins Warme. Nach Italien, den Winter über. Am 18. September endlich Canale Grande; standesgemäß in überteuerter Zimmerflucht im Palazzo Vendramin. Cosima führt, wie immer, akribisch Tagebuch mit scharfem Blick auf Nachwelt, Nachruhm, Verklärung   also bitte nichts wirklich Despektierliches. Dafür das ausführliche Register der Großartigkeiten nebst Kleinigkeiten wie Wetter, Besuche, Spazierfahrten oder Richards Diät…

 

Zeitsprung zum 12. Februar 1883. Abends Lektüre im Lehnstuhl. R. schmökert Fouqués „Undine“, der Hausfreund Jakubowsky zeichnet ihn in Cosimas Notizbuch. „Beim Abendbrot besprechen wir das Meer und seine Geschöpfe; vorher die Gefängnisse, die Strafen, alles zum Schutze des Eigentums… Wie ich schon zu Bett liege, höre ich R., stehe auf, gehe in die Stube: ‚Ich spreche mit dir‘, sagt er mir und umarmt mich lange und zärtlich. ‚Alle fünftausend Jahre glückt es!‘ Er geht ans Klavier, spielt das Klage-Thema ‚Rheingold, Rheingold…‘. Fügt hinzu: ‚Falsch und feig ist, was oben sich freut.   Dass ich das damals so bestimmt gewusst habe‘.“

 

Am nächsten Morgen Zank um ein Vorsingen: Sopranistin Carrie Pringle, ein Blumenmädchen, das nicht allein Parsifal verführen will, soll extra nach Venedig kommen. Cosima ist sauer. Am Nachmittag schreibt R. an seiner Abhandlung „Über das Weibliche im Menschen“. Passgenau nach den Worten „Liebe – Tragik“ bricht er ab, protokolliert C. Herzanfall. Cosima schleppt ihn zum Sofa (in Villa Wahnfried zu besichtigen, wäre nicht ausgerechnet jetzt wegen Renovierung geschlossen). R. stirbt wie sich’s ziemt: In Cosimas Armen. Birgit Nilsson singt Isoldes „Liebestod“.

 

Ein bisschen schrecklich und ziemlich schön, dieses philosophisch wie menschlich packende Kammerspiel eines alten exzentrischen Ehepaares, dessen eine Hälfte ein Jahrhundertgenie. Die Wimmer ganz die hoheitsvolle Heroine. Abgetönte Trauer; zuweilen schon nicht mehr ganz von dieser Welt. Dazwischen feine spitze Töne, das Hysterische subtil andeutend. - Gert Westphal: Ein lakonischer Poltergeist, der mit seinen Besserwissereien, Dreistigkeiten und sächsischen Blödeleien das hehre Lied der hohen Frau beballert (R. als das ewig freche Kind; passt auch auf Frank Castorf). Eine amüsante, spannende Lektion über Machtspielchen, Durchtriebenheiten, wahre Liebe nebst dazu gehörigen Unwahrheiten. Auch eine Art „Ring“. Oder besser: Ringlein.

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