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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 43

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

8. Juli 2013

Volksbühne


Zum Schluss hatte ich Kopfschmerzen. Nicht schlimm, aber immerhin. Wohl die dicke Berliner Luft, Luft, Luft im proppenvollen Saal (draußen herrlichste Sommernacht), in der in zweieinhalb Stunden „Frau Luna“ verpufft, pufft, pufft im unermüdlichen Kreischen, Kichern, Kieksen der unentwegt ihre Gliedmaßen orthopädisch bedenklich verrenkenden Darstellerschar – allesamt zwar großartige Artisten des grotesk Durchgeknallten, aber trotzdem…

 

Regisseur Herbert Fritsch, Deutschlands Krösus des hochtourig überdrehten Vaudeville-Comics („Die Spanische Fliege“) sowie der virtuosen Dada-Show („Murmel Murmel“), liefert mit der totalen Vergackeierung von Paul Linckes Berlin-Operette „Frau Luna“ eine Fortsetzung seines Neuen Volksbühnen-Volkstheaters. Freilich mit dem Dilemma: Die neue Folge erreicht beiweitem nicht das Raffinement ihrer zwei Vorläufer.

 

Das liegt nicht an der völligen Dekonstruktion der frivolen Vorlage. Sondern am Brachial-Entertainment, das schwerfällig auf der Stelle trampelt, jeden Witz wiederkäuend zermalmt und sich frech aber dröge in Hanswurstiaden gefällt. Immerhin, es gibt köstliche Kostüme von Victoria Behr sowie einige wenige wundersame Show-Momente dieser an sich herrlich albernen Mondfahrer-Revue, in der das immergrüne, melodienselige musikalische Material grandios aufblüht; grundiert vom klasse Chor der werktätigen Mondwesen. Überhaupt ist der psychedelisch-sphärische Electro-Sound, den Ingo Günther aus Linckes himmlischer Partitur schöpfte ohne den Komponisten zu vergewaltigen, ein Hör-Ereignis. -- Und dennoch Aspirin fürs Kopfweh? Weil das Timing aus dem Ruder lief! Die Veranstaltung um eine Stunde gekürzt, also ohne nervende Endlosschleifen aus Gekreisch, Gewusel und zotigem Gegacker – und „Frau Luna“ wäre der neue Volksbühnen-Volkstheater-Hit. Herbert, hol‘ den Rotstift! Es lohnt sich, schon wegen meiner Kopfschmerzen.

Foreign Affairs

Matthias von Hartz (43), von Haus aus Wirtschaftswissenschaftler, kam über die populäre Vermittlung komplizierter ökonomischer Prozesse zum Theater, studierte dann bei Jürgen Flimm an der Hamburger Theaterakademie Regie, inszeniert aber nicht an Stadttheatern. Das klassische Drama ist nicht sein Ding; das sollen andere machen. Vielmehr produziert der Schlacks mit dem jungenhaften Temperament Projekte und Aktionen, die sich aufklärerisch und meist mit viel Witz und Charme (ja, das auch!) mit sozialpolitischen Problemen auseinandersetzen. Und dirigiert die dazu passenden Festivals (Impulse NRW, Kampnagel Hamburg). So mauserte er sich zu einem der politisch ambitioniertesten und anerkanntesten deutschen Festivalmacher. Und wurde berufen, das Internationale Fest für Theater und performative Künste „Foreign Affairs“ zu kuratieren. Die Probleme der Welt konzentriert auf drei Wochen; der Veranstaltungskalender platzt aus allen Nähten. -- Mein Tipp gilt dem Finale am 14. Juli ab 20.30 Uhr im Haus der Berliner Festspiele: „Orchesterkaraoke“ mit der Jungen Sinfonie Berlin und dem Publikum. So was gab’s noch nie in Berlin!

 

Das Orchester spielt Popsongs von Robbie Williams, Tina Turner, Lionel Richie, Springsteen, Sinatra, Nena, Michael Jackson oder Deichkind. Der Text läuft über LED-Band, man darf sich ein Mikro schnappen und kann mit der Meute inmitten der Musiker hemmungslos losröhren. M.v.H.: „Wir glauben, dass gesellschaftliche Veränderung mit Singen im Chor beginnt.“ Also los und mitgemacht – „We are the World…“

Ferienbücher

Mal wieder bei Dussmann, Friedrichstraße. In Deutschlands größter Bücherstube, luxuriösester Lesehalle; quasi der Sparbüchse für neugierige Leseratten. Man schnappt sich das Gedruckte, schmökert – und muss nicht kaufen. Man lümmelt in Leder-Fauteuils mit Blick auf die 18 Meter hohe Pflanzen-Wand mit Wasserberieselung. Der „Vertikale Garten“ des französischen Gründaumen-Künstlers Patrick Blanc. Ein Hauch von Urwald (6672 Pflanzen, 157 Arten). Und daneben – dramatischer Kontrast – die originale Monumentalplastik „Sphinx der Königin Hatschepsut“ (Leihgabe Ägyptisches Museum von fast nebenan). Und dann ein paar halbe Stündchen gemütlich Blättern. Etwa in Pola Kinskis traumatischen Erinnerungen mit dem so grausig anzüglichen wie entsetzlich bezüglichen Titel „Kindermund“ (Insel Verlag). Die Frau kann wirklich sehr gut schreiben, auch über Schlimmstes. Wie der Berliner Maxim Leo auch. Nur dass es bei ihm nicht ganz so schlimm kommt, aber auch nicht eben harmlos („Haltet euer Herz bereit. Eine ostdeutsche Familiengeschichte“, Verlag Karl Blessing).

 

In der Verlagswerbung steht, dass die Hamburger Journalistin Meike Winnemuth in Jauchs Quizshow „Wer wird Millionär?“ ein kleines Vermögen gewann und die Knete nutzte für eine einjährige Weltreise. Zwölf Städte in zwölf Monaten von Sidney über Shanghai, Honolulu, Mumbai, Addis Abeba bis San Francisco, Havanna, Barcelona, London, Kopenhagen. – Die Mittfünfzigerin folgte dem Motto: „In zwanzig Jahren wirst du dich über mehr Dinge ärgern, die du nicht getan hast, als über die, die du getan hast.“ – Also nicht lange schnacken, Koffer packen. Aus der Reise in ein Dutzend Orte wurde ein aufschlussreiches Buch – Titel: „Das große Los“   mit einem Dutzend Kapiteln, an dessen Schluss jeweils eine Liste steht: Zehn Dinge, die ich hier gelernt habe. Kann jeder was von lernen. Dann das überraschende generelle Fazit der 329 Seiten (Verlag Knaus): „Das Fernsehgeld hätte ich gar nicht gebraucht.“ Das macht Trittbrettfahrern auch ohne Quizshow Mut. Ein Buch wie Urlaub. Hab‘s gekauft.

 

In Dussmanns englischer Abteilung gegenüber des stoisch meditierenden Monumental-Wesens aus Stein von 1475 v.Chr. grüßt die neckische Kleinplastik „Solar-Queen“ aus rosa Plastik von 2013. Es ist die amtierende englische Königin, 25 Zentimeter mit lässig geöffneter Handtasche, in der eine Solarzelle steckt. Die zwingt Elizabeth bei Lichteinfall zum Dauerwinken. Für 15 Euro käuflich zu erwerben als überflüssige Schreibtisch-Deko neben der unerlässlichen Schreibtischlampe. Hab’s nicht gekauft.

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