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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 4

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

28. September 2012

Schaubühnen-Jubiläum und Ostermeier


Ganz im Geheimen haben sie lange verhandelt: Direktor Jürgen Schitthelm und Regisseur Thomas Ostermeier, der bis dahin die Schaubühne nur als Zuschauer kannte. Also strichen beide an einem stillen Sonntagvormittag, es war Ende der 1990er Jahre, durch den Riesenbauch des High-Tech-Theaters. Danach Ostermeier knapp: „Ich will es machen. Unbedingt!“ Dieses „Ja!“ war die Erlösung. Denn die Weltberühmtheit am Lehniner Platz war in Schönheit erstarrt und obendrein seit 1997 ohne künstlerische Leitung. Die übernahm nun Ostermeier als Retter in großer Not im Herbst 1999, mit Sasha Waltz und Dramaturg Jens Hillje sowie einem scharfzackigen Sägeblatt im neuen Logo.

 

Ostermeier war der Steilaufsteiger seiner Generation: Als Chef des 1996 für ihn eingerichteten Studios „Baracke“ am Deutschen Theater. Dort sollte der Absolventen-Star der Busch-Hochschule den jungen Regie-Wilden machen; was er auch tat. Auf ganz eigene Art, aber eben ohne jedweden „dünnbrettrigen Selbstverwirklichungsirrsinn“, der jedes Theater zu Tode experimentierten würde, wie damals die Alten (Breth, Stein, Peymann) über die Jungen schimpften. Ostermeier und seine Mini-Truppe brachten mit Herz, Verstand und kargen Mitteln große Geschichten aufs Baracken-Brettel („Shoppen und Ficken“); durchaus krass verfremdet und doch unerhört suggestiv. Und darin sah Schitthelm das, was seinem Haus fehlte: „Eine Kraft, die den Takt vorgegeben, ein Ensemble gebaut und Jugend ins Haus geholt hätte“.

 

Lange schon suchte er solch einen Zampano; viele Berühmtheiten wurden gefragt, keiner wollte – nach Stein, nach Breth. Aber in der Baracke war Innovation, Textarbeit, ein Ensemble. Und die Ostermeierei träumte davon, kollektiv was Eigenes aufzumachen. Gründergier. Passt alles zum Schaubühnen-Geist, dachte Schitthelm: „Bloß kein Irgendwie-Weiter als normales Stadttheater. Neben engsten Mitarbeitern hatte ich Corinna Kirchhoff und Jutta Lampe, Stars der Stein- und Breth-Zeit, ins Vertrauen gezogen, beide waren für den radikalen Neuanfang mit Ostermeier. Viele konnten das nicht verstehen, waren entsetzt: der gigantische Apparat mit solchen Grünschnäbeln!" Doch der Schnitt, das Engagement eines stilbildenden Regisseurs mit total neuem Ensemble waren überlebenswichtig. Ansonsten hätte Chef Schitthelm „Schluss gemacht“. ‑ Unter Ostermeier wurde die Schaubühne alsbald wieder eine bestaunte Weltmarke. Zur Halbjahrhundertfeier neulich bedankten sich Ostermeier und Schitthelm gegenseitig für den Mut zum großen Neuanfang damals. Es hätte ja schief gehen können. Vom glorreichen Gegenteil erzählt auch ein zentnerschweres Bilderbuch; für satte 50 Euro im Verlag Theater der Zeit.

Ex-Schaubühnenstar am Berliner Ensemble

Ein sozusagen Alt-Star des Berliner Theaters glänzt – gleichsam taufrisch – jetzt gerade im Berliner Ensemble (ansonsten in Wien): Corinna Kirchhoff! In Lessings sarkastischem Mann-zwischen-zwei-Frauen-Drama „Miss Sara Sampson“ (die eine jung, die andere, Kirchhoff als Marwood, die war es). Regisseur Günter Krämer filtert daraus so frech wie klug einen heutigen Klassiker-Boulevard speziell für die Kirchhoff, auf dem sie sauschlau und stutenbissig rast. Eine schnöde Sitzengelassene. Eine aufs Glück geile Furie. Eine Schlagende und Geschlagene; Weib und Weibchen. So komisch wie schmerzlich. Eben wahnsinnig.

Volksbühne

Es ist nun schon sehr viele Jahre her, als der Schweizer Musiker und Regsisseur Christoph Marthaler mit „Murx, Murx“, einem irritierend melancholischen DDR-Abgesang damals in der Volksbühne, in den Ruhm aufschoss. Inzwischen wurde er zum nervend routinierten Meister der ‑ bissig gesagt ‑ Schlaftabletten-Regie. Was wunderbar war mit traumhaft-traumatischen Singsang-Programmen, wird bei der Inszenierung starker, stringenter Texte bloß noch zur Schnarcherei. Wie jetzt gerade wieder in der Volksbühne Marthalers Scheitern in somnambuler Schönheit an der ätzend klaren Sentimentalität von Horvaths Drama „Glaube Liebe Hoffnung“. Aus dem ernüchternd daseinspessimistischen „kleinen Totentanz“ machte er nicht viel mehr als die angestrengte Vor-sich-hin-Schleicherei eines verhuschten Gesangsvereins mit arg süßlichem Gelalle. Armer Horvath!

Deutsches Theater

„Mehr Demokratie wagen“, neue Ostpolitik mit „Willy wählen!“ samt Flower-Power, das war die westdeutsche Optimismus-Welle Ende der 60er, in der die SPD so sexy und die so SED nervös wurde. Auch das war eine Wende-Zeit: Willy Brandts Kanzlerjahre 69 bis 74 mit Kniefall in Warschau und Ostverträgen, mit „Willy Brandt ans Fenster!“ (in Erfurt) und Günter Guillaume. Der britische Dramatiker Michael Frayn hat vor Jahren schon darüber ein Stück getextet, leider beiweitem nicht so toll wie sein Evergreen „Der nackte Wahnsinn“ und längst nicht so dramatisch wie das Sujet, nämlich der glorreiche Aufstieg eines charismatischen und zugleich schwer depressiven Politikers sowie dessen Sturz. Frayns papiernes Stück „Demokratie“ ist halt eine bloß brav journalistische Recherche. Daraus machte das freche Regie-Duo Tom Kühnel & Jürgen Kuttner im Deutschen Theater ein schlagend intelligentes History-Musical. Dafür plünderten sie geschickt den Fundus der Pop- und Agitprop-Musik und verschnitten das schmissige Liedgut mit triftigen Frayn-Sätzen und signifikantem Doku-Material aus den Archiven. ‑ Felix Goeser als Brandt, Daniel Hoevels als spionierender MfS-Offizier Guillaume, Michael Schweighöfer als dessen Führungsoffizier oder Bernd Stempel als Wehner, das ganze hinreißende Ensemble lieferte ein überaus treffliches Polit-Kabarett, das die tragischen Momente des shakespearesche Scheitern eines epochalen politischen Aufbruchs nicht aussparte. Eine entsetzlich schillernde Revue aus dem ehrenwerten Tollhaus der Macht. Ein so großes wie erschreckendes, obendrein wahnsinnig amüsantes deutsch-deutsches Theater im Deutschen Theater.

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