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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 39

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

10. Juni 2013

Gorki Theater

Am 16. Juni heißt es: Alles muss raus! Großer Kehraus bei Gorkis. Doch sogar in den fünf letzten Tagen zuvor gibt es noch Novitäten   u.a. „Hofmeister“ von Lenz und von Stefan Heym ,,Fünf Tage im Juni“, jährt sich doch am 17. Juni zum 60. Mal der DDR-Volksaufstand.

Vor sieben Jahren eröffnete Armin Petras seine Intendanz mit einem furiosen Spektakel aus zehn (!) Stücken. Jetzt also zum Finale ab dem 12. Juni das Fünf-Tage-Spektakel mit tosender Schluss-Party am 16. Juni. Da rast noch einmal das unter Petras wunderbar gewachsene Ensemble auf allen Brettern. Heftiges Virtuosengewitter! Dabei war dieses kleine feine und schmucke Theater mit seinen geradezu irrsinnig zahlreichen, alle Beteiligten (bis hin zum Publikum) gern überfordernden Angeboten stets fest verankert in der Stadt (wie herrlich beispielweise die Senioren-Laientruppe Golden Gorkis). Obendrein gab es viel überregionale Aufmerksamkeit und auch Bewunderung. Beeindruckend die Fülle der entdeckten, kontinuierlich in den Ruhm geförderten Regie-Handschriften; zuletzt noch die wunderbare der Jana Milena Polasek in ihrer Studioinszenierung des Romans „Ich nannte ihn Krawatte“ von Michiko Flasar mit dem großartigen Thomas Lawinky.

Und aufregend, zuweilen auch irritierend war das für dieses Institut typische, zuweilen extreme Spannungsverhältnis zwischen Historischem und Gegenwärtigen; ob mit klassischen Texten oder und vor allem mit zeitgenössischen Kreationen.

 

Nun also löst die tolle Truppe sich auf. Alle sind wohlversorgt mit durchweg erstklassigen Anschluss-Engagements. So liefert das kleine und ärmste und vielleicht fleißigste Berliner Staatstheater seine Stars an Großbühnen in ganz Deutschland – sogar bis nach Wien ans Burgtheater. In Berlin werden sie uns alle, alle fehlen.

 

Die Petras-Hütte ist dann erst mal leer. Und Shermin Langhoff, die neue Intendantin und die erste in einem solchen Amt mit Migrationshintergrund, die hat schwer zu tun mit Frischholz-Stapeln: Mit dem neuen Programm, neuen Profil, neuen Ensemble. Wir sind neugierig und sagen Toi-toi-toi. Und wünschen dem rastlosen Petras neues Glück im Schwabenland, wo er das wohlhabende Stuttgarter Staatsschauspiel   auch mit allerhand Gorki-Spielern   aufmischen will. Hätte man ihn in Berlin pfleglicher oder besser gesagt: seriöser behandelt (Wowereits geradezu aggressive Ignoranz) und seinem Haus die demütigende Unterfinanzierung ausgeglichen, die nicht allein das Gorki-Studio abwürgte (Langhoff bekam umstandslos die 400 000 Euro zusätzlich in ihren Etat), Petras wäre uns wohl erhalten geblieben.

 

Doch keine Heulerei. Blick forsch nach vorn. Es lebe der Wechsel! Prost Armin, prost Shermin. Prost auch dem unermüdlichen Petras-Geschäftsführer und fürsorglichen Dauer-Abenddienst Klaus Dörr, den schnellen Petras-Powerfrauen der Pressestelle und, nicht zu vergessen, dem unbürokratisch hilfsbereiten – ich weiß, wovon ich rede – Petras-Intendanz-Sekretariat. Prost obendrein den Freundlichkeiten im Kassenkabuff, die uns Gottseidank auch unter neuer Direktion erhalten bleiben (wie mein Randplatz, lieber Herr Besucherservice-Bäuerle). Ade altes Gorki. Hallo neues!

Berliner Ensemble

Großer Krach beim rasenden Tür-zu-Tür-auf! Im verrückten Farcen-Boudoir des französischen Belle-Epoque-Vielschreibers Georges Feydeau muss das so sein. Denn auch in dessen Hardcore-Klamotte „Floh im Ohr“ lodert die Kleinbürgerhölle voller Verwechslungen, Intrigen, Missverständnisse. Diese rotieren mit viel Gekreisch vornehmlich um (fehlende) Pinkepinke sowie noch vornehmlicher ums außereheliche Ablassen sexuellen Überdrucks. Die Handlung ist ausgeklügelter Blödsinn. Der gesellschaftskritische Sprengstoff von damals (des Spießers Doppelmoral!) hat sich heutzutage zwar nicht erledigt, aber arg an Kraft eingebüßt in unserer so offen Skandale auslebenden Zeit. Dem hilft auch die Übersetzung ins Deutsche kaum auf; auch wenn sie von einer Nobelpreisträgerin stammt (Elfriede Jelinek).

Also warum die schweißtreibend brüllende Rackerei der gelenkigen Schauspieler mit dem mittlerweile ranzig gewordenen Tollhaus-Stück (prima Swetlana Schönfeld, prima Joachim Nimtz)? Die Gags und die Witzchen wollen bei aller Aufopferung nicht recht zünden. Und die spielastisch-akrobatische Dauererregung unter der technisch ausgetüftelten Regie von Philip Tiedemann wirkt alsbald nur noch ermüdend aufs desinteressierte Publikum im Berliner Ensemble. Es sollte ein großer Spaß sein als Rausschmiss zum Ende der Saison. Wurde aber ein Rohrkrepierer. Vielleicht hätte man statt eines Zwei-Stunden-Feydeaus plus Pause zwei Ein-Stunden-Feydeaus zusammenschmeißen sollen. Da hätte dann auch die Pause ihren Sinn. (wieder am 13., 16., 28. Juni)

Carmen-Maja Antoni

Sie fing schon sehr früh an: Als Jungpionier im DDR-Kinderfernsehen mit kabarettistisch gefärbten Nummern der „Blauen Blitze“. Und prompt folgten erste Filmrollen für die süße Rotzgöre mit dem Strubbelkopp aus der Reihenhaussiedlung in Berlin-Adlershof, wo Carmen-Maja Antoni 1945 als „Nichtwunschkind“ geboren wurde. Noch vor ihrem Schulabschluss kam sie als jüngste Studentin an die Filmhochschule Babelsberg. Danach ans Hans-Otto-Theater Potsdam, später an die Volksbühne Berlin zu Benno Besson. Seit 1976 ist sie am Berliner Ensemble – bis heute.

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CMA hatte Hauptrollen im Theater (Grusche, Shen Te, Eva im „Puntila“) und unzählige Rollen im Film. Doch für jedes ihrer beiden Kinder konnte die Mama einen Klassiker nicht spielen: Bei Sohn Jacob Tschechows „Möwe“, bei Tochter Jenny Shakespeares „Hamlet“. „Aber was bedeutet schon eine Hauptrolle gegen ein wunderbares, winziges neues Kind im Arm?“

Als „kleine große „Kämpferinn mit den leuchtenden Augen und der unverwechselbaren Stimme, die mit ihrem Körper größte Bühnen zu füllen und ihr Publikum zu verzaubern vermochte“, so beschrieb der Dichter und Dramatiker Christoph Hein die Antoni. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ befand: „In der DDR war sie ein Star.“ Das war unsereins im nüchternen Osten so gar nicht bewusst. Ja schon, die Antoni war toll, war uns, den Ostdeutschen, mit ihrer gewitzten Unverblümtheit geradezu eine Volksschauspielerin. Doch ein Star?   Aber als Peter Palitzsch 1990 zurück kam ans Berliner Ensemble, da hielt er die Berühmte für eine Maskenbildnerin. Unglaublich!

Erst BE-Intendant Claus Peymann begriff, was er an dieser Schauspielerin hatte. Jetzt feiert man sie als „Giulietta Masina des Ostens“. Und Peymann befeuert mit ganz großen Aufgaben ihre grandiose Alterskarriere (etwa in Brechts „Mutter“ und „Mutter Courage“).

 

Das alles kann man höchst unterhaltsam und ausführlich nachlesen in Antonis anekdotengesättigtem Erinnerungsbuch „Im Leben gibt es keine Proben“, das sie der Journalistin Brigitte Biermann offenherzig und mit reichlich Berliner Humor ins Aufnahmegerät diktierte (Verlag Das Neue Berlin).

 

Freilich, ziemlich schade finde ich, dass die Antoni, die doch zu DDR-Zeiten an zwei Brennpunkten ostdeutscher Theatergeschichte arbeitete (Volksbühne! BE!), dass sie die auch dort erbittert und folgenschwer geführten ästhetischen Diskurse, die zugleich immer hochpolitisch waren, aussparte in ihrem Buch. Hat sie doch jene Konflikte, die da zwischen Kunst und Ideologie (etwa unter Besson, Marquardt, Berghaus, Müller, Schleef, Tragelehn, Karge, Wekwerth) tobten und die vielfach in Aufführungsverboten, Rauswürfen, Berufsverboten, Außer-Landes-Verweisen oder im Intendantenwechsel gipfelten, aus nächster Nähe erlebt. Vielleicht macht Antoni als einzigartige Zeitzeugin mit Ko-Autorin Biermann ein zweites Buch aus diesem brisanten, enorm aufschlussreichen Material.

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