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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 34

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

6. Mai 2013

Volksbühne


Wirklich ein verwirrender Abend. Gelegentlich einfältiges Geblödel, nervend pauschaler Schimpf auf Kulturpolitiker, wüster Trash. Dann wieder hoch poetische Kunststücke, herzergreifende Spielereien, feierlicher oder komödiantischer Schöngesang. Man ist gequält und genervt, ist begeistert, ergriffen, zu Tränen gerührt – um gleich wieder zu kichern oder sich zu wundern und ein bisschen zu ärgern.

Wir sind bei Johann Kresnik (der lange nicht mehr in Berlin war), in seiner theatralisch-musikalisch-tänzerischcn Revue „Villa Verdi“.

Diese Villa ist ein noch prunkendes und schon schäbiges Altersheim für Künstler (Bühne: Marion Eisele). Dessen Fortexistenz wankt durch die drohende Streichung staatlicher Zuschüsse. Nun planen die Heim-Insassen eine Gala, mit der sie Sympathisanten, Solidarität, Geld gewinnen wollen   und wir erleben das Proben-Tohuwabohu, so die etwas dürre Handlung, die sich Christoph Klimke ausgedacht hat nach einem Film von Daniel Schmidt aus dem Jahr 1984 („Il bacio di Tosca“).

 

Es ist eine Zeitreise in die Vergangenheit, ins strahlende, auch verklärte, teils prominente Künstlerdasein der Betagten auf der Volksbühnen-Galashowbühne, in der die Gegenwart voller Angst und Gebrechen aber auch voller letzter Lust und unerschütterlichem Humor sowie das bevorstehende Finale, der Tod, beklemmend, doch wiederum auch sarkastisch gewitzt aufscheint. Ging mir alles zusammen ziemlich nahe!

In dieser vehementen, surreal durchwehten Fahrt ins Präteritum, die zugleich prall ist vor lebendig Heutigem, vermischen sich nun Fiktionales und Authentisches: Da schwelgt Verdi-Mieterin Ilse Ritter im Gedenken an ihre Ophelia („Hamlet“ in der Bochumer Zadek-Inszenierung 1978). Oder die DDR-berühmte Sängerin Jutta Vulpius schwärmt trällernd von ihrer Arbeit mit Walter Felsenstein in den 1950er Jahren an der Komischen Oper. Jochen Kowalski, als Countertenor ein Weltstar, schmettert den Orlofsky aus der „Fledermaus“ und mimt gleich noch eine kesse Travestie auf der Revuetreppe. Und Annekatrin Bürger zeigt, dass sie gerade jetzt eine faszinierende, stimmgewaltige, wirklich großartige Chansonsängerin ist. Ihre Kollegen Ex-Volksbühnenstars Harald Warmbrunn und Hildegard Alex beschwören King Lear und Macbeth. Und den großen Chorgesang aus Verdi-Opern nebst allerhand verrücktem Jubeltrubel macht eine bunte Schar von dreißig Leuten, Altprofis und Laien.

Dazwischen passieren verwegen sinnbildliche Aktionen wie das Fußabsägen einer Tänzerin (Blut spritzt literweise), ein Tanz-Solo auf Krücken, Clownsnummern, Slapstickiaden mit dem Wischmopp. Kulissen krachen zusammen, ein ordentlicher Theaterbrand wird inszeniert. Ist also was los; man darf sich seinen Reim drauf machen. Wie auch auf die tollen klassischen Tänze eines Eleven-Paars aus der Ballettschule: Herrliche Jugend wirbelt kraftvoll im Altersheim, wo man doch nur zu gut weiß um die Vergänglichkeit von allem. Ein total verrückter, ein seltsam schöner, komisch melancholischer Abend in knapp zwei Stunden.

Deutsches Theater

Das Schlaue steckt im Untertitel: „Eine Inflationsrevue nach dem Roman von Hans Fallada“. Nach! Wer also mit dieser Vertheaterung des Fallada-Romans „Wolf unter Wölfen“ mehr Fallada, mehr Komplexität, mehr Vielschichtigkeit verlangt, der will zu viel. Es geht hier um Schnipsel aus dem Leben der (kleinen) Leute aus der Zeit in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg, als man allein für ein Brot Billionen Mark berappen musste. Falladas weit mehr als tausend Seiten umfassender, mit Figuren und Handlungsorten vollgestopfter Epochenroman spielt zur Hyperinflation anno 1923, da man mit einem Koffer voller Papiergeld zum Einkauf stürzte (was heutzutage wieder befürchtet wird).

Und es spielt im Moloch Berlin. Im Elend der Inflationsopfer und im gleißenden Talmi der irrsinnig rasenden, verruchten großen Stadt. Täter werden zu Opfern und umgekehrt. Die unaufhaltsam zunehmenden Nullen auf den Banknoten machen die Menschen verrückt. Und zu Hyänen im Überlebenskampf. Davon erzählt Fallada so trefflich wie sprachmächtig und entfesselt noch dazu ein saftiges Berlin-Panorama voller lebensgieriger und lebensmüder Charaktere mit ihren vertrackten Geschichten. Daraus nun klaubt Dramaturg John von Düffel eine Sammlung von Splittern und verklebt sie ziemlich lose zu einer Art Revue mit Musik.

 

Immerhin, das ergibt allerhand triftige, vom Schweizer Regisseur Roger Vontobel präzise gezündete Schlaglichter aufs grässliche Menschendasein in Zeiten, da sich Geld in Luft auflöst. Alles recht schlagzeilenmäßig, das Wölfische bleibt grell, kabarettistisch, freilich nicht ohne makabren Witz und Schmiss. Wer auf mehr erpicht ist als auf Bruchstückchen-Fallada – siehe Untertitel. Wobei mir mittlerweile die allerorten grassierende Roman-Adaptiererei mächtig auf die Nerven geht. Die Liste der brach liegenden tollen großen Theaterstücke ist ellenlang!

Sei’s drum: Der gut dreistündige Fallada-Verschnitt wirkt kraftvoll und fesselnd   dank der virtuosen, von der Regie gekonnt geführten Schauspieler, die ein quasi anekdotisches Nummernprogramm (und nebenher eine Kostüm-Show) abspulen. Da geht die Post ab! Allen voran mit Katharina Marie Schubert (endlich ganz große Rollen für diese Frau!). Dazu Matthias Neukirch (endlich ganz große Rollen für diesen Mann!). Dazu Christoph Franken, Peter Jordan, Meike Droste, Isabel Schosnig. Ein tolles Ensemble. Was für eine Potenz in diesem Haus, das dennoch nicht zu rundum gleißenden Aufführungen findet.

Renaissancetheater

Ich liebe Lutz Hübner! Der Berliner Dramatiker, einer der meistgespielten im Land, greift jedermann umtreibende Themen, spitzt zu, wirft Alltagskonflikte auf der Bühne, wie etwa Jasmina Reza, nur erdiger, volkstümlicher, aber niemals tümelnd. Hübner schreibt pralles, perfekt gebautes Volkstheater. Ein Labsal. Höchst unterhaltsam auch durch geschliffene Dialoge. Und nachdenklich machend, hintersinnig. Jetzt im Renaissance (nach „Blütenträume“) seine Novität „Richtfest“, handelnd von den Querelen einer Baugemeinschaft: Elf sozial und mental arg unterschiedliche Menschen haben sich zusammengetan, um das Haus ihrer Träume zu bauen. Die Träume platzen an gegensätzlichen Egos und Vorstellungen vom Leben. Eine spannende, traurige Sache. Torsten Fischer inszenierte mit feinem Sinn für Untertöne wie abgründige Situationskomik. Und immer wieder schafft es die Direktion des Hauses, ein starkes Ensemble meist prominenter Spieler zu verpflichten. Nicht verpassen! (jetzt wieder bis 8. Mai)

Zeichen und Wunder zur Primetime

Die geschehen tatsächlich: Nämlich im Weddinger Primetimetheater, das im Februar ganz groß und obendrein mit mir sein 10jähriges Bestehen feierte (siehe Notiz Nr. 23). Die offizielle Berliner Kulturpolitik ignorierte es frech. Wie sie überhaupt dieses kleine plebejische Privattheater mit seinem Super-Sitcom-Dauerbrenner „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ notorisch übersah. Doch jetzt geschah doch noch das Wunder: Der Regierende Kultursenator Wowereit besuchte erstmals (!) die auch ohne Staatsknete beständig rappelvolle Bude an der Müllerstraße. Und sah die neueste Folge von „GWSW“. Na also, geht doch!

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