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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 33

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

30. April 2013

Komödie am Kurfürstendamm


Der französische Erfolgsautor Eric Assous hat eine zwar hübsche und lebenskluge aber eben doch recht kleine Nachempfindung von Lorenzo da Pontes „Cosi fan tutte“ verfertigt: Da sind wie in der Mozart-Oper zwei befreundete Paare, die nach allerhand Hickhack sich trennen, doch schließlich wieder zusammenfinden – aber nunmehr über Kreuz. „Paarungen“, so das Motto der intelligenten Unterhaltung, gibt dem Quartett der Schauspieler Gelegenheit, das flott formulierende Konversationsstück zum Funkeln zu bringen. Das tun denn auch Katja Weitzenböck, Matthias Herrmann, Peter Prager sowie Theresa Scholze, allesamt vor allem bekannt durchs Fernsehen. Und Regisseurin Bettina Rehm arrangiert den Vierer ohne große Beanspruchung ihrer Fantasie recht ordentlich in dem eleganten Bilderrahmen-Bühnenbild von Julia Hattstein. Das Problem: Die Petitesse ist nicht wirklich abendfüllend, was sonderlich auffällt durch die Pause für die beliebte Erdbeer-Bowle. Die Sache wäre in gut einer Stunde durchgestanden. Und danach noch ein zweites Stücklein von Eric Assous oder von wem auch immer; der Fundus mit derlei Sächelchen ist gut gefüllt. So aber wirkt die Bowle, um im Bilde zu bleiben, ziemlich gestreckt... (wieder am 30. April und 1. bis 5. Mai)

Hans-Otto-Theater Potsdam

Wer seine Locken lang und Supermini trug, Autoritäten verlachte, Kinderläden und Basisdemokratie toll, im Stehen pinkelnde Männer sowie Kapitalismus aber Scheiße fand und wer koksend von freier Liebe schwärmte, „Emma“ und Mao schmökerte, der zählte sich schnurstracks zur Avantgarde. Und lebte in einer Kommune; zumindest in einer WG mit unbedingt stets offener Toilettentür. So war das in den goldenen Siebzigern des vorigen Jahrhunderts im Westen; erst recht in Westberlin. Und dort, in einer Charlottenburger WG, beginnt John von Düffels dreiteiliges neues Stück „Alle sechzehn Jahre im Sommer“, inszeniert von Tobias Wellemeyer.

 

Düffel, Mitte 40, Dramaturg (jetzt am DT), ein so erfolgreicher wie fleißiger Schreiber von Romanen und Stücken sowie Adapter vieler Romane der Weltliteratur für die Bühne, Düffel untertitelt seinen Bühnen-Dreier „Trilogie des veränderten Lebens“; denn dessen Teile spielen 1974, 1990, 2006; angedockt an die Fußball-Weltmeisterschaften, die in jenen Jahren stattfanden.

Das mit dem Sport ist aber bloß kecker Vorwand, eine Zeitreise zu installieren. So toben anfangs, anno 1974, mehr oder weniger links drehende Studenten und noch dazu ein dealender DKP-Freak mit Drogen im Blut sowie Sex und Politparolen im Kopf durchs kleinkriminelle Chaos in der Matratzen-WG (Bühne: Harald Thor). Autor und Regisseur drehen da ganz dick auf: Die alternative Meute torkelt hemmungslos am Rand des Deppentums; der 68er Polit-Auftrieb schon Mitte der 70er bloß noch eine Kreisch-Farce irrer Ego-Trips. Ach wie lustig. Pause.

Danach sind die Matratzen weg, die WG vorbei. 1990 herrscht Bürgerlichkeit mit schwarzledernen Sitzgruppen. In der alten WG-Bude residiert mit Sippe allein der eine, der Karriere gemacht hat. Bei ihm nun prallt die alte Clique wieder aufeinander. Ihr ohnehin verkrampfter Traum vom Kollektiv und vom Triumph paradiesischer Unordnung über enge Ordnung ist längst zerbröselt am ewigen Menschen-Ego. Man ist älter, enttäuschter, vereinzelter und noch verlogener und aggressiver. Die Nachgeborenen sind verwöhnte Gören, der Alkoholverbrauch ist gestiegen, der Einsatz von Zynismus ebenfalls.

Düffel lästert bis zur Pause ätzend ausführlich (die Regie treibt‘s bis in die Klamotte) über das rot angestrichene WG-Tohuwabohu, um dann dessen Auflösung in die Verbürgerlichung als fatale Regression bloßzustellen – bis hin zum Einbruch ins Absurde und zum Ausbruch des Tragischen. Der Regisseur folgt dem Autor mit feinem Handwerk und beflissenem Bedacht auf Unterhaltung. Dabei gerät die Fallhöhe des sich verändernden Lebens unterbelichtet: Nämlich die von rasender Euphorie hin zu scheinbar schlauen Kompromissen bis auf den eisigen Boden der Ernüchterung. Dort spielt das Finale, Teil drei vor dem Hintergrund des deutschen WM-Sommermärchens 2006 -- kontrastreich schwarz aumflor: Der Tod hat eingeschlagen, Depression haut um sich, alles Bürgerliche flog in die Luft und die Sitzgarnitur nebst Lebenslügen auf den Müll. Die Charlottenburger Residenz völlig aufgelöst. Leere. Kälte. Melancholisch, ziemlich verloren aber womöglich bisschen klüger als die Eltern ‑ ihre nun erwachsenen Kinder. (wieder am 2., 11., 17. Mai)

Das Zitat

Der berühmte Regisseur Werner Herzog (Filme mit Klaus Kinski, „Fitzcarraldo“; Oper in Bayreuth, in der Scala; im vorigen Jahr führte er bei einem Konzert der Rockband The Killers in New York Regie, es wurde live im Internet übertragen), Herzog ist in den USA heißgeliebt, hierzulande jedoch am Rande des Vergessens. Dennoch wurde er soeben geehrt mit dem Deutschen Filmpreis „Lola“ für sein grandioses Lebenswerk.

Neulich gab er dem Autor Moritz von Uslar ein Interview: Er werde in Deutschland als unliebsamer Außenseiter behandelt; schon allein deshalb, weil er sich nicht dem so genannten Neuen Deutschen Film zugehörig fühle, was ihm in linksfundamentalistischen Kreisen noch immer als künstlerisches Manko, ja als politische Fehlleistung angekreidet werde. Herzog: „Ende der 1960er Jahre war das Postulat, die Weltrevolution durch Film zu bewirken. Ich habe gesagt: Ihr seid Kretins! Sowohl eure Analyse, dass Deutschland ein faschistoider Unterdrückungsstaat sei, ist falsch. Wie auch das Heilmittel, Deutschland in kommunistische Kommunen aufzulösen.“ – Interessant. Und ein Schlaglicht auf den geistigen Zustand von Leuten, die sich als Avantgarde verstanden. Noch heute wabert deren Denken durch Köpfe, die sich für autonom und linksradikal weltverbesserisch halten. Obendrein und zufällig ein indirekter Kommentar zu Düffels Stück in Potsdam.

Übrigens -

Es geht doch nix über meinen guten Riecher. Nämlich war mir sofort klar, dass das bittersüße Filmchen „Oh Boy“ über einen durchtrieben sympathischen, sich mit wachen Augen lustlos durch Berlin taumelnden Taugenicht, dass Jan Ole Gersters so treffliches wie lakonisch-komisches Generationenporträt ein Ereignis ist. In Betriebsnotiz 15 habe ich es Ihnen an Herz gelegt als Leckerli für die weihnachtliche Feiertagsunterhaltung.

Doch dass „Oh Boy“ jetzt beim Deutschen Filmpreis gleich sieben (!!!) Lolas abfasste letzten Freitag im Friedrichstadtpalast (bester Film in Gold, bestes Drehbuch, beste Regie, beste Hauptrolle – Tom Schilling, beste Nebenrolle – Michael Gwisdek, beste Musik), das zu denken wäre mir bei aller Begeisterung für das Meisterstückchen nun nicht im Traum eingefallen. Gratulation fürs tolle Team!!

Und trotzdem: Die Filmakademie krönte ein kleines Kammerspiel, eine feine Petitesse zum absoluten Hit des Jahres, und erklärte damit zwangsläufig den mit riesigen Abstand dicken Rest der filmischen Jahresproduktion für Soso-Lala. Was niemand wirklich glauben mag und glücklich machen kann. Oh Filmakademie, oh Filmproduktion!

 

 

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