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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 32

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

22. April 2013

Ärger


Zwei große Premieren an einem Abend: Erstens Schaubühne mit „Romeo und Julia“, Regie führt der Star des Hauses Lars Eidinger, der neuerdings mit Wollmütze rumläuft, soll „hipster“ sein. Doch ich denke, er will bloß seinen kahlen Hinterkopf verdecken, warum bloß? Mehr Mut zur werdenden Halbglatze, mehr Mut zur Authentizität.

Zweitens Berliner Ensemble mit „Peter Pan“, Regie führt der weltberühmte Altmeister Robert Wilson; der seit Tagen schon mit öffentlichen Voraufführungen seine Effekte erprobt, da hätte man ohne Not einen Tag früher die Premiere machen können. Die Doppelung ohne Absprache zwischen den Berliner Bühnen, bislang eine freiwillige Verpflichtung, darf nicht ausgehebelt werden. Auch nicht von Weltstars.

Schaubühne

„Keine Idee“, soll Thomas Ostermeier zu Lars Eidinger gesagt haben. „Mach du mal!“ Und der machte. Und hatte für Shakespeares „Romeo und Julia“ Ideen im Überfluss für die Mär, die da erzählt von unserer irren Gier auf Liebe, der unsere irre Gier auf Krieg stets im Wege steht. Bändeln und Händel im grotesken, traurigen, absurden Wettrennen vor dem Hintergrund der von Feindbildern besessenen Veroneser Sippen Capulet und Montague.

Das „unsternbedrohte Liebespaar“, wie es in der so beispiellos poetischen wie sarkastischen Nachdichtung von Thomas Brasch heißt, diese Teenager-Lovestory inspirierte Eidinger zu einem geradezu rauschhaften Cocktail der Formen: Komödie, Klamotte, Farce, Comic, Romanze, große Oper, Schauerstück, Action-Thriller, Tragödien-Schauer, Gender-Spielchen und jede Menge Slapstickiaden – gewürzt mit aasigem Witz und kindischer Blödelei; gebettet in den klirrenden Sound von The Echo Vamper mit den Rockern James Brook & Iza Mortag Freund.

 

Eidingers Shakespeare-Theater gleicht einer mit Theatermitteln vollgestopften, Spielplatz-chaotischen Wunderkammer. Seine Fantasie fasst den Autor fest an Kopf und Herz und ungeniert auch am Glied – plebejisch rotzig, geil und sexy, ironisch-zynisch oder, wenn es denn sein muss, zart und sentimental.

Freilich zuweilen passiert es, dass der Regie-Ideenreichtum ins maßlose Auftürmen von Gags wuchert, ins selbstverliebte Virtuosentum, das den Sog des zweieinhalb stündigen Abends stört. Das allzu viele Blut, nackte Fleisch, Konfetti, Karacho, Tamtam. Sogar Michael Jackson tritt auf. Doch trotz der demonstrativ grellen Exzesse (dasselbe Stück am Schiffbauerdamm im BE, Regie Mona Kraushaar, kommt da viel schimmernder, magischer mit mehr Einfühlung rüber): Es bleibt auch am Kudamm immer Shakespeare; die Regie hängt fest an Plot und an Allgemeinverständlichkeit.

 

Die letzte halbe Stunde – nach dem ersten Mal im Doppelstockbett (der Kuschelbär darf zuschauen) – beklemmende Stille. Die gehört allein der unfreiwilligen Selbstvernichtung von Romeo und Julia: Früh desillusioniert und doch mit festem Glauben ans glückliche Miteiander: Moritz Gottwald und Iris Becher, die beiden Aussteiger aus der schrecklich schillernden, brutal egomanischen Böse-Bürger-Welt. In der liefern Regine Zimmermann als Lady Capulet sowie Sebastian Schwarz als Amme und Graf Paris abgründig kabarettistische Kabinettstücke.

Zum Finale das ganze grandiose Ensemble a capella mit einem Song der britischen Rockband „Bauhaus“ an den Gräbern der toten Jugend: „Flash of youth shoot out of darkness…” Dazu sprüht hoch am Himmel ein Feuerwerk „Romeo & Julia“. Es verglüht; dunkel wird’s. (wieder am 20. April, 13., 14. Mai)

Berliner Ensemble

Vor nunmehr gut 30 Jahren mischte Robert Wilson, der aus Texas stammende Theatermeister des Luftig-Artifiziellen, ein europäisches, sonderlich jedoch ein deutsches verkopftes Bildungstheater auf, was einem Paradigmenwechsel gleichkam. Sein seither weltweit wirkender Erfolg, diese neuartige Synthese von bildender Kunst und ritualisiertem Spiel, verführte ihn freilich dazu, jene Schaufenster-Ästhetik geradezu fabrikmäßig teils bis zur völligen Erschlaffung zu wiederholen. Aber immer, wenn ihm ein starkes Stück und starke Musiker wie Tom Waits oder Lou Reed den Rücken stärkten, gelangen dem im Technischen stets perfektionistischen, im Dramaturgischen aber notorisch unkonzentriert verspielten und teuren Texaner mit der Spitzensupergage noch großartige Inszenierungen. Im BE beispielsweise „Leonce und Lena“ von Georg Büchner mit dem Soundtrack von Herbert Grönemeyer oder „Die Dreigroschenoper“ von Brecht und Weill – „Lulu“ wiederum (noch im Spielplan) war bloß geziert anämisches Posen-Theater, trotz eines Autors wie Frank Wedekind.

Und jetzt warf unser Global-Player mal wieder am BE ein Produkt ab aus seinem funkelnden Theater-Baukasten: „Peter Pan“ von Matthew Barrie, deutsch von Erich Kästner. Und mit 21 Songs nebst Zwischenspielen vom berühmten Post-Elektrofunk-Duo CocoRosie.

Das Stück vom Knaben, der nicht erwachsen werden wollte, ist zu einer läppischen kleinen Szenenfolge über Abenteuerchen zwischen Luft, Meer und Nimmerland geschrumpft. Lichtkünstler, Maskenbildner, Perückenmacher, Schneider liefern aufwändige Maßarbeit wie das pantomimisch dressierte Ensemble. Und CocoRosie überzuckert das Slow-Motion-Gehopse durchs flachsinnige Neverland mit seinem piepsig girrenden Getön. Kein Gedanke an einen Ohrwurm in diesem so anspruchs- und kunstvoll sich spreizenden Musical. Quatsch: Bleierne Langeweile macht sich breit. Des Gähnens war kein Ende.

Wagner-Heldinnen

13 weltberühmte Wagner-Sängerinnen aus unterschiedlichen Epochen hat die Berliner Musikjournalistin Kirsten Liese porträtiert: von der Flagstad und Leider über Varnay, Nilsson, Dvorakova, Silja, Jones, Ligendza bis Polaski, Meier, Stemme. Die noch lebenden Isolden und Brünnhilden hat die kenntnisreiche Autorin (ich erinnere an ihre Elisabeth-Schwarzkopf-Biografie) exklusiv interviewt. Ein spannendes Buch, und noch immer voller Neuigkeiten. Das Geleitwort schrieb Christian Thielemann, der gegenwärtig aufregendste Wagner-Dirigent. Illustriert ist das 140-Seiten-Buch (Verlag Josefine Rosalski) mit teils bislang unveröffentlichten privaten Fotos. Am 26. April gibt es um 20 Uhr die Buchpremiere im Literaturhaus Fasanenstraße. Da befragt der Berliner Feuilletonist Tilman Krause („Die Welt“) die Autorin über den zwar schönen, aber doch enorm aufwändigen Arbeitsprozess. Obendrein wird grandios geschmettert; Kollege Krause legt CDs auf, ich werde lauschen.

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