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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 266

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

17. Juli 2018

HEUTE: 1. „Im Weißen Rössl“ – Renaissance-Theater / 2. Sommerspaß beim Freiluft-Putzen ‑ „Müll & The Gang“ / 3. Floppender Regie-Dreier – Wiener Staatsoper mit schönen Grüßen nach Berlin von Wagner, Weber, Verdi

1. Renaissance-Theater - Betörender Sommernachts-Tagtraum im Salzkammergut

 © Boris Aljinovic
© Boris Aljinovic

Das Hotel hat eine edle hohe Halle, holzgetäfelt, mit Blick auf Alpengipfel, Wolfgangsee; aber an der Seite einen zünftigen Wirtshaustisch. Und vorn, hin zum Publikum, eine Böschung als wär‘s das Ufer vom „veilchenblauen See“. Dort sitzen sie alle, die vom „Weißen Rössl“, still und dicht beieinander in frühmorgendlichem Dämmer, verhüllt von dicken Nebelschleiern, die von der Bühne durch den Zuschauerraum wallen. Was für ein Moment: diese Ruhe, dieser Frieden, dieses innige Zusammensein aller. Dann fangen sie an leise zu summen, als erwachten sie allmählich aus einem Schlummer voll süßer Träume: „Es muss was Wunderbares sein“, „Und als der Herrgott Mai gemacht“, „Im Salzkammergut, da kammer gut…“ ‑ Was für ein wundersames Vorspiel, diese kollektive Auferstehung aus einem Sommernachtstraum hinein in einen wahrlich tollen Tag; denn: Im Weißen Rössl – „da kammer gut lustig sein“.

 

Aber nicht nur. Weil: In diesem Hotel, das durch den geschliffenen Text von Erich Müller und Erik Charell (Liedtexte: Robert Gilbert) sowie die unvergängliche Musik von Ralph Benatzki weltberühmt wurde, in dieser idyllischen Ferienherberge am Wolfgangsee im österreichischen Salzkammergut geht es zwar wahnsinnig drunter und drüber. Doch in diesem Mix aus Eingeborenen, Personal und deutschen, speziell auch Berliner Gästen, im Clinch zwischen jungem Blut und etwas älteren Herrschaften samt eines Wiedergängers von Kaiser Franz Joseph selig (Walter Kreye) dräuen immer auch heillose Seelenverletzungen, weggesteckte Daseinsängste, bittere Ahnungen oder unerfüllbare Sehnsüchte.

 

Es ist die Herz und Gemüt betörende aber auch die pralle Lust und den feurigen Witz befeuernde Leistung des Regisseurs Torsten Fischer, dass im Tollhaushotel, das bis zum Dachfirst voll ist mit banaler Geschäftelhuberei, mit schwelenden wie geil explodierenden Herzensangelegenheiten, dass es da immerzu Momente des erschrockenen, melancholischen, wehmutsvollen Innehaltens gibt.

 

Das ist nicht selbstverständlich. Denn das „Weiße Rössl“, eins der erfolgreichsten, wohl meist adaptierten (Film, TV) Singspiele, das kann man gut und gerne auch als rasende Klamotte oder grelle Groteske mit Hit-Einlagen flott runter rattern lassen. Also Lederhosen-und-Dirndl-Gaudi non stop! – Doch das Regieteam macht alles ziemlich anders und dabei „richtiger“. Ihm gelingt das seltene Kunststück der großen Komödie aus Witz und Weh, Blödelei und Hintersinn, Märchen und Alltagswirklichkeiten.

 

Freilich, auch diesmal steppt das Ross und wiehert das Pferd; singt und swingt es krachledern, aber auch fein poetisch. Dazwischen eine Fülle von Gags: Der altersweise Kaiser F.J. tritt auf, Falco (Tonio Arango mit dem Rennrad!) wird parodiert, der ewig meckernde Piefke macht Berliner Kabarett (Boris Aljinovic) und die knackige Jugend vögelt ungeniert und zeigt den nackten Hintern. Queen wird zitiert oder die „Zauberflöte“.

 

Apropos Mozart: Man wähnt, die Regie, aber auch die Band (fünf Musiker, zwölf Instrumente) haben kräftig Geist getankt vom Genie aus Salzburg. Damit sind sie ganz beim großen Komponisten Ralph Benatzky, der trotz seines Riesenerfolgs ewig damit haderte, dass die dramaturgischen Eingriffe des Showkönigs der damaligen Reichshauptstadt Rudi Charell das „Rössl“ (Uraufführung 1930) kräftig weg vom „Singspiel“ hin in Richtung Musikrevue schob.

 

Genau hier dreht im Renaissancetheater die Regie unaufdringlich zurück. Benatzky, insgeheim einen tollen Sommernachts-Tagtraum im Hintersinn, wäre entzückt. Dass Torsten Fischer „musikalische Einlagen“ von Robert Gilbert, Bruno Granichenstaedten und Robert Stolz geschickt einfügt, sollte der (eifersüchtige?) Benatzky locker wegstecken. Stützen doch gerade die kostbaren Einlagen dieser sensationellen Aufführung (Barrie Kosky von der Komischen Oper könnte neidisch sein) ihre Verquickung von (teils ironischem) Schmelz und harschem Schmäh, vom volkstümlich Lustigen und Innigen. Gelegentlich schwelgt der Abend betörend in der hier so pässlichen Bittersüße Wiener Lieder…

 

Jetzt nun endlich das grandiose Ensemble: u.a. Winnie Böwe als resche Rössl-Wirtin, Andreas Bieber als in sie verknallter Kellner Leopold, Ralph Morgenstern als bezaubernd komischer Sigismund (der nix für seine Schönheit kann) mit seinem Geliebten Sprachfehler-Klärchen (Nadine Schori) sowie Angelika Milster als spitze Töne schmetterndes, fesches Fräulein Weghalter.

 

Was für ein großer Abend! Ich gestehe, ich bin hin und weg, ein inzwischen seltenes Theatererlebnis. Perfektes Casting, ein starkes Bühnen-Sinnbild (Herbert Schäfer, Vasilis Triantafillopoulus), effektvolle Choreographie (Karl Alfred Schreiner), ein fantasievoller Musikchef (Harry Ermer), ein geniales Stück, das die Regie noch „genialer“ macht, nicht zuletzt auch durch die frappierend miteinander verwobenen „Nummern“ (oder Szenen – ein Lehrstück für Jungregisseure). Eine Art Neusicht auf das alte Ding, die das Zeug hat, exemplarisch zu sein.

 

Zum ironiesatten Finale sitzen alle, frisch verpaart, wieder träumerisch Benatzky summend am Seeufer in der Dämmerung eines tollen Tages. Und wieder säuseln womöglich unerfüllbare Lebens-Sehnsüchte in den aufziehenden Nebel der Nacht.

(en suite bis zum 5. August)

2. SOMMER-TIPP - The Müll-Gang: Stadtreinigung als Mitmach-Show

 © Blint Meggyesi
© Blint Meggyesi

Eine seltsame Truppe in blauen Arbeitsklamotten, mit roten Mützen, Besen und Schippe tobt, Trillerpfeifen zwischen den Lippen, durch Berlin. Genauer gesagt: durch die Ausgeh-Areale zwischen Oranienstraße (Kreuzberg) und Weserstraße (Neukölln). Um das allerorten ziemlich verdreckte Stadtbild wenigstens etwas aufzuhellen an jenen Ecken, wo der Partybetrieb besonders hingebungsvoll mit seinen Hinterlassenschaften schmuddelt.

 

Es ist aber eben nicht die Firma BSR, die ja längst überfordert ist im ordentlich öffentlichen Dreck Wegräumen. Es ist vielmehr die interaktive Straßentheatertruppe „Müll & The Gang“, die da – pädagogisch originell & wertvoll – unter der phantasievollen Regie von Andrea Bittermann und mit hinterhältigem Spaß das staunende Volk auf den einschlägigen Straßen animiert, nicht alles, was man da so mit sich schleppt und nicht mehr braucht (beispielsweise alle Arten Verpackung) endlich (wenigstens einmal) korrekt zu entsorgen, anstatt es einfach fix fallen zu lassen wo man gerade steht und geht. – Aber auch die notorischen Sperrmüll-Vandalen unter den Einheimischen werden energisch, aber mit hinterhältigem Charme, aufs Korn genommen in dieser amüsanten Aktion. Motto: „Die Ratten kommen!“

 

Was für eine verdienstvolle Veranstaltung für Mitmach-Enthusiasten in Richtung „Unsere Stadt soll schöner werden“. Hätten die Grünen auch drauf kommen können. Doch die Müll-Gang kommt ja per pedes zu den verdatterten Leuten und nicht mit dem Fahrrad.

 

Immer an den Sommerwochenenden bis zum 31. August. Start ist am 20. Juli, 19 Uhr, in der Oranienstraße. Die wechselnden Spielorte sind abzufragen unter www.berlin-die-ratten-kommen.de

3. Wiener Staatsoper - Lohengrin im Nachthemd


Ein für alle Opernwelt und selbstredend ganz Österreich bedeutsames Jubiläum steht 2019 an: 150 Jahre erst Hof-, dann Staatsoper. Noch kurz vor Kriegsende wurde das am 25. Mai 1869 von Kaiser Franz Joseph I. mit Mozarts „Don Giovanni“ eröffnete Prunkgebäude zerstört – übrigens, weil seine Majestät einst mäkelte, nahm sich der übersensible Architekt Sieghart von Sieghartsburg prompt das Leben. Das am Rande. 1955 wurde das Riesengebäude (1709 Sitzplätze, 567 Stehplätze) mit Beethovens „Fidelio“ wiedereröffnet; das pompöse Stiegenhaus war originalgetreu restauriert worden (Historismus / Neorenaissance), das Zuschauerhaus hatte man maßvoll modernisiert in seiner historischen Kubatur und Farbgebung – Rot, Gold, Elfenbein. Im Repertoire stehen 50 Werke, dazu zwei Kinderopern und zehn Ballette. Die Platzauslastung steht kurz vor den sagenhaften 100 Prozent. – In etwa gleichauf liegt in Berlin die Komische Oper; die Staatsoper Unter den Linden zieht mit 94 Prozent nicht viel kürzer; die Deutsche Oper Berlin liegt leicht unter 90 Prozent.

 

 

Als Knaller zum Wiener Jubelfest gilt die Neuproduktion „Frosch“ ‑ „Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss mit Christian Thielemann sowie der Superstarbesetzung Gould-Nylund-Herlitzius-Koch-Stemme (Regie Vincent Huguet).

 

Aber, bei allem Alt- und Neugoldglanz, es gibt immer auch Schatten. Und der hat diesmal vornehmlich mit Regie zu tun. Beispielsweise „Der Freischütz“ (Carl Maria von Weber). Da versucht der intellektuell hoch bemühte Regisseur Christian Räth den unglücklichen Schützen zum Künstler zu machen, einen Komponisten im Clinch mit seiner Schaffenskrise. Erst bei der folgenschweren Freikugelgießerei am lichterloh brennenden Konzertflügel in der sächsischen Wolfsschlucht, die hier ein gläserner Wintergarten ist mit dürren Bäumchen, da löst sich unter Zuhilfenahme böser Mächte die Kreativblockade. Und die Noten stürzen nur so aus der Feder auf dicke Stapel von Papier.

 

Weil Räth zudem noch ein bisschen zeitgeistig gendermäßig tickt, ist die quicke Kammerzofe Ännchen lesbisch. In wilder Leidenschaft stürzt sie sich auf ihre mit gespreizten Beinen auf der Ottomane ruhenden Herrin Agathe. Wow! Derweil tanzt beim berühmt abgründigen Walzer der komponierende Freischütz-Jäger Max plötzlich vervielfältigt zu einer Kompanie von Doubles mit der entsprechenden Anzahl von Teufeln die alle aussehen ‑ wie Max. Ein Hauch von Tuntentotentanz. Das letzte Wort hat am Ende der Eremit, der, verkleidet als bärisches Zotteltier, mit tönendem Bass ausgerechnet in einem Kristalllüster aus dem Bühnenhimmel einschwebt für seine finalen Frieden stiftende Mission. Wer das Stück nicht kennt, der hat so seine Probleme… Das Premierenpublikum schimpfte wie ein Rohrspatz und spendierte ein Buhkonzert.

 

Dann „Lohengrin“. Da kam Regisseur Andreas Homoki auf die so wahnsinnig gesellschaftskritische Idee, die Saga vom Schwanenritter in einer bayerischen Trachtenkneipe spielen zu lassen. Elsa, die hohe Jungfrau, irrt mit einem kleinen Plastikschwan aus dem Spielzeugladen durch den himmlisch tönenden Deppenchor in Lederhosen und Dirndelkleidern, bis schließlich Lohengrin im weißen Nachthemd vor ihr – am Bühnenboden liegend und singend – aus der Versenkung heraufgefahren war. Spöttische Distanz zum philosophisch komplex denkenden Autor wird hier unfreiwillig zur Lachnummer über einen todernsten Sachverhalt.

 

Ganz anders Verdis „Falstaff“; da illustriert Regisseur David McVicar in tumber Bravheit geradezu als Hohn auf die funkelnde, sprudelnde, irre saufreche Geschichte vom alternden Lustmolch, der sich am Ende zu sympathisch höherer Weisheit durchringt. Doch zuvor gibt es ja noch das große erotische Sommernachts-Wirrwarr, das wiederum so unerotisch wie nur irgend möglich abgeleiert wird. Warum nur bleibt die opulente Technik dieses Hauses ordentlich beiseite gelegt, damit ja nicht auch nur der Hauch eines fantastischen Nachtzaubers, eines märchenhaften Waldwebens aufkommt? Schade um das herrlich weltkluge Alterswerk den großen Verdi. – Tja, auch an Weltklassehäusern hat man Probleme mit dem Regisseurstheater – mal ist es too much. Mitunter wiederum zu wenig…

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