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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 26

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

11. März 2013

Berliner Ensemble


Der große Altmeister Peymann (75) will es mit Schiller noch einmal wissen. „Kabale und Liebe“ im BE auf leerer Bühne im großen Kreidekreis, den Ausstatter Achim Freyer auf die Bretter gepinselt hat: Als Kampfbahn im Intrigenstadel. In die nun treten die Spieler aus der Wartestellung im Bühnenhintergrund heraus nach vorn zum Schaukampf. Mit sparsamen, aber signifikanten Requisiten: Für die bürgerlichen Millers ein unschuldig weißer Küchenstuhl, für die Aristokratie ein hoher blutroter Lehnsessel, für Lady Milford eine rosa Schaukel.

 

Die bitterböse Geschichte einer unmöglichen Liebe über Klassenschranken hinweg wird in klar verständlichem Einfühlungsrealismus ordnungsgemäß erzählt; freilich durch teils karikierende Outfits, in denen die verdorbene Hof-Kamarilla steckt, noch mit Überhöhungen ins Albern-Groteske. Das sozial wie mental ungleiche Paar mit der vergifteten Limonade weiß wie eigentlich immer und also auch dieses Mal unser mitleidend Herz zu rühren (Sabin Tambrea und Antonia Bill als Ferdinand und Luise). Und Miller (Martin Seifert) macht den braven Hofmusikus, der verzweifelt die Faust in der Tasche ballt. Der fiese Rest chargiert entsprechend. ‑ Schulklassenkompatibles Klassik-Erzähltheater. Gekonnt und gepflegt, ohne den Psycho-Wahn aus Pubertät oder Gottgläubigkeit. Ohne sonderliches Anrennen gegen väterliche Autorität, ohne spektakuläres den Kopf-Einrennen oder Blutig-Schlagen an den ehernen Wänden feudaler Konvention. Sympathischerweise aber auch ohne hechelnde Verheutigungen.

 

 

 

Aber es gibt doch noch eine Überraschung: Nämlich die bezaubernd selbstbewusste, so kapriziöse wie kluge, so zarte wie souveräne Lady der Katharina Susewind. Eine bezaubernd jungdamenhafte, echt aufgeklärte, voll emanzipierte, wahrlich anbetungswürdige Figur. Eigentlich die Hauptfigur. Der Lichtblick in der trüben, stur kleinbürgerlichen und kleinhöfischen Kleingeisterei, die theatralisch korrekt über die Bühne geht, was freilich nicht so ganz dem tragischen jung-schillerschen Haut-den-Lukas-Furor entspricht. Da kam man andernorts – trotz oder gerade wegen finaler Vergeblichkeit (das Süßgetränk!) – schon weitaus heftiger zur Sache; da hallten höllische Abgründe und himmlisches Jauchzen. Wie Explosionen krachten die Widersprüche! Oder implodierten herzzerreißend. Bei Regisseur Claus Peymann werden sie ordnungsgemäß schulmeisterlich demonstriert.

 

 

 

Da gratuliert der Bär

 

Es war ein schöner, ein strahlender Abend im Festsaal vom Roten Rathaus, obgleich an der Spitze des Turms die Stadtfahne, verdreckt wie ein Putzlappen, unsere deutsche Kapitale so überhaupt nicht schmückt; da schüttelt‘s den Bären… Bloß gut, dass Lukas Bärfuss nicht nach hoch droben schaute. Sondern etwas scheu geradeaus strahlte ins Publikum im rappelvollen Festsaal, wo der schweizer Schriftsteller den diesjährigen Berliner Literaturpreis der Stiftung Preußische Seehandlung erhielt sowie die Berufung auf die Heiner-Müller-Gastprofessur der deutschsprachigen Poetik an der Freien Universität.

 

Bärfuss, Anfang 40, gelernter Buchhändler, Familienvater und seit 15 Jahren freier Autor, schrieb ein gutes Dutzend Bühnenstücke (u.a. „Öl“ – zu Beginn der Intendanz Khuon im DT; „Der Bus“, „Die sexuellen Neurosen unserer Eltern“), alles Stücke, die aufgrund ihrer fantastischen Mischung von weit schwingender Poesie und rauer Lebensnähe viel gespielt werden – nur in Berlin leider gerade nicht.

 

 

 

Bärfuss ist verrückt auf das Ur-Medium Theater, auf den „live act“. „Gerade unser so ausdifferenzierter Theaterbetrieb hat für sehr viele von uns Schreibern eine ungeahnte Strahlkraft“. Ganz besonders auch jenseits vom deutschen Sprachraum. ‑ Wie wohl jeder bestätigen kann, der mit internationalen Stücke-Wettbewerben zu tun hat und mit der damit einhergehenden tsunamihaften Flut von Einsendungen.

 

Nach den Gruß- und Festreden sowie schauspielerischen Bonbons mit Szenen aus Bärfuss-Stücken, von Stars gelesen (Nina Hoss, Fritzi Haberlandt), frage ich bei üppig fließendem Wein und ewig kreisenden Tabletts voller Häppchen zum Empfang im Wappensaal den verehrten Geehrten (der Umschlag mit den 30 000 Euro Preisgeld war gut verstaut), frage ihn also, was nicht leicht zu sagen ist, nämlich was denn nun ein gutes Stück ausmache.

 

 

 

Bärfuss sehr elegant im weißen Hemd mit schwarzem Schlips und grauem Anzug ganz unaufgeregt und prompt: Es müsse ein Trotzdem drin stecken. Müsse über sich hinaus weisen, müsse dahin zeigen, wo es selbst nicht hinkomme. Wichtig sei, wie es sich zum Unsagbaren verhält. „Für mich heißt Stückschreiben auch, das Körperliche zu suchen, alles was angreift, was angegriffen werden kann, das Verletzende, das uns Beherrschende.“

 

In der Begründung der Preis-Jury heißt es denn auch, in den Bärfuss-Werken „geben die Freaks und Träumer, die Schlafwandler und Fremdlinge den Ton an“. Von ihnen gehe eine stille Hartnäckigkeit, ein unmerkliches Nein-Sagen aus. Die Bärfuss-Geschichten seien Störfälle; nicht, weil ihre Figuren Änderungen postulierten, sondern durch ihre Besonderheit, ihr Anderssein. Glückwunsch für Meister Lukas – und seine wundersamen Figuren.

 

 

 

Deutsches Theater

 

Drei Generationen politisch sehr unterschiedlich erleuchtet schildert Eugen Ruge in seiner zu Herzen gehenden Familiensaga „In Zeiten des abnehmenden Lichts“. In dem poetischen Titel des Romans steckt ein so feinsinniger wie schlagender Verweis: „Die Welt im Licht“ nannte einst Maxim Gorki seine literarische Lobpreisung des „großen Sohns der Menschheit“ namens Stalin.

 

Und weil heutzutage nichts so schnell wie Bestseller-Literatur jedweder Art das ansonsten eher langsame Medium Theater erreicht, hatte jetzt die nur wenig verfremdete Geschichte der mit den extrem wechselhaften politischen Verhältnissen heftig verwobenen Familie Ruge ihre Uraufführung als vom Autor selbst verfertigtes Theaterstück im Deutschen Theater, das immer scharf ist auf spektakulär brandneue Texte, was, nebenbei bemerkt, diesem Institut nicht immer gut tat. – Aber wenn eine solche Erzählung über eine Flucht vor dem Nazi-Faschismus ins mexikanische Exil oder ins sowjetische Paradies, wo Workuta wartete, wenn eine solche Erzählung, die sich fortsetzt mit der Rückkehr 1952 ins DDR-Berlin, wo man dank Dogmatismus und Opportunismus Karriere machte, wenn diese große Story denn unbedingt auf die Bühne kommen soll, dann im DT.

 

 

 

Und trotzdem: So aufschlussreich die Geschichte von der Hoffnung auf ein neues, ein sozialistischen Deutschland sowie vom Untergang dieses Ideals in zunehmender Verfinsterung aufgeblättert wird, die damit einhergehenden Geschichten vom tragischen Verfall einer Familie in Zank und Entfremdung sowie den letztlich schmerzensreichen, finalen Weg in Krankheit und Tod, mithin das packend Menschlich-Allzumenschliche, das bleibt in der Regie von Stephan Kimmig doch seltsam blass.

 

Freilich, die historische Folie ist gerade in ihrer Widersprüchlichkeit tief bewegend und von nach wie vor dringlichem Interesse, doch die darin eben auch (aber nicht nur) wurzelnden Dramen der Figuren geraten zu eher anekdotischen Illustrationen. Es ist, als würde da, chronolgisch vehement hin und her springend zwischen Zeiten und Welten (von 1920 bis 2001), ein Bildchenbuch aufgeschlagen, für das die selbstredend wunderbaren Schauspieler (u.a. Christian Grashof, Gabriele Heinz, Margit Bendokat, Bernd Stempel, Judith Hofmann, Alexander Khuon) meist in virtuosen Soli die Unterschriften hergeben.

 

 

 

Auf dem 79-Seiten-Script, das Ruge aus seinen 432 Buchseiten filterte, lastet schwer die düstere Melancholie der verlorenen Illusionen. Sowie eine gewisse bittere Ratlosigkeit angesichts einer großen Vergeblichkeit. Dem verfällt, durchaus verständlich, auch die Regie. Was wiederum – ihr handwerklicher Sündenfall ‑ dem Theater, dem dramatischen Spiel arg abträglich ist. Da verbreitet sich in gut drei Stunden Dauer oft schwarz gerahmter Leerlauf. Die Inszenierung verharrt – ähnelnd einem rhetorischem Requiem für alle Blutopfer vermeintlichen Fortschritts – im Trauermodus übers große Rotlichtverlöschen.

 

 

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