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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 242

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

29. Januar 2018

HEUTE: 1. „Alles Schwindel“ – Maxim-Gorki-Theater / 2. „Penthesilea“ – Berliner Ensemble / 3. „Das gibt’s nur einmal…“ – Tipp: Montags am Grammophon / 4. Aufräumen im Fundus – Deutsche Oper

1. Maxim Gorki Theater: - Das Korkenknallen kommt viel zu spät…

 © Ute Langkafel / maifoto
© Ute Langkafel / maifoto

Kaiserreich kaputt, Weltkrieg eins überlebt, Deutschland am Boden, Polit-Chaos, Inflation. Und doch: In diesem Chaos rappelt Deutschland sich wieder auf, der Kapitalismus explodiert, die Moderne bricht los, die Hauptstadt der Republik wird zum Anziehungsort für alle Welt – Halb- und Unterwelt. Die Erfindung des Revuetheaters, ein Mix aus Operette, Tanz, Jazz, neuer Musik, expressionistischer Kunst, politischem Kabarett und geistreichem Boulevardtheater sind ein so hintergründiger wie glamouröser Ausdruck dieser „Goldenen Zwanziger“. Die waren natürlich nicht nur gold, sondern noch voller Talmi und Dreck.

 

Es waren gerade die zahlreichen jüdischen Künstler, die das verdammt faszinierende Zwielichtige jener Zeit furios auf den Punkt brachten – gerade in der Unterhaltungsindustrie. Zu den Erfolgreichsten dieses Genres gehören der Autor Marcellus Schiffer sowie der Musiker Mischa Spoliansky. Ihre Burleske „Alles Schwindel“, 1931 am Kudamm-Theater mit Gustaf Gründgens uraufgeführt, nahm das Gorki-Theater zum Anlass, sich jetzt erstmals in diesem Metier zu versuchen. ‑ Ziemlich mutig mit Blick zur Nachbarschaft: Feiert doch just in Barry Koskys Komischer Oper diese so spezielle Art Musiktheater-Kabarett-Show sensationelle Wiederauferstehung.

 

Regisseur Christian Weise, Arrangeur Jens Döhle, die Ausstatter Julia Oschatz, Adriana Praga Peretzki, Frank Schönwald illustrieren die Burleske als expressionistischen Revue-Comic. Jonas Dassler und Vidina Popov sind als Protagonisten großartige Talente für Spiel und Singsang, fürs Herumtoben in Glamour und Gosse, zwischen Gangstern und Geldsäcken.

 

Also alles prima? Fast alles, denn die Regie ließ das eine Entscheidende außer Acht, nämlich den genretypischen Imperativ Tempo, Tempo! Bis zur überflüssigen Pause eiert die frech-witzige Geschichte vom jungen Liebespärchen, das sich hochstaplerisch durchs Wirtschaftskrisenleben blufft und schwindelt, so lala dahin. Freilich, das opulente Ensemble ist stets irgendwie in Aufregung, turnt slapstickhaft mit den raffinierten Versatzstücken der Kulisse und das Musiker-Trio dreht ordentlich auf (Schlagzeug, Kontrabass, Klavier). Auch faszinieren immer neue optische Fantasien. Klasse Ausstattung! Doch tritt die Story am langen Anfang allzu oft auf der Stelle, werden witzige Konstellationen, Gags, Pointen aufgeregt zerlatscht. Das nervt. 

 

Doch die Chose wäre fix zu retten. Dramaturgie und Regie müssten ihre Messer wetzen, rigoros schneiden und stringent die Story vorantreiben. So würde nicht erst nach der Pause Champagnerlaune sprudeln. Gorki-Leute, lasst doch, zack, zack!, von Anfang an die Korken knallen, die Pullen sind doch bestens gefüllt. Weg mit der Schaumbremse, nochmal ran an die Chose, in der ein saftiger Publikumshit steckt!

(wieder 1., 11. Februar)

2. Berliner Ensemble: - Küsse und Bisse

 © Birgit Hupfeld
© Birgit Hupfeld

Der Gipfel, der Abgrund, dieser Sturz von hoch oben nach unten auf die Rampe, dem Publikum vor die Füße. Dann dieses Giftig-Gelbe, dieses Glorios-Goldene mit diesem Dunkelroten, dem übers schöne Menschenfleisch rinnenden Blut. Ach! Immerzu hämmert dieses Ich, Ich, Ich, Ich. Das verdammte Ego, dieser blöde Wahn…

 

Der Gipfel, das ist der sensationell steile Kegelberg, den Olaf Altmann bis auf den Schnürboden hinauf ins schwarze Bühnenhaus baute. Für Penthesilea im giftig-gelb-glorios-goldenen Prunkgewand der Thron. Hoch oben die Königin der Amazonen, tief unten Achill, Heerführer der feindlichen Griechen. Beide erstarrt an der Frontlinie ihres Kriegs. Weil: einander verfallen in Leidenschaft. Wie „zwei Gestirne, die aufeinanderprallen“. Dann Küsse und Bisse, das schöne Menschenfleisch, das rote Blut. In ihrer Raserei tötet Penthesilea den waffenlos sich ihr hingebenden Achill. Mörderischer Höhepunkt. Blindwütig sticht sie zu und frisst es, das geliebte Fleisch. Und verreckt in der Ekstase.

 

Eine durch und durch hellsichtige Traumfantasie von Heinrich von Kleist; und doch zugleich eine tiefdunkle, geheimnisvolle, unergründliche. Einer der schönsten Texte deutscher Sprache. Poesie in Vollendung; handelnd vom denkbar Schrecklichsten: „Wir vernichten, was wir lieben“, so bringt es die große Kleist-Versteherin (und traurige Verehrerin) Christa Wolf auf den Punkt.

 

Regisseur Michael Thalheimer konzentriert mutig zupackend und klug Kleists romantisch-schmerzvolles Nachtstück unter mediterran strahlender Sonne auf drei Personen: Die Titelheldin (Constanze Becker), Achill (Felix Rech) und eine kommentierende Figur (Josefin Platt) aus der hohen Frau Gefolge. Thalheimer erfindet kontrapunktisch zum Text skulptural wuchtige Figurationen von suggestivster Bildwirkung – und lässt dabei die Sprache leuchten bis hin in ihre feinsten Nuancen und Verästelungen. Die unglaublich intensive, so hinreißend betörende wie unheimlich verstörende Constanze Becker zelebriert das Sprachkunstwerk auf schier unerhörte Art: alle denkbare Facetten von martialischer Heroine bis Mädchenzartheit hat sie im Kehlkopf und auf der Zunge und in der Körperhaltung. Eine unvergleichliche, unvergessliche Meisterleitung; derzeit wohl einmalig im deutschen Theater.

 

Die drei Spieler-Sprecher, die Regie, das Bühnen- und Kostümbild, sie alle zusammen zelebrieren ein Beispiel ganz großen Theaters mit ganz großem Text. Hundert hochkonzentrierte Minuten, in denen man atemlos, hingerissen, entsetzt oder bestürzt befremdet lauscht und schaut. Schönheit, Schauer, Schrecken, Schmutz, Hingabe und Vernichtung, Gewalt und Zartheit – all dies wahnsinnige, doch zutiefst Menschliche geballt und gereimt in eins. „Küsse reimt sich auf Bisse.“

(wieder 2., 3., 4. Februar)

3. Montagskultur: - Vom Zauber alter Schellack-Platten

 © Torsten Kluge
© Torsten Kluge

Der deutsche Tonfilm der 1930er und 1940er Jahre glich – auch – einer gigantischen Unterhaltungsindustrie: Spaßboulevard, Komödien aller Arten, Heimatfilm, Operette, Revue. Schmonzette und Entertainment in Massenproduktion (und zuletzt die grauenvolle Durchhaltepropaganda). Dabei ist dieser oft seichte, gelegentlich witzige, meist mit musikalischen Mitteln wirkungsvoll aufgeladene Unterhaltungsbetrieb durchweg handwerklich geradezu beispielhaft perfekt gemacht. Das Publikum stürmte massenhaft die Kinokassen, vergötterte seine Stars.

 

Am 29. Januar, 19.30 Uhr, präsentieren mit Charme, Hintergrundkenntnis und Grammophon Torsten Kluge und Frank-Rüdiger Berger ihre Schätze: Die musikalischen Hits der Stars und Sternchen des deutschen Tonfilms besagter Jahrzehnte. Eine Schellack-Plattenrevue. Stimmungsvolle Unterhaltung. Ein gemütlicher Gute-Laune-Abend. Im Kulturvolk-Haus, Ruhrstraße 6.

4. Deutsche Oper Berlin: - Schnäppchen zum Fasching

Ballkleider aus „Onegin“, Schick der 1870er Jahre aus „Arabella“, Abendroben der 1920er und 1960er Jahre und für die Herren Stilvolles von Barock bis Biedermeier. Eher weniger vornehm, dafür sehr streng, die schweren Klamotten des Herrenchores (des finsteren Hagen rohes Gefolge) aus Götz Friedrichs legendärer „Götterdämmerung“; immerhin operngeschichtliche Preziosen. Freilich gibt es auch allerhand Überflüssiges: schönen Kleinkram, lustigen Klimbim; Höschen und Hütchen, Täschchen und Tand. Bereits ab 20 Euro.

 

Das alles passt in die Zeit der Faschingsvorbereitung. Auch wenn diesbezüglich Berlin keine Hochburg ist, es mag ja genug private bis intime Anlässe geben, sich mal zu verkleiden und für ordentlich Überraschung zu sorgen. ‑ Noch was Spezielles für Ballettomanen und Eleven: Im Angebot steht eine üppige Sammlung einfacher sowie aufwändiger Tutus, nicht nur in Weiß, sondern auch farbig.

 

Insgesamt kommen aus dem Riesenfundus von Berlins größtem Opernhaus Klamotten und Requisiten aus sechs Opernproduktionen der vergangenen Jahre zum Verkauf. Sie sind jetzt in einer Ausstellung bei freiem Eintritt zu besichtigen im Untergeschoss der Wilmersdorfer Arcaden. Der Verkauf dort dauert drei Tage: Vom 1. bis zum 3. Februar, jeweils von 10 bis 20 Uhr; Wilmersdorfer Straße 46.

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