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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 229

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

23. Oktober 2017

HEUTE: 1. „Macht und Widerstand“ – Deutsches Theater / 2. Erinnerung an den Komponisten, Kommunisten, Antistalinisten Hanns Eisler

1. DT: Nachwende-Krieg zwischen mächtigem Ex-Stasi-Täter - und seinem ohnmächtigen Ex-Folter-Opfer im poststalinistischen Bulgarien von heute

 © Katrin Ribbe
© Katrin Ribbe

Ilija Trojanows 500-Seiten-Roman „Macht und Widerstand“ ist ein packendes Geschichten- und Geschichtsbuch. Es blickt weit zurück in die Vergangenheit Bulgariens. In den schicksalsschweren Herbst des Jahres 1944, als eine bürgerliche Regierung die Beziehungen zu Deutschland abbrach, worauf die UdSSR dem Land den Krieg erklärte, ein kommunistisches Bündnis den Präsidenten stürzte, Deutschland der Krieg erklärt wurde, woraufhin die Rote Armee das Land besetzte, die Kommunistische Partei Bulgariens aufstieg und nach sowjetischem Vorbild ein totalitäres Terrorregime aufbaute. Bulgarien wird Satellitenstaat der UdSSR, die KP regiert, die Staatssicherheit sichert ihre Allmacht ‑ bis zur Wende 1990, als die erste freie Wahl das Regime stürzt.

 

Der mühselige Prozess der Transformation zum demokratischen Rechtsstaat beginnt. Doch die alten Kader treten nicht wirklich ab, sondern haben in dieser, wie sie sagen, „gelenkten Veränderung“ als skrupellos-opportunistische Wendehälse weiterhin Macht. Ihre Opfer von einst aus den Lagern und Folterhöhlen sagen es so: Die sozialistischen Staatsfunktionäre, die sich einst als „Totengräber des Kapitalismus“ gerierten und daraus ihr Machtmonopol ableiteten, seien nach der Wende mutiert zu „Grabräubern“ der Revolution von 1990.

 

Der tschechische Regisseur Dusan David Parizek hat für seine theatralische Romanadaption „Macht und Widerstand“ aus dem historischen Breitwandpanorama zwei wesentliche Figuren gefiltert: Den Ex-Partisan und hochrangigen Ex-Stasi-Offizier Popow (Markus John), jetzt abgetaucht in die neuen Funktionseliten; und den intellektuell-anarchistischen Konstantin (Samuel Finzi), der in den 1950er Jahren ein Stalin-Denkmal in die Luft sprengte. Seine Geheimaktion flog auf, er geriet in die Hände Popows, es folgten zehn Jahre Knast, Folter, Zwangseinweisung in die Psychiatrie und fortan ein reduziertes Dasein als Außenseiter in Einsamkeit, Krankheit, Armut.

 

Nun begegnen sich nach der Wende das für immer wund geschlagene Opfer und der nach wie vor gut situierte Täter wieder. Popow zählt sich neuerdings zur „Avantgarde des politischen Kompromisses“. Der verhärmt verbitterte, psychotisch rückwärtsgewandte Konstantin ist perplex und sucht verzweifelt nach Gerechtigkeit in den Geheimdienstakten, die ihm weitgehend verwehrt werden (Bulgarien hat keine Stasi-Unterlagen-Behörde). Dennoch erfährt er, wie sein politischer Widerstand verharmlosend als bloß kriminelle Aktion dargestellt wird. Die Akten mit ihren Spitzelberichten (drei Millionen Bulgaren waren bis 1989 als Denunzianten aktiv) als Fälscher von Konstantins Biografie. Für ihn eine letzte ‑ und die wohl schwerste ‑ Demütigung durch das „System“.

 

Popow hingegen sieht sich als Vollstrecker des Rechts und Verteidiger des gesellschaftlichen Fortschritts, der damals halt auch „ungewöhnliche Maßnahmen“ rechtfertigte. Er sagt: „Wer wie Konstantin nicht zum Volk gehören will, darf sich nicht wundern, wenn er vom Volk geopfert wird.“

 

Die erschütternd tragisch grundierte Substanz dieses zweieinhalbstündigen Theaterabends besteht in der Konfrontation der beiden extrem gegensätzlichen Biografien, dem unüberbrückbaren Gegensatz der diametral auf die Vergangenheit wie Gegenwart (ja auf die Welt!) blickenden Männer. Die beiden Protagonisten – Finzi und John als deren Spieler – demonstrieren das mit rhetorischer Wucht und, dank schauspielerischer Kraft, mit psychologischer Intensität. Zwei Charaktere, als Ex-Partisan und Ex-Anarchist zunächst durchaus ähnlich grundiert, dann freilich scharf durch politisch gegensätzliche Auffassungen (über Kommunismus und Revolution) getrennt und daraufhin blutig wieder zusammengeführt als Folterer und Gefolterter – was für eine Geschichte! Letztlich stehen beide bemüht stramm auf wankendem Grund. Sie sind beide auf eigene Art von den Zeitläuften schwer beschädigt, ja traumatisiert – Samuel Finzi und Markus John spielen das in bedrückender Beiläufigkeit und schmerzlicher Feinzeichnung aus.

 

Einige Nebenfiguren von heute (darunter vergeblich nach Liebe lechzende Weiblichkeit), die in teils gegensätzlicher, teils übereinstimmender Weise bezüglich der Protagonisten in der Vergangenheit wühlen – ob in klärender, verklärender oder vertuschender Absicht ‑, sie ergänzen den arg pessimistischen, heftig erschütternden, so wortmächtigen wie komplexen Blick Trojanows auf die einst wie jetzt in Macht und Ohnmacht verstrickte bulgarische Gesellschaft – und überhaupt auf die Tragödie des 20. Jahrhunderts.

 

Mit „Macht und Widerstand“, einer Koproduktion mit dem Schauspiel Hannover, die dort bereits im Dezember vorigen Jahres Premiere hatte, gelang Parizek, trotz diverser Zwischenspielchen, die unnötigerweise den bitteren Ernst der Lage mit Komisch-Groteskem auflockern sollen, ein das Gemüt wie den Verstand aufrüttelnder, en passant lehrreicher Abend. ‑ Zwei ältere, vom Leben gezeichnete, geschundene Herren in einem offensichtlich letzten existenziellen Kampf mit- und gegeneinander. Ein jeder pochend auf das Recht zur Ausübung eines Widerstands, der ihm gemäß ist. Oder gemäß erscheint.

(28. Oktober, 19.30 Uhr; und 29. Oktober, 18.00 Uhr)

2. Ein Karl Marx der Musik: - Eisler-Gedenkstätte in Leipzig, Hanns Eisler auf der Bühne in Berlin


Dass in der Leipziger Hofmeisterstraße Nummer 14 einer der wichtigsten Komponisten so genannter Neuer Musik geboren wurde, das wissen bislang höchstens sehr gut Eingeweihte. Doch das könnte sich ändern. Just am 119. Geburtstag von Hanns Eisler, es war der 6. Juli, wurde von lokalen Honoratioren neben besagtem Hausnummernschild eine Gedenktafel enthüllt: „Der Komponist Hanns Eisler wurde in diesem Haus geboren. Er war Schüler von Arnold Schönberg und enger Arbeitspartner von Bertolt Brecht.“ Des Weiteren wird stichwortartig gelistet, was Eisler alles komponiert hat; u.a. die DDR-Nationalhymne, die musikalisch dem berühmten Haydn-Quartett nicht nachsteht. Dafür steht der Text des „Deutschlandlieds“ von Heinrich Hoffmann von Fallersleben sehr weit unter dem der DDR-Hymne „Auferstanden aus Ruinen“ von Johannes R. Becher.

 

Kettenraucher Eisler war auch in schwierigen, stalinistischen Zeiten bekennender Kommunist und für viele ein „Karl Marx der Musik“; nicht zuletzt wegen seiner bedeutenden Leistungen als Musiktheoretiker. Dass er von der DDR-Kulturpolitik zwar sozial privilegiert, politisch aber nach Kräften angefeindet und bis hin zu Aufführungsverboten gemaßregelt wurde, steht freilich nicht auf dieser Tafel stolz städtischer Erinnerung, die nun endlich – neben Richard Wagner und Felix Mendelssohn-Bartholdy, Bach und Mahler – auch Eisler einbezieht ins offizielle Gedenken der Messestadt an ihre großen Musikersöhne.

 

Dabei können wir froh sein, dass das Mietshaus in der Hofmeisterstraße überhaupt noch steht. Zwar hat es den Weltkrieg halbwegs überlebt, doch danach zerfiel es und stand kurz vor dem Abriss. Die Stadt verfolgte zeitweise die Schnapsidee, ausgerechnet hier, auf dem Abrissgelände, ein Hirschgehege zu installieren. Nun hat ein Investor saniert, und die bis vor kurzem noch unberühmt marode Wohnung, wo Eislers Wiege wackelte, ging für gutes Geld über in kommunalen Besitz. Sie dient jetzt als Gedenk- und vor allem Diskussionsort („Plattform“). Zudem bietet sie Unterkunft für Stipendiaten der Komponistenausbildung.

 

Übrigens: Hanns Eisler (1898-1962) wurde hier, im großelterlichen Domizil mütterlichseits (sein Großvater war Fleischer) nur geboren. Wurde also kein Sachse, denn Mama Marie zog alsbald mit dem Baby nach Wien. Nach der Flucht aus Nazi-Berlin und Emigration (USA, Mexiko) kam H.E. 1949 zurück nach Berlin (Ost), behielt jedoch, wie sein Freund Brecht, die österreichische Staatsbürgerschaft.

 

Tipp für Berlin: Im Repertoire der Kammerspiele des Deutschen Theaters läuft derzeit „Eisler on the Beach. Eine kommunistische Familienaufstellung mit Musik“; Regie Tom Kühnel und Jürgen Kuttner. Die Arbeit ist Teil ihrer theatralischen, polithistorischen Archäologie des 20. Jahrhunderts. Der Abend ist schauspielerisch, bühnentechnisch und musikalisch (die Bolschewistische Kurkapelle) virtuos. Hinsichtlich des Biografischen dieser beruflich wie privat spektakulären, tragisch umflorten Sippe jedoch etwas oberflächlich. Trotzdem: Der Abend ist noch immer spannend, so dass ein Besuch lohnt. Wieder am 25. Oktober um 20 Uhr.

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