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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 22

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

11. Februar 2013

Der vielleicht letzte Schnee der Saison macht den Gräflich-Reussischen Garten zum Wintertraum: Die Eiben weiß wattiert, die Linden ein Filigran in Silber vor blassgelb schimmernder Altweiberfastnachtssonne. Und dazwischen ein ockergelb strahlender, eleganter kleiner Zentralbau gemäß der Villa Rotonda des italienischen Architekten Palladio – und das inmitten Berlins unweit der Friedrichstraße. Heute ist der Reussche Garten der Park hinter dem Charité-Hochhaus Campus Nord, Humboldt-Uni; Zugang über Oranienburger Tor, Hessische Straße, Philippstraße. Und der von Palladio inspirierte Bau stammt von Carl Gotthard Langhans und war einst das Tieranatomische Theater, das er im Auftrag König Friedrich Wilhelms II. als Herzstück der neu gegründeten Tierarzneischule 1789/90 (zeitgleich mit dem Brandenburger Tor) entwarf und errichten ließ. Es gilt als ältestes erhaltenes akademisches Lehrgebäude Berlins und diente der Ausbildung von Rossärzten für die Preußische Kavallerie sowie die Bekämpfung von Tierseuchen. Das kostbare Gehäuse wurde in den letzten sieben Jahren so aufwändig wie detailgetreu restauriert, mit einem kleinen feinen Museum versehen und ist der Öffentlichkeit von Dienstag bis Samstag (14 bis 18 Uhr) zugänglich. Für einen lehrreichen, obendrein entzückenden und sehr besonderen Theaterbesuch.

Renaissance-Theater

Oja, wir kennen sie nur allzu gut: Die ach so kultivierten Schöngeister, die dann unter sich unverschämt die Sau raus lassen. Peter Brochalke ist so einer. Ein cleverer Verleger, der sich einmal die Woche mit seinen Kumpels zum edel Essen trifft. Der grausige Kitzel der feinen Veranstaltung: Ein jeder bringt zum hinterrücks aasigen Amüsement der Gebildeten einen vermeintlich ausgemachten Volltrottel mit, der natürlich nicht weiß, dass er unfreiwillig den Deppen geben soll. Und wer zu Tisch den Deppertsten anschleppt, kriegt als Preis ‘ne Pulle. Diesmal sieht Brochalke sich als Gewinner mit seinem, wie er dachte, absoluten Idioten-Glücksgriff: Nämlich der Zufallsbekanntschaft Peter Ritzke, einem einsamen, dabei äußerst liebenswürdigen, freilich etwas skurrilen Finanzbeamten, der seine leeren Abende damit füllt, historische Bauwerke aus Streichhölzern nachzubasteln. Für den Berliner Sportpalast brauchte er exakt 444 327 Hölzchen und 37 Tuben Kleber.

Nun steht Ritzel mit Hut und Aktenmappe artig bei Brochalke auf dem Teppich, um mit ihm zum verabredeten „Spinner-Dinner“ aufzubrechen. Doch es kommt alles ganz anders in der wahrlich verrückten Komödie „Von hinten durch die Brust ins Auge“, die im Renaissance-Theater das Publikum prompt von den Sitzen reißt.

Kein Wunder, der mit Auszeichnungen überhäufte französische Autor Francis Veber ist ein Meister im Auftürmen wahnwitziger Turbulenzen, irrsinniger Missverständnisse, krachender Zusammenstöße. So ziemlich alles, was des Lebens Alltag an Groteskem parat zu halten vermag, ballt er in seinen wortwitzig geschliffenen Stücken (er schrieb auch die Drehbücher für Kino-Hits wie „Käfig voller Narren“ oder „Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh“).

Es versteht sich, „Von hinten durch…“ ist eine Steilvorlage für Schauspieler, die in der feinmotorischen Regie von Guntbert Warns sämtliche Register ziehen: Denn das menschenverachtende Abendmahl fällt aus; Brochalke (Robert Gallinowski) liegt mit Hexenschuss fach in seinem Luxus-Loft (Bühne: Momme Röhrbein). Und im Dauerclinch mit Ritzel (Boris Aljinovic), dem nunmehr die Führung des total durchgeknallten Abends zufällt, an dem der entnervt brüllende Brochalke erst die Gattin, dann die heimlich Geliebte verliert (beide: Annika Mauer), gar die Steuerbehörde am Hals hat (Thomas Schendel) und schließlich vom hohen Ross coolen Hochmuts ins heulende Elend des Idioten stürzt. Derweil rackert sich der begriffsstutzige, alles stets bloß gutmeinende Naivling Ritzel ab, die in zunehmend schlimmere Konfusion rasenden Situationen zu retten    er macht sie nur noch krasser. Dennoch geht Ritzel als Held aus dem Chaos hervor. Der reine Tor als Sieger über Verlogenheit und Zynismus! Tolle Turbo-Klamotte, die verwegen mit Flachsinn um sich ballert. Und dabei mit heilig-unheiligem Ernst ins Herzenstiefe trifft (wieder 15.-17. Februar).

Theatertreffen

Kurz vorm Drücken der Taste „Senden“ knallt in den Rechner Post der Berliner Festspiele mit der Jury-Auswahl der zehn bemerkenswerten Produktionen aus dem deutschsprachigen Raum, die zum 50. Theatertreffen (3.-19. Mai 2013) eingeladen sind. Wollen wir heiß vermelden:

Aus Berlin die Volksbühne mit „Murmel Murmel“ (Regie Herbert Fritsch (s. Spiral-Block 2 vom 21. September 2012) und das HAU in Koproduktion mit dem Zürcher Hora Theater „Disabled Theater“ (Text und Regie Jerome Bel). „Die Heilige Johanna der Schlachthöfe“ (Sebastian Baumgarten) vom Schauspielhaus Zürich, „Jeder stirbt für sich allein (Luk Perceval) Thalia Hamburg, „Medea“ (Michael Thalheimer) Schauspiel Frankfurt. „Orpheus steigt herab“ (Sebastian Nübling) und der Jelinek-Text „Die Straße. Die Stadt. Der Überfall“ (Johan Simons) beide Münchner Kammerspiele. „Reise durch die Nacht“, ein Text von Friederike Mayröcker, Regie Katie Mitchell sowie „Die Ratten“ (Karin Henkel) beide Schauspiel Köln. Und, das gönne ich den Leipzigern besonders, „Krieg und Frieden“ nach Tolstoi, inszeniert vom scheidenden Intendanten Sebastian Hartmann am Schauspiel Leipzig in Koproduktion mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen.

Die lieben Kollegen Kritiker haben insgesamt 420 Aufführungen gesehen und wie immer zumindest bezüglich der Standorte ziemlich eigenwillig ausgewählt. Dazu den witzigen Könner Herbert Fritsch als Running Gag wie jedes Jahr…

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