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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 218

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

2. Juni 2017
HEUTE: Dreimal Berliner Ensemble 1. Haußmanns „Räuber“-Finale / 2. Altmeister Claus Peymann 80 / 3. Oliver Reese, erster Auftritt des neuen Intendanten

1. BE - Nur noch zweimal tobt Haußmanns große Schiller-Show

 © Monika Rittershaus
© Monika Rittershaus

Zugegeben, jetzt habe ich es wieder getan. Dabei kommt es nur ganz selten vor, dass ich eine Inszenierung zweimal schaue. Doch Leander Haußmanns „Räuber“ tobten mir seit der Premiere vor nun schon einem Jahr immer und immer wieder durch den Schädel. – Es musste sein! Ich kam noch einmal gucken. Und staunen. Und war jetzt wirklich völlig hin und weg. Zugegeben, schon damals zur Premiere knallte mir ein Wow im Gemüt. Doch irgendwie habe ich mir aus welch seltsamen Gründen auch immer die innere Eruption abgewiegelt, wollte sie nicht recht zulassen und verstieg mich in dezente Mäkelei. War Quatsch. Die Inszenierung ist echt der Hammer! Haußmann, aufgelaufen zur großen Form, hat nichts falsch gemacht.

Ich habe mich in diesem Schillerschen Vergeblichkeitsaufruhr amüsiert über den intelligenten Witz und frechen Charme der jedoch letztlich von tiefer Ernsthaftigkeit getragenen Präsentation (gerade auch des Bösen). Ich war fasziniert vom anspielungsreichen Pop-Klassik-Konzert, den vielen subtil-historischen Anspielungen (etwa Spiegelberg als Trotzki). Ich habe mich ergreifen und erschüttern lassen – das Grauen, die explodierende Gewalt, die Tragödie. Man hat viel verstanden von dem, was heutzutage geschieht an entsetzlichen Verbrechen in ideologischer Verblendung, deren Ursachen wiederum Schiller wie Haußmann drastisch deutlich machen. Obendrein steckt im Stück ja auch eine süße, bittersüße Lovestory (und noch dazu wiederum eine entsetzliche Vergewaltigungsgeschichte).

Perfekt austariert hat Haußmann das Hin und Her zwischen Schauermär, Grusical, Polit-Thriller und philosophischem Denkstück, zwischen Revolte, Drama und Groteske, Revue und Tragödie. Alles mit starken, in gespenstisch düsteres oder giftig fahles Licht getauchten Schauspielern unterm schwarzen, blutrot gefleckten Himmel (Ausstattung: Achim Freyer). Der große Bösewicht Franz Moor, die schlaue Kanaille, ist das absolute Bravourstück für Matthias Mosbach (A Star was born!) in dieser an theatralischen Bravourstücken so reichen, so herzensheißen wie cool durchdachten Schiller-Show.

(Noch einmal am 6. Juni und zum leider letzten Mal am 14. Juni. Danach nie wieder; also nichts wie hin!)

2. BE - Ein Besessener. Süchtig auf große Texte, starke Spiele

Claus Peymann zum 80. Geburtstag am 7. Juli 2017. Wir verneigen uns vor dem epochalen Theatermann und kramen im prunkenden Zitatenschatz…

Claus Peymann:

Der Krach, auch der öffentliche Krach, wird geführt voll theatralischem Hass, man will dem anderen an die Gurgel, aber natürlich ist man zugleich wahnsinnig enttäuscht und traurig. Selbst der furchtbarste Krach speist sich aus Verletzung, Trauer, Verzweiflung.

Ich habe ein Untergangspanorama vor mir. – Wir lügen ja auf dem Theater Wirklichkeit vor. Diese Lüge, die vorgibt Wahrheit zu sein, diese Fiktion, auf der Theater beruht, ist aufgegeben worden. Auf dieser herrlichen Lüge aller Zeiten beruht aber unser Zauber. Dieser geheime Motor ist weg.

Ich hatte immer die altmodische Theorie, dass ein Theater nicht aus Büros heraus geführt wird, sondern von der Bühne aus. Das ist heute aus der Mode gekommen.

Zum Theater gehören auch die Katastrophe, das Unglück auf der Bühne. Schauspielerei lebt vom Risiko, keine Darstellerbeamten.

Uns fehlen die Träumer, die besonderen Menschen, die sich nicht einordnen. „Prinz von Homburg“ ist ein tragischer Künstler – wie wir alle, die wir uns nicht den gesellschaftlichen Normen unterordnen wollen. Mir schien es auch das richtige Stück zu sein am Ende einer Theaterdirektion, die sich der Literatur und der Aufklärung verschrieben hat. Denn es erzählt von einem Intellektuellen, der scheitert.

Ich lebe auf den Augenblick fixiert, auf das Jetzt und das Heute. Nicht gestern. Auch nicht morgen. Ich renne so durch den Tag. Vielleicht laufe ich auch vor der Erkenntnis des Älterwerdens davon. Das kann sein. Ich bin nach wie vor erregbar, ich empöre mich und bin kein bisschen weise. Insofern bin ich vielleicht jünger als mein Geburtsdatum anzeigt.

Sechs Fundstücke, hier allein aus dem zweibändigen 700-Seiten-Wälzer „Das schönste Theater Bertolt-Brecht-Platz Nr.1“ (im Alexander Verlag Berlin). Es ist der fulminante Rückblick auf die 180 Premieren in 18 Jahren, auf die an Triumphen, Niederlagen, Skandalen und Katastrophen so reiche Direktion Peymann & Co. von 1999 bis 2017. Es ist wirklich spannend und äußerst aufschlussreich (gerade im Nachhinein), in dem fein gedruckten, edel aufgemachten Buch voller Fotos, Polemiken, Anekdoten, Texten berühmter Zeitgenossen und teils unveröffentlicher Dokumente zu blättern und zu schmökern. Und bei allem dreht sich naturgemäß alles um die Spieler auf der Bühne nebst den Machern hinter den Kulissen. Ein Stück nicht nur Berliner Theatergeschichte im Schnelldurchlauf, aber – wenn auch bloß in Wort und Bild aufgehoben für immer. Auch das macht das Gedruckte so wertvoll.

(Noch bis zum Finale am 2. Juli zum Vorzugspreis für 35 Euro; Wahlabonennten: 29 Euro. Danach im Buchhandel 50 Euro.)

Hinweis: Wer es noch nicht gesehen hat oder noch einmal haben will: Claus Peymann zu Gast beim Kulturvolk-Theatertalk bei Alex-TV am 2. Dezember 2013; auf youtube.

3. BE - Großer Anlauf zum dicken „Wow!“ – Erster Auftritt des neuen Chefs

 © Matthias Horn
© Matthias Horn

Ich habe nie verstanden, warum der scheidende BE-Intendant Claus Peymann (demnächst 80) immerzu über seinen als Boss des Frankfurter Schauspiels so außerordentlich erfolgreichen Nachfolger Oliver Reese (53) aashaft lästerte; immerhin bezeichnete er ihn letztens gnädigerweise als klugen Jungen, ansonsten jedoch blieb Reese für Peymann immer nur „das Frankfurter Würstchen“. Dabei sind die beiden grundsätzlich nicht weit auseinander: Stehen sie doch gemeinsam auf ein die Identität eines Theaters prägendes, starkes Ensemble – erst recht jetzt „in einer Zeit, in der das Ensemble- und Repertoiretheater und die Profession des Schauspielers in Frage gestellt werden“, so Reese vor drei Tagen auf seiner Antritts-Pressekonferenz im BE.

Beide halten – beileibe nicht bloß aus Pietät, sondern vor allem aufgrund von Relevanz den Hausgott Brecht hoch und setzen auf aktuelle Stoffe. Wobei Reese sonderlich zeitgenössische Stücke lebender Autoren spielen will, wofür er extra ein Labor für Stücke-Entwicklungen einrichtet. Der Berliner Dramatiker Moritz Rinke wird es als „führender Begleiter“ betreuen.

Also im Fokus die Schauspieler; also „Menschendarsteller Ausrufezeichen, und nicht Funktionsträger für irgendwas, also Erzählkraft für packende Geschichten und Stoffe“, sagt Rinke. Und findet mit Blick auf die vielen angesetzten, berühmten lebenden Autoren vornehmlich aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum als Besonderheit für Berlin die Formel „Kein Brexit aus der Dramatik“. Das ist ein modern konservativer Ansatz - goodbye Postdramatik! -, verstanden auch als Gegengewicht zur gängigen Dominanz performativer Spielweisen (etwa demnächst an der Dercon-Volksbühne). Da kann auch ein Peymann nicht meckern.

Doch weil Oliver Reese kein ignoranter Dogmatiker ist, bleibt sein Programm durchlässig für den pointierten (nicht etwa blindwütigen) Einsatz neuer Spielweisen jenseits der, sagen wir, klassischen. Dafür engagierte er eigens eine Kuratorin, die entsprechendes ausspäht auf dem Weltmarkt. Zudem sorgen gegensätzliche Regie-Temperamente für angemessene ästhetische Vielfalt, ohne dass nun gleich jeder Hype auf dem Markt der Moden ans BE geholt werden muss.

Hier ein paar Namen: Michael Thalheimer, der neue Hausregisseur, der nur zwei Produktionen in Deutschland (exklusiv am BE) machen und ansonsten im Ausland inszenieren wird, er beginnt am 23. September mit Brechts „Kreidekreis“. Dazu Frank Castorf als künftiger Dauer-Gast (!) mit Hugos „Les Misérables“ (1. Dezember); Antú Romero Nunes mit Camus‘ „Caligula“ (Eröffnungspremiere am 21. September); David Bösch, Ersan Mondtag oder Robert Borgmann – dazu eine aparte Riege von auch internationalen Regisseuren, die zwar als ruhmreich gelten, in Berlin aber noch eher unbekannt sind. Der Mix aus Regiestars und Newcomers ist verheißungsvoll. - Allein schon Castorf mit seiner ausladend barocken Wucht und Thalheimer mit seinem geballt archaischen Monumentalismus sind aparte Gegensätze, die für ordentlich Spannung sorgen werden.

Ziemlich sensationell ist die neue Truppe mit 28 Spielern; sie besteht durchweg aus hochkarätigen, teils in Berlin bestens bekannten Namen. Man darf getrost sagen: Ein perfektes Star-Ensemble – u.a. mit Constanze Becker, Andreas Döhler, Stephanie Eidt, Judith Engel, Bettina Hoppe, Ingo Hülsmann, Corinna Kirchhoff, Wolfgang Michael, Peter Molzen, Tilo Nest, Stefanie Reinsperger, Veit Schubert, Aljoscha Stadelmann, Kathrin Wehlisch… Was für ein Casting! Und die Gästelisten mit 31 Namen strotz gleichfalls vor Prominenz: Carman-Maja Antoni, Jürgen Holtz, Martin Wuttke, Martin Seifert, Angela Winkler, Michael Maertens, Matthias Mosbach oder Traute Hoess, Dörte Lyssewski und weiter in dieser Preislage.

Oliver Reese ist nicht nur ein feiner, nicht nachtragender Herr, der sich artig bedankte für die Kooperation mit Peymann während seiner Vorbereitungszeit – dessen „Homburg“-Inszenierung bleibt übrigens weiter im Spielplan neben Müllers „Arturo Ui“ und zwei Wilson-Produktionen. Zudem pflichtete Reese dem polternden Altmeister süffig bei, indem auch er das BE als „schönstes Theater der Welt“ ausrief. – Was bloß soll man dazu beim Nachbarn Deutsches Theater sagen, das sich, kleiner Tipp, zur Abgrenzung auf packende, zeitgenössische Klassiker-Inszenierungen konzentrieren könnte. An dieser Stelle sei vermerkt, seine erste Saison ergänzt Reese mit neun Publikum-Hits aus seiner Frankfurter Zeit, darunter drei Klassiker.

Oliver Reese verfügt, dies noch muss vermerkt sein, über einen speziellen Charme: Auf dem Titel des edlen Hochglanz-Spielzeitbuchs prangt ein Foto des skeptisch dreinblickenden, wunderbaren Veit Schubert, dem BE-Langzeitmitglied, das schon unter Schroth, Wekwerth, Palitzsch, Müller, Marquardt, Zadek, Tabori und natürlich Peymann spielte und inszenierte. - Dann das Ganzseitenfoto auf Seite zwei; es zeigt einen Staubsauger auf der leeren BE-Bühne. Die Dialektik von Tradition und Neuerertum; kurz gefasst.

Zu den Erneuerungen gehört obendrein der nächstens anstehende aufwändige Ausbau der Alten Probebühne zur Zweit-Spielstätte „Kleines Haus“ (Geldgeber: Lotto-Stiftung), der Umbau des „Pavillons“ zur intimen Dritt-Spielstätte „Werkraum“ , die Sanierung von Küche und Kantine, die Einrichtung einer Theke im Rang-Foyer, das künftig „Salon“ heißt und wieder, wie weiland unter der Helene Weigel, als „Erfrischungsraum“ dienen wird. Sommers bleibt der Hof wie eh und je ein Biergarten.

Und noch was Neues: Der Publizist Michel Friedman wird eine prominent besetzte Gesprächs- und Diskussionsreihe moderieren, sein erster Gast am Tag nach der Bundestagswahl: Joschka Fischer; ihm folgt der Historiker Timothy Garton Ash. Es wird ein Premieren-Abo geben. Wer entsprechend flüssig ist, kann dem BE-Freundeskreis beitreten, dem Ex-Kulturstaatssekretär André Schmitz vorsteht (freunde@berliner-ensemble.de).

Das wär’s fürs erste. Ein Programm wie sich's ziemt für ein jedes Groß- und Weltstadttheater. Schau‘n wir mal, ob aus all den berückend schönen Plänen auch wirklich das große dicke „Wow! wird.

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