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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 214

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

8. Mai 2017
HEUTE: 1. Finale I: „Die Danksager“ – Berliner Ensemble / 2. Finale II: Peymann verschenkt, versteigert, räumt auf – Berliner Ensemble / 3. TV-Tipp Kulturvolk-Theatertalk / 4. Montagskultur-Diskussion: Kultur und Volk – Wie geht das zusammen?

1. Berliner Ensemble-Finale I - Wehe Lieder am Lagerfeuer

 © Marcus Lieberenz
© Marcus Lieberenz

Zwei weltberühmte Intendanten hören an ihren weltberühmten Häusern im frühen Sommer, zum Ende der Saison auf. Und so blühen denn in der Stadt die Abschiedsblümchen. An der Volksbühne (Ende Ära Castorf, 25 Jahre) gab Herbert Fritsch den Floristen mit seinem, wie ich meine, selbstreferenziell ziemlich ausgelutschen, doch von der Fan-Jury gleich zum Theatertreffen eingeladenen Artistik-Programm „Pfusch“ (s. Kulturvolk-Blog 195).

 

Im BE (Ende Ära Claus Peymann, 18 Jahre) waren Leander Haußmann und Sven Regener zu Gange mit ihrem „Bunten Abend“ namens „Die Danksager“. Vordergründig geht es ums Vorsprechen von zehn Bob-Dylan-Imitatoren, in das die Nachricht platzt, dass Bob den Literaturnobelpreis kriegt. Prompt steht die neue Aufgabe: Nicht nur Songs singen, sondern für die Nobel-Schweden und die Welt eine Dankesrede zu basteln. Da haben der Regener zusammen mit dem Haußmann was zu schreiben. Vollmundig kündigen sie an, es werde zu einer Schlacht der Reden kommen. Zu erwarten war also ein Rennen um die schärfste, kritischste, ab- wie hintergründigste und witzigste Rederei. Sozusagen ein Feuerwerk der Geistesblitze. Und zwischendurch natürlich hinreißender Singsang.

 

Denkste! Es wurde ein zäher Durchlauf unendlichen Geplappers mit sparsam gestreuten Pointen über diverse Befindlichkeiten beim Kunstmachen und beim allgemeinen Durchwursteln durchs Dasein, dazu einige banale Ausschläge zu Günter Grass und Thomas Mann (wieso gerade die?) und außerdem, der Örtlichkeit geschuldet, ein bisschen altbackenes Ablästern über die Macken und Tücken des Theaterbetriebs. Immerhin, bei diesem unerschöpflichen und längst weidlich beackerten Thema fiel den Autoren tatsächlich zwar nix Neues, aber prima Bissiges ein. Die Tiraden des Martin Seifert als durchtriebener Depp der Dramaturgen-Zunft und Carmen-Maja Antonis Parodie auf selbstherrliche Intendanten, das waren die Highlights dieses so ermüdenden Abends. Beide überstrahlten (unsere BE-Super-Altstars!) mit ihrem trefflich scharfen Witz das ansonsten zwei dröge Stunden lang vor sich hin tropfende Gelaber. Also feuchtes Feuerwerk, vornehmlich Rohrkrepierer bei Abwesenheit irgendwelcher Einfälle des Regisseurs Leander Haußmann. Mein simpler Tipp an den Dramaturgen: Radikaler Rotstifteinsatz bei deutlich mehr Gesang für Solo und Gruppe.

 

Ach ja, ganz zum Schluss nach Ferienlager-Romantik mit Gitarre und Mundharmonika am offenen Lagerfeuer (die Theaterfeuerwehr hat ordentlich was aufzupassen) ein winziges, doch enorm nachhaltig wirkendes Haußmann-Stück: Es senkt sich langsam der Eiserne. Eine dumpfe graue Wellblechwand. Von einem golden schimmernden Stuckbogen umrahmt. Was für ein Bild! Was für ein Versprechen in alle Ewigkeit! Was für ein Theater!

 

Eigentlich war die Chose fein ausgetüftelt, aber eben lasch ausgeführt trotz des aufopferungsvollen Einsatzes des Ensembles. Mir unbegreiflich, wie die beiden gestandenen Bühnentiger Regener und Haußmann so langweilen können. Wer es noch nicht weiß: Regener, der Frontmann von „Element of Crime“, ist ein mit Preisen dekorierter Bestseller-Autor („Herr Lehmann“, ein Alt-Kreuzberger Kneipengänger, dessen Bierglas-Alltag der Mauerfall umstürzt). Und Haußmann kann immer toll Kino und fast immer toll Theater und ist ein brillanter Schreiber. Sein dickes Buch „Buh!“ eine einzige Köstlichkeit für Grips und Herz. Hat einen Ehrenplatz im Spind. Und jetzt so was! Zu viel gepichelt und schöngeguckt? Zu abgenudelt, zu ausgebrannt?

(„Die Danksager“ wieder am 9., 17. Mai)

2. Berliner Ensemble-Finale II - Peymann teilt mit und aus, räumt auf und ab und wird nach einem Feuerwerk als Letzter das Licht löschen

Zur letzten, stets anregend vergifteten Plauderei mit der hassgeliebten Presse lud Claus Peymann – neben sich die gesamte Direktion – auf die Neue Probebühne; da standen ihm noch 61 Tage bis zum Abschied bevor. Wenn er sich nicht verzählt hat, sind es heute nur noch 56 letzte Tage. Danach ist Schluss mit Dienstwagen, und er muss 42 Euro berappen für eine Fahrt vom lauschigen Köpenick am Wasser, wo ihn die Wildschweine bestaunen, bis ins Stadtzentrum. Das nicht unbedingt wegen der Theater, für die ja nun allerhand Freizeit bleibt trotz der künftig jährlich einen Inszenierung, die er erst in Stuttgart, dann in Wien machen werde. Aber ins Kino gehe er halt gern. Einen Führerschein habe er nicht. Schade.

 

Abgesehen von derlei Intimitäten versorgte C.P. das in eher übersichtlichen Scharen herbei geströmte Medienvolk mit ordentlich Portionen althergebrachter, doch immer wieder feuriger Peymann-Wut gegen grassierenden Jugendwahn, verschwindendes Literaturtheater, zerstörte Ensembles oder triumphierende Eventbuden und Manager-Intendanten – stimmt ja alles, zumindest irgendwie.

 

Höhepunkt war nicht etwa die von Hermann Beil verfertigte, leider viel zu kleine Torte (für alle reicht es kaum), der Höhepunkt war das werbewirksame Verschenken der prachtvollen Theaterchronik in zwei Bänden mit insgesamt 1270 Seiten und einem Gewicht von 4,7 Kilo: „Das schönste Theater. Bertolt-Brecht-Platz Nr. 1. Das Berliner Ensemble 1999-2017 – Direktion Peymann“ (Alexander Verlag Berlin). Eine geradezu monumentale Bild- und Textsammlung zu den vergangenen 18 Spielzeiten mit 190 Premieren, 10332 Vorstellungen und 3.703.647 Besuchern (März 2017). Das Bonbon der statistischen Fleißarbeit der Mitarbeiter: Sie haben ausgerechnet, dass es (bei Redaktionsschluss) 40.879 Minuten Applaus gegeben habe. Viel Rechnerei für den süffigen Peymann-Satz: „Einen Monat lang haben die Leute hier geklatscht.“ Hat seinen Charme…

 

Am Sonntag, 13. Mai, schlag 15 Uhr, setzt sich der große Theatermacher Claus Peymann den Zylinder auf, klebt sich eine knallrote Clowns-Nase ins Gesicht und schwingt den Holzhammer. Es ist seine allerletzte Versteigerung von Kostümen, Möbeln, Requisiten, Großfotos, Dokumenten, Schnickschnack und Kostbarkeiten aus dem Theaterfundus. Der Peymann-Laden muss besenrein abgegeben werden!

 

Was genau alles los sein wird zum Abschied am 2. Juli wird noch ausgebrütet – der Promi-Auftrieb auch mit Gästen aus Bochumer, Stuttgarter, Wiener Zeiten wird, das steht schon mal fest, beträchtlich sein und die Show „Wahnsinn!“ werden. Das gesamte BE ein einziger Roter Teppich für Stars und Publikum. Wow! Aber das Feuerwerk bezahlt der Direktor aus eigener Tasche, das lässt er sich nicht nehmen.

3. TV-Rederei über Theater

Heute, Montagabend, 20.15 Uhr, die „Montagskultur unterwegs“ aus dem neuen ALEX TV-Studio in der Friedrichshainer Rudolfstraße 1-8 (nahe S- und U-Bahnhof Warschauer Straße). Mit Alice Ströver sowie dem Kritiker Henry Arnold; sein ansonsten üblicherweise antretender Kollege Reinhard Wengierek muss leider auf ein paar Tage wegen einer galligen Unpässlichkeit das Sofa hüten. Für ihn springt dankenswerterweise Susanne Chrudina, Kuratorin im Performing Arts Programm Berlin, in die Bresche. Der besondere Gast ist diesmal Alexander Steinbeis, seit zehn Jahren Orchesterdirektor des Deutschen Symphonie Orchesters Berlin. Kritisch betrachtet werden die Premieren „Winterreise“ von Yael Ronen und Ensemble (Gorki Theater), „Jahrmarkt von Sorotschinzi“ von Modest Mussorgski (Komische Oper), „Zwei Zimmer, Küche, Staat“ von Thomas Lienenlüke (Kabarett Die Distel). Später auch im Netz auf YouTube.

4. Montagskultur / Diskussion - Kultur und Volk wie geht denn das zusammen?

Seit Kurzem tritt der Verein Freie Volksbühne Berlin e.V. unter der Marke „Kulturvolk. Das Publikum“ in der Öffentlichkeit auf. Die Grundidee war, als traditionsreiche Besucherorganisation an den Gründungsanspruch der Volksbühnen-Bewegung von 1890 „Die Kunst dem Volke“ anzuknüpfen und so darauf hinzuweisen, dass Menschen durch Arbeit unseres Vereins leichter den Zugang zu Kunst und Kultur finden. – Ob als Volkshochschulen, Volksbank oder Volkssolidarität: In vielen Namen von Institutionen in Berlin taucht das „Volk“ auf. Doch was ist das Volk heute? Gibt es überhaupt noch eine aktuelle Definition von „Volk“, die so offen ist, dass die Gefahr der Ausgrenzung eines Teils der Bevölkerung nicht impliziert sein könnte? Ist „Kulturvolk“ ein statischer, gar ein elitärer Begriff? Ist die Verbindung von Kultur und Volk zeitgemäß? – Das steht zur Diskussion an diesem sicherlich spannenden Abend mit Prof. Dr. Peter Brandt, Wolfgang Thierse (Vizepräsident des Deutschen Bundestages a.D.) und André Lossin (Geschäftsführer Volkssolidarität Berlin). Zur Einführung spricht der Vorsitzende des Vereins Freie Volksbühne Berlin e.V., Frank Bielka.

(15. Mai, 19.30 Uhr im Club Ruhrstraße 6)

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