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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 21

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

5. Februar 2013

Deutsches Theater/ Kammerspiele


Viel Futter für Schauspieler mit einem Stück des irischen Klassikers Sean O’Casey (1880-1964). „Juno und der Pfau“ ist ein bitterböses, von rauer Menschenliebe und sarkastischem Humor durchdrungenes Drama einer Elendsfamilie im Dublin zur Zeit des Bürgerkriegs anno 1922. Und es ist die Tragödie von Menschen, die idealistisch-politischer Fanatismus wie religiöser Eifer in Mord und Zerstörung treibt. Das in eins zu kriegen ist die Kunst der Regie. ‑ Vor vier Jahrzenten gab es hier in den DT-Kammerspielen eine Regie-Sternstunde, eine mir bis heute in ihren grotesk-komischen, Abgründe bloßlegenden Details noch unglaublich gegenwärtige Inszenierung von Adolf Dresen. Mit den DT-Stars Elsa Grube-Deister, Käthe Reichel, Margit Bendokat, Dieter Franke, Alexander Lang – lang ist’s her!

Jetzt schmiss der großartige Schauspieler und bislang (im Theater an der Parkaue, am Maxim Gorki Theater ) eher mittelprächtige Post-Castorf-Regisseur Milan Peschel das todernstkomische Stück als rasende Slapstick-Klamotte aufs Brettel. Popmusik dröhnt, das Publikum wird zum Schwof auf die Bühne gezerrt. Es wird gekreischt, gesoffen, gekloppt, geblödelt was das Zeug hält – bis alles Tragische beflissen zugemüllt, das große Stück endlich kleinhackt ist. Da muss auch das prima Ensemble mit Michael Schweighöfer und Moritz Grove, Anita Vulesica, Katrin Wichmann und Katharina Marie Schubert platt bleiben. Gab es denn keine Dramaturgie, die dem in seine Albereien verliebte, wie blind tollenden Regie-Peschel die Augen öffnete und Balance einbläute zwischen Klamauk und Entsetzen?

Aktueller Querverweis: Schauspieler Milan Peschel und Schauspieler Matthias Schweighöfer (der Sohn von Michael Schweighöfer) sind – im Film! ‑ ein hinreißendes Duo. In der das Realistische wundersam turbomäßig ins Fantastische treibenden Kinokomödie „Schlussmacher“. Subtiles Kammerspiel im kess ironischen wie auch wild rasenden Hollywood-Boulevard. Da klappt die Balance. Toll. Ansehen!

Schlosspark Theater

Schmuddel-Ecke im Central Park, New York City. Zwei alte Männer auf der Parkbank: Der Brooklyner Jude Nat, der Schwarze Midge aus Harlem. Nat war Kneipenkellner und flog raus wegen seiner großen Klappe; Midge betreute in einem Wohnblock die Heizungsanlage. Modernisierung machte ihn arbeitslos und apathisch. Nat hingegen bleibt das Energiebündel, das er immer war. Ein rebellischer Rentner, der mit unausrottbarem Gerechtigkeitssinn sowie durchtriebenen Spinnereien die Lebensgeister von Midge wieder aufweckt und sie beide in verrückteste Aktionen stürzt.

Der Broadway-Autor Herb Gardner (1934-2004) hat sein aus Lakonie und Bitterkeit gemixtes Stück „Ich bin nicht Rappaport“ dem Leben kleiner Leute abgelauscht. Es ist eine saftige, dabei psychologisch subtile Eulenspiegelei (einschließlich Weltverbesserei), verpackt in eine präzise Milieustudie voller Sarkasmus – mit abenteuerlichen Ausgriffen ins Märchenhafte. Für dieses Glanzstück des neueren amerikanischen Dramas gab es 1986 den Tony Award, den „Theater-Oscar“; 1996 wurde es verfilmt mit Walter Matthau. Vor einem Vierteljahrhundert kam es in Deutschland am Schlosspark-Theater heraus mit Bernhard Minetti. Jetzt gibt an gleicher Stelle Dieter Hallervorden den Nat, die plebejisch freche Volksausgabe vom weisen Nathan. Und Joachim Bliese ist sein skeptisch grantelnder Gegenspieler Midge.

Gardners tragikomischer Aufstand gegen die Schmerzen des Altseins, Einsam- und Abgestelltwerdens gibt fettes Futter für Schauspieler, das die beiden Protagonisten samt ihren prima Mitspielern könnerisch genießen. Freilich: Hallervorden (Glückwunsch für die Goldene Kamera!) glänzt als schlitzohriger Zampano auf diesem Abenteuerspielplatz jenseits vom Altenheim, der unversehens zum Kampfplatz ums Überleben wird. Mit Fantasie, Witz, Trotz, Mut und auch mal mit dem Rollator geht’s gegen Depressionen und sonstige traurige Zumutungen des Daseins. Großartig, auch dank Thomas Schendels feinfühliger Regie. Ein Stückchen Lebenshilfe im Theater. Hier im Schlosspark sahen wir es lange nicht derart unterhaltend und spannungsvoll. ‑ Und wer ist Rappaport? Wird hier nicht verraten (wieder 13.-16. Februar).

Studio Schaubühne

Nach Schiller, Brecht, Nietzsche jetzt neu in Patrick Wengenroths Schaubühnen-Panoptikum: Rainer Werner Fassbinder. RWF, der Dichter, Theater- und Filmemacher (1946-1982), der einst im antiautoritären APO-Geist in München das kollektivistische „Antitheater“ gründete. Bürgerschreck-Betrieb mit aufrührerischer Ästhetik. Die Leute sollten – frisch aufgeklärt und wütend über ihr verspießertes Dasein ‑ nach Hause eilen und Revolution machen; tja…

Dann ging RWF zum Film. Machte subtile Kammerspiele, monumentale Melodramen, so packende wie politisch fein grundierte Schicksalserzählungen. Und wurde weltberühmt.

Wengenroths poetisch-journalistisches Collagentheater aus zusammengeschnipselten RWF-Zitaten unter dem Titel „Angst essen Deutschland auf“ spielt an auf den herzzerreißenden Fassbinder-Film „Angst essen Seele auf“ (1977). Die Seele sei tief melancholisch (wie der Lederjacken-Macho selbst), sagt RWF. Weil: Sie wisse mehr als Verstand.

Also geht es in der Studiobühne schwer kontemplativ zu. Das Kollektiv der herrlichen Schauspieler als RWF-Groupies oder als Mix der RWF-Doubles in hautengen Hüfthosen hängt depressiv ab: Die abgewrackten Ladies Jule Böwe & Lucy Wirth, die Kerle und Tunten Niels Bormann, Christoph Gawenda, Ulrich Hoppe, Sebastian Nakajew. Es ist die Crew bayrische Anarchisten aus der alten 68er Antitheater-Zeit, die da auf dem Flokati mit dem Dildo in der Faust die Utopie, die Autoritätsfixiertheit der Masse, die staatliche Gewalt (im Scheiß-Rechtsstaat) sowie die ihrer künstlerischen Gruppenführung (der Scheiß-Regisseur) bis zu Erschlaffung diskutieren. Demokratie sei halt das kleinste aller Übel. Das Beste aber wäre „ein ganz lieber, guter, ordentlicher, autoritärer Führer“ – süße Worte, die der Flauschteppich gnädig schluckt. Was übrig bleibt vom „Anti“, von Weltverbesserei, Aufruhr und Orgie: nichts als Katerstimmung. So das Wengenrothsche Fazit, das Fassbinders unentwegt loderndes „Trotzalledem“ (in dem er schließlich verbrannte) schamlos ausblendet. Wie sein letztlich von überwältigender Liebe durchdrungenes Künstlertum, das Ewigmenschliches fantastisch imaginiert. Wengenroth schält aus dem Fassbinder-Riesen einen zynisch-nihilistischen Alles-Scheiße-Zwerg.

Freilich, RWF litt an Deutschland, an den Deutschen, an der Menschheit. Aber er sagte: „Etwas, vor dem ich Angst habe, setzt mich in Gang.“ Mit seinem kurzen Schnellgang in die Kunst hat er es immerhin äonenweit gebracht. Doch davon keine Rede. Wengenroth klebt am Alt-Münchner Traum- und Quassel-Teppich. An der spießigen Kommune-Ideologie. Und am Deutschland-Bashing; Motto: Angst isst Deutschland auf.

Zum Finale mimt Wengenroth noch frech und fix den Fassbinder als Nihilisten, lässt die Hose runter, zieht den Hintern blank. Leckt mich als dessen letztes Wort. Bringt das Missverständnis des ganzen Abends auf den Punkt. Denn: RWF war größer als jede Theorie und Schwärmerei, als alle Angst und aller Frust (wieder am 7., 8., 11., 12. Februar).

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