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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 208

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

27. März 2017
HEUTE: 1. „Das Original“ – Kleines Theater am Südwestkorso / 2. „Geschichten aus dem Wiener Wald“ – Wiederaufnahme im Deutschen Theater / 3. Oberindianer Karl May (1912-1842) als gottväterlicher Verseschmied

1. Kleines Theater - Schauspieler-Fest um das Millionen-Ding aus der Besenkammer

 © Joern Hartmann
© Joern Hartmann

Er ließ Farbe auf die am Atelierboden liegende Leinwand tropfen und fließen, schüttete den Inhalt der bunten Büchsen aus, versprengte ihn, spachtelte, rieb, schmierte, bearbeitete die Farbflächen nicht nur mit bloßen Händen, sondern schließlich mit dem ganzen Körper. Das war in New York Mitte der 1940er Jahre – der Maler Paul Jackson Pollock (1912-1956) fing damit an, was man zunächst Drippling-Technik („Jack the Dripper“), dann Action Painting nannte. Dann wurde es weltweit Mode; Pollock schwebte in den Wolken als Weltklasse-Künstler. Die Kunstgeschichte rubriziert seine Art als abstrakten Expressionismus, auf dem Kunstmarkt erzielt sie bis heute Rekordgewinne in Millionen-Höhe.

 

Da ergab es sich, dass im Jahre 2008 die Trucker-Fahrerin Teri Horton auf einem Trödelmarkt ein Bild entdeckte, auf dem nichts zu erkennen war als bunte Kleckse und Linien kreuz und quer. Doch Teri dachte, es könnte vielleicht ein lustiges Geschenk für eine Freundin sein. Und so kaufte sie das eigentlich „hässliche Ding“ für lumpige fünf Dollar… Erst viel später per Zufall dämmerte ihr, was da bei ihr Hause in der Besenkammer für eine Handvoll Dollar lagerte; ihr Hausfreund, ein pensionierter Kriminalkommissar, half mit diversen Methoden seines Fachs, die Echtheit nachzuweisen – immerhin, Teri bekam alsbald Angebote von mehr als neun Millionen Dollar. Aber sie lehnte ab.

 

Der sensationelle Fall ging damals durch die gesamte US-Presse. Der umtriebige kalifornische Autor Stephen Sachs griff die verrückte Sache auf und machte ein flottes Zweipersonen-Konversationsstück draus; Titel: „Das Original“. Teri Horton ist jetzt keine Truckerin, sondern die desolat in einem Wohnmobil lebende Ex-Bardame Maude Gutman, die den international renommierten, vornehmen Kunstexperten Lionel Percy aus New York in ihre Landeinsamkeit rief, die Echtheitserklärung für den Pollock aus der Abstellkammer abzugeben.

 

Die saftige Maude in frecher Unterschichten-Nähe und der arrogant hochmögende Oberklassen-Feingeist Lionel sind beide nicht auf den Mund gefallen, schenken sich nichts an Witz und Sarkasmus, obgleich sie in ziemlich gegensätzlichen sozialen Sphären beheimatet sind. Aber es geht ja ohnehin hier nicht primär um „Bildung“ oder „Kunst“, sondern vielmehr um Daseinsentwürfe, um genutzte oder verschenkte Perspektiven, um das, was wirklich zählt im Leben.

 

So glimmt denn immer wieder unterm rhetorischen Krachbums die Glut vertaner Chancen, verlorener Illusionen, verdrängter Seelenverletzungen und Demütigungen. Was für eine großartige Gelegenheit für Franziska Troegner und Matthias Freihof, sich packende Rededuelle zu liefern und zugleich feine Charakterskizzen ihrer Figuren zu entwickeln. Die beiden wirklich aufregenden, dabei auf eine gewisse Weise eleganten Spieler waren vor einem Vierteljahrhundert (wie die Zeit dahin rast) zeitgleich engagiert im Berliner Ensemble. Erst jetzt stehen sie erstmals wieder (unter Regie von Karin Bares) zusammen auf der Bühne. Und es ist hinreißend! Ja es ist so, dass man meint, das ziemlich ungleiche Paar macht noch viel mehr aus dem, was eigentlich drin steckt in dem Stück von Stephen Sachs. So sind denn die starken, aufregenden Schauspieler das große Ereignis im kleinen Südwestkorso-Theater. Bravo Trögner! Bravo Freihof! – Zwei Stars, die, so mein dringender Rat, weiterhin zusammen spielen sollten.

(wieder 29., 31. März)

2. Deutsches Theater - „Küss die Hand – krepier!“

 © Arno Declair
© Arno Declair

Die Bühne ein Schlund. Auf dessen schwarz gähnendem Grund ein Haufen Verstörter; ganz offenbar: ein geballtes Häufchen Unglück als bedrohlich naher Schatten unser selbst. Derweil flammen jenseits der Finsternis im Saal die Lüster auf. Hier das Publikum im gleißend Hellen. Dort, im irritierend Düstern, die verstörende Menschenmenge in Ödön von Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“; vom Autor sarkastisch als Volksstück bezeichnet. Was für ein starkes Bild noch bevor ein Wort fällt. Dann säuseln in die Stille hinein in geradezu unheimlich anschwellendem Crescendo ein paar Takte vom Walzer „An der schönen blauen Donau“. Pianissimo bis Fortissimo. Immer und immer wieder aufs Neue wie die ewige Brandung des Ozeans, martialisch drohend, engelsgleich flirrend dieses an- und abschwellende „Donau so blau, so blau, so blau…“

 

Allein in dieser unglaublich beklemmenden, quälend langen Ouvertüre (ein tolles Kunststück für sich) spiegelt Regisseur Michael Thalheimer den ganzen Horváth, der die buntschillernd menschliche Verlogenheit und Dummheit zum grausig lustigen Puzzle aus Kalenderweisheiten und Kleine-Leute-Gewusel arrangiert. Zu einem entsetzlichen Comic vom Dasein. „Küss die Hand – krepier!“

 

„Nichts gibt so sehr das Gefühl der Unendlichkeit als wie die Dummheit“ gab der Autor seinen grauenvollen Wiener Geschichten als Motto. Thalheimer vergessen wir seine Fehlgriffe mit Molière an der Schaubühne zeigt meisterlich in dieser über Abgründe gespannten Geschichtchen-Girlande voller Niedertracht und Glückssehnsucht das Groteske wie auch das – verschüttet Göttliche. Keltert daraus die unendliche Tragödie, die soghaft über uns kommt. Kontrapunktiert vom so fürchterlich walzenden Soundtrack von Bert Wrede.

 

Das Ensemble zelebriert die ins Tödliche eskalierende Nummernfolge – Saal-Lüster aus, Spotlights an ätzend genau. Immer strikt vorn an der Rampe. In Worten, ja Silben und mit knappsten Gesten vergebliche Himmelsstürmereien oder durchtriebene Höllensauereien aufreißend. Dampfender, doch eisige Schauer auslösender Realismus der kleinen Leute mit den überlebensgroßen Schatten, zeichenhaft gerahmt auf artifizieller Kippe zwischen strengem Ernst und mitfühlsamer Ironie.

 

Selten gelang so packend und aufwühlend ein derartiges Hin- und Herstürzen vom Banalen ins Entsetzliche, vom Reinen ins Dreckige, vom Sentimentalen ins Verlogene. Lauter schmerzlich präzise Griffe ins Nähkästchen des Alltäglichen, das unversehens Monströsitäten auswirft. Sie würgen uns jedes Mal das Herz. Ein großer Abend, ein Kultstück. Muss man erlebt haben.

(Wiederaufnahme und zum 50. Mal: 31. März, 20 Uhr)

3. Karl May - Himmelswärts gerichtete Reime

Geboren im Spätwinter vor 175 im sächsischen Ernstthal und gestorben im Vorfrühling vor 105 Jahren, kurz vor seinem 70. Geburtstag. Das mag reichen für 2017 als (zugegeben: ein klein bisschen eckiges) Karl-May-Gedenkjahr. Das Privatfernsehen gedachte des großen Sachsen vorab schon mal an Weihnachten letzten Jahres durch Philipp Stölzl, der „Winnetou“ verfilmte. Er tat das allein schon deshalb, weil er erklärtermaßen mit Karl May aufwuchs (und dazu mit Goethe, Wagner, Tim und Struppi). Im Dresdner Staatsschauspiel läuft seit kurzem mit rasendem Erfolg Stölzls lakonischer Liebesblick aufs romaneske Leben des germanischen Oberindianers „Der Phantast. Leben und Sterben des Dr. Karl May“; mit Götz Schubert in der Titelrolle. „Ich bin nicht allein; ich bin noch mehr“ – das Selbstzitat gibt das Motto für die Show. Denn wahrlich, K.M. gilt als toller Abenteurer, gerissener Bestsellerautor (Millionen Exemplare in 47 Sprachen) und noch dazu als Kosmopolit, als Mystiker – und viele von uns werden dem noch einiges hinzuzufügen wissen…

 

Zu seinem Leidwesen schaute Karl so gar nicht aus wie Winnetou: May war klein (166 cm), schmächtig, zart – aber mit Bart und ausgeprägtem Hang zum Größenwahn. Oder, vornehmer gesagt, mit einem Drang zum Höheren, Himmlischen, ja Göttlichen (wer hätte es vermutet). Schließlich hing er lange genug in den profanen Niederungen eines ärmlichen Daseins, klaute albernes Zeug, vornehmlich in Kneipen (fünf Billardbälle, ein Handtuch, Spitzenleistung: ein Gaul, Wert 66 Taler). Das brachte ihm, nebst diversen hochstaplerischen Betrügereien, mehrere Jahre Knast ein.

 

Seine manischen Schreibereien sind mithin nicht bloß rigoroser Akt sozialer, sondern auch moralischer Selbstbefreiung – nebst Höherentwicklung. Etikettierte er doch zuletzt sein gigantisches Gesamtwerk als „ein einziges Aufsteigen zu Gott“ – Verklärung, schon vor dem Tode (30. März 1912).

 

Verklärt werden, spätestens nach dem Exodus, natürlich auch seine Romangestalten, deren ethisch-moralische Kraft kühn alle gordischen Knoten zerhaut im raffiniert geknüpften Netz exotischer Konflikte bei Geheimnisergründungen, Verwandten- und Schatzsuchen, Schurken- und Verbrechensentlarvungen. Das ereignet sich dann immer dort, wo auch landschaftlich an Höhe gewonnen ist.

 

„Auf den insgesamt höchsten Erhebungen der Helden-Reiserouten stört endlich nichts mehr den Einklang zwischen Himmel und Seele. Den Extrakt dieser Wechselbeziehung finden wir in der Gedichtsammlung „Himmelsgedanken“, erfährt man von Gerhard Dahne, einem milden May-Freund, Spaßvogel und promoviertem Germanisten, der die messianische May-Poesie im Verlag Friedrich Ernst Fehsenfeld, Freiburg i. Br. (ohne Jahresangabe) herausbrachte. Das kleine Kompendium übernahm vor etwa drei Jahrzehnten der Ostberliner Union Verlag; man muss geduldig in den Tiefen der Antiquariate kramen. Oder einfach mal im Radebeuler May-Museum fragen…

 

Und findet womöglich, hübsch eingebunden, die fröhlich holpernden Reimereien des kühnen Sachsen: Tode kommt da auf Bote, Reich auf Steig (sächsich: Steich), schneiden auf bereiten. Und verwegen okkupiert er zu guter Letzt den Stellvertreterschemel Gottes auf Erden zur lyrischen Heilsverheißung: Gottes Wort durch Karls Mund in unser verschmelztes Ohr. – „O kehret gern, kehrt als Gebet zurück! / Ihr tönet nicht von unbekanntem Orte; / Ihr seid nicht leerer, wesenloser Schall. / Im Großen, frommverstandnen Weltaccorde / ist heilges Leben jedes Intervall.“ – Amen.

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