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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 201

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

6. Februar 2017
HEUTE: 1. „Minna von Barnhelm“ – Schlosspark Theater / 2. Ein Zwischenruf vom designierten neuen BE-Intendanten / 3. Fernsehtipp Montagskultur unterwegs: Der FVB-Theater-Talk auf Alex-TV

1. Schlosspark Theater - Sächsisch-preußische Liebeshändel in Berliner Kneipe


Es ist ein schweres Paket, das Major von Tellheim da als Heimkehrer aus dem Siebenjährigen Krieg mit sich schleppt: Er sitzt in einem Berliner Gasthof fest , weiß nicht recht weiter, ist verwundet, ziemlich mittellos, fühlt sich ungerecht behandelt von der Truppe, hadert mit aller Welt. Ein Depressiver mit verletztem Ehrgefühl nebst aristokratischem Standesdünkel, Minderwertigkeitskomplexen, Macho-Posen, preußischer Überkorrektheit, Zukunftsängsten, Kriegstraumata – und die große Liebe kam ihm auch noch abhanden.

 

Die aber, das sächsische Adelsfräulein Wilhelmine von Barnhelm, genannt Minna, die hat sich mit Zofe Franziska auf die Suche nach ihrem geliebten, im Kriegs-Wirrwarr verschollenen Major gemacht. Und trifft ihn – glücklicher Zufall! – in eben jenem Gasthof. Doch dem Glücksmoment folgt augenblicklich die Ernüchterung: Tellheim will nicht mehr, weil er meint, er dürfe nicht. Er sei Minna nicht mehr ebenbürtig, sei ein Krüppel ohne Geld, sei ein übel abgehalfterter Kriegsgaul mit verlorener Ehre. Was er aber vor allem ist: Eine totale Frustbeule, ein bis ins Unmenschliche sturer Hund, rechthaberisch, verbiestert, verbittert, was die lebensfrohe, kluge, gewitzte, großherzige und noch nach wie vor schwer verliebte Minna schmerzlich zu spüren bekommt.

 

Trotzdem kämpft sie tapfer um diesen freilich immer noch (äußerlich!) feschen Holzkopf. Dabei kommt es zu massenhaft Missverständnissen, verzweifelten Irrungen, intriganten Wirrungen – komisch bis ins Groteske und Aberwitzige, albern bis ins Dämliche. Beinahe das ganze Spektrum eines sozialen wie psychischen Geschlechterclinchs Mitte des 18. Jahrhunderts – im Grundsätzlichen: fast alles wie heutzutage.

 

Von diesem Clinch handelt Lessings Komödienklassiker „Minna von Barnhelm“ , 1767 in Berlin uraufgeführt und seither fester Bestandteil des deutschen Bühnen-Repertoires. Komödien-klar ist: Es kommt (nach zwei Stunden) zum Happy End. Daran anschließend hätte der große Aufklärer, das nebenbei, den sexuell-psychischen zweiten Teil der Komödie schreiben können. Doch hielt er sich an die praktische Regel, die Kurt Tucholsky, das Kino betreffend, ausrief: „Zum Happy End wird jewöhnlich abgeblendt!“ – Freilich, wenn man auf die gegensätzlichen Charaktere des Paars schaut, dürfte es in Zukunft zwischen den beiden weiterhin kräftig krachen.

 

Doch jetzt kracht’s erst mal in der Lessing‘schen Komödienkneipe; im Schlosspark Theater inszeniert von Thomas Schendel. Den allermeisten Krach dabei macht Bremens TV-Tatort-Star Oliver Mommsen als Tellheim allein durch permanenten Fortissimo-Einsatz seiner Stimmbänder. Die überdonnern wie ein Panzer alles Wehleidige, Schmerzensreiche, Elende und erst recht seine verkrampften, ja verkümmerten Zartgefühle. Er gibt den raubeinigen Poltergeist vom Dienst. Aber auch Katharina Schlothauer als Minna, die sächsische Fräulein-Schönheit, hat sich gepanzert. Natürlich nicht krachledern, sondern mit einer durchweg damenhaften, zuweilen das Salonschlangenhafte streifenden Eleganz, die selbst bei den hanebüchensten Zumutungen ihres Angebeteten kaum wirklich die Contenance verliert.

 

Das Duell des dramaturgisch gesehen hohen Paares ums Lebensglück pflegt sozusagen eine Art kraftvoll hohen Ton, der flott, schrill und laut hinwegfegt über alle Abgründe voller Angst, Wut, Wahn und Verzweiflung. Lessing nimmt sie als den qualvollen Untergrund für seine Oberflächen- und Situationskomik, die er mit leichter Hand hinzaubert. Dafür sind vornehmlich die lustig wuselnden Nebenfiguren zuständig (die durchaus noch hochtouriger und drastischer hätten wuseln können). Maria Steurich als Zofe Franziska läuft zur fein sächselnden Hochform auf.

 

Die große Klassiker-Komödie kommt hier also ohne das Öffnen der vom Autor in dezent aufklärerischer Absicht vielfach aufgestellten Türen aus, hinter denen die arg ungemütlichen Seiten des Daseins gähnen -- der im Stück auch noch steckende Psychothriller bleibt unbelichtet. Umso gemütlicher dafür das edel ausstaffierte, in feine Brauntöne getauchte Bühnenbild von Daria Kornysheva; wie vornehm eingerichtet waren doch Berliner Wirtshäuser in der Nachkriegszeit anno 1767. Ein wahrer Augenschmaus! Der genau passt zu dieser geradezu festlich angerichteten, also ordentlich und harmlos unterhaltenden Aufführung. Begeisterter Beifall!

(11.-18. Februar, 13.-22. März)

2. Hoch lebe das Ensemble! Ein Zwischenruf von Oliver Reese

Mit unschöner Regelmäßigkeit schlägt von irgendwo ein selbsternannter Umstürzler des Theaterbetriebs wild und aufmerksamkeitsheischend in den Medien um sich. Und verkündet, gerade jetzt mal wieder, die Notwendigkeit der Abschaffung des angeblich durch Subventionierung strukturverkrusteten Ensembletheaters. Denn nur so sei der Fortbestand des Theaters (welchen Theaters?) zu retten. Dabei wird selbst beim laienhaften Blick aufs weithin praktizierte Modell Ensemble- und Repertoiretheater sofort offensichtlich, dass es total beweglich, offen und längst total verschlankt ist. Diese immer wieder anzutreffende Blindheit veranlasste den höchst erfolgreichen Chef vom Schauspiel Frankfurt/Main (ab Herbst Nachfolger von Claus Peymann am Berliner Ensemble) zu einem öffentlichen Zwischenruf.

 

Oliver Reese: „Die Identität eines Hauses vermittelt sich durch die Integrität seines Ensembles. Das heißt: Es sind fest engagierte Schauspieler, diesem Haus verpflichtet, mit Vertrag und mit Herzblut unterschrieben, mit der gegenseitigen Verpflichtung, sich über Regisseure und Stücke zu entwickeln, Schauspieler, denen das Publikum vertraut, auf die man sich freut.“

3. TV-Rederei über Theater

Heute, Montagabend, 20.15 Uhr, die „Montagskultur unterwegs“ mit Alice Ströver, den beiden Kritikern Arno Lücker und Reinhard Wengierek sowie mit einem Gast; diesmal Martin Schüler, Intendant des Brandenburgischen Staatstheaters Cottbus. Kritisch betrachtet werden die Premieren „King Arthur“ von Henry Purcell (Staatsoper), „Minna von Barnhelm“ von Gotthold Ephraim Lessing (Schlosspark Theater), „Maillot/Millepied“, Ballette von Jean-Christophe Maillot und Benjamin Millepied (Staatsballett). Später auch im Netz auf YouTube.

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