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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 189

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

14. November 2016
HEUTE: 1. „Mein Herr Käthe. Das Ehepaar Luther – Familienglück und Weltgeschichte“ Theater im Palais / 2. Carola Neher – Ausstellung im Literaturhaus Fasanenstraße / 3. Gedenken an Manfred Krug

1. Theater im Palais - Epochale Sensation Mönch heiratet Nonne


Was für ein Skandal! Elf Novizinnen ließen sich 1523 aus dem Zisterzienserkloster Marienthron im sächsischen Nimbschen bei Grimma entführen. Auftraggeber der ziemlich lebensgefährlichen Aktion war der bereits hochberühmte und berüchtigte, weil extrem politische Theologe Dr. Martin Luther. Er kümmerte sich denn auch um die Zukunft der jungfräulichen Damen, betätigte sich als Heiratsvermittler. Doch für eine der elf, Katharina von Bora, fand sich kein Freier. Und so ließ die Übriggebliebene Herrn Luther wissen, die würde den um 16 Jahre Älteren nehmen, falls sich der Vierzigjährige zur Heirat bequemen würde. Er bequemte sich. So wurde aus der Nonne die „Lutherin“, Martins „gnädige Hausfrau“, sein „Liebchen“, seine „tiefgelahrte Doktorin, Predigerin, Gärtnerin, Bräuerin, Saumärktin und Richterin“, seine „Rippe“, sein „Morgenstern zu Wittenberg“. Aus der Vernunftsheirat wurde ganz offensichtlich – belegt in zahllosen Briefen und Schriften – ein auch mit Kindern gesegnetes Eheglück, freilich nicht frei von Kämpfen und Alltagskonflikten. Denn der Herr Gemahl war ein rechter Poltergeist und saftiger Haudegen, aber eben auch ein Kerl, der (haus)frauliche Kraft und weibliches Selbstbewusstsein nicht gering schätzte. Die Ehe zwischen Mönch und Nonne begann als umstürzlerischer Skandal einer mutigen Emanzipation, die schließlich Epoche machte als Prototyp des protestantischen Pfarrhauses, als wesentlicher, zukunftsträchtiger und letztlich bleibender Bestandteil einer insgesamt neuen, nämlich reformierten Lebenswirklichkeit.

 

Diese Wirklichkeit zwischen spektakulärer Erneuerung und schwierigem Alltag einer geradezu riesigen, von barmherziger Fürsorge gegenüber massenhaft Bedürftigen wie auch von unternehmerischem Geist getragenen Haushaltsführung der neuen Wittenberger Großfamilie mit direktem Anschluss an die intellektuellen Eliten sowie indirekten Verbindungen an den Geist der Zeit, den ein Epochenwandel prägt, von dieser komplexen Wirklichkeit aus Privatem und Politischem erzählt schlaglichtartig ein intimer Abend im TiP, dem „Berlinischen Theater Unter den Linden“. Schon der Titel rahmt das Programm: „Mein Herr Käthe. Das Ehepaar Luther – Familienglück und Weltgeschichte“.

 

Mit Geschick arrangierte der Autor Uwe Hoppe (Mitarbeiterin: Ilse Nickel) eine Melange aus Spielszenen, Originaldokumenten, Liedern und Musik (am Klavier: Ute Falkenau). Sie gibt ein kleines, doch schlüssiges und nebenher sehr lehrreiches Bild der beiden nicht unkomplizierten, gelegentlich arg irrenden Luthers (Gabriele Streichhahn, Jens Uwe Bogadke). Von ihren Glückseligkeiten und, auch das vor allem, von ihrer tiefen gleichwohl von Zweifeln beschwerten Gottgläubigkeit.

 

Doch gerade daraus schöpfen sie letztlich immer wieder die Kraft gegen Alltagsleid und eheliche Nöte oder außereheliche Anfeindungen. Gegen die Misslichkeit der Welt, die allzeit und bis heute uns Menschen heimsucht. Auch davon ist an diesem besonderen Abend die Rede.

(wieder am 15. November und 6. Dezember)

2. Literaturhaus - Die Schöne und das Tragische Carola Neher

Mit 26 Jahren kam die faszinierende, von den Männern heftig umschwärmte, aber noch unberühmte Schauspielerin aus München nach ihrer Anfängertour durch die Provinzen 1926 nach Berlin. Und sofort an die richtige Adresse, nämlich in den Kreis um Bertolt Brecht, der sich prompt in die kesse Dame total modernen Typs verknallte. Und in ihre Art des unsentimentalen Spiels, das seiner Auffassung von Theater entsprach. Sie sollte die Polly in der Uraufführung seiner „Dreigroschenoper“ sein, was der Tod ihres Ehemanns, des Dichters Klabund, verhinderte. Dafür ist sie die Polly im berühmten „Dreigroschenoper“-Film (1931). Brecht schrieb für sie die Rolle der Heilsarmistin Lilian in „Happy End“ und die Titelfigur der „Heiligen Johanna der Schlachthöfe“. 1934 emigrierte die der KPD Nahestehende in die Sowjetunion. 1936 wurde sie von Stalins Terror-Maschine verhaftet, von KPD-Emigranten (Wilhelm Pieck, Gustav von Wangenheim) denunziert und als Spionin und Trotzkistin verbannt. Die deutsche Emigranten-Szene (einschließlich Brecht) ließ die zu Unrecht Verurteilte links liegen, 1942 kam sie im Gulag zu Tode.

 

Jetzt widmet sich eine Ausstellung des Deutschen Theatermuseums München im Literaturhaus in der Fasanenstraße der einst so ruhmreichen, heute nahezu vergessenen Künstlerin, Brecht-Spielerin und Sängerin der Brecht-Weill-Klassiker. Die Illustration dieses so schmerzlich abgebrochenen, tragisch endenden Lebenslaufs wird gerahmt von spannenden Filmvorführungen. „Hotel Lux“ (WDR 1993; Regie Heinrich Breloer) über das Innenleben der deutschen Emigrantenzentrale im stalinistischen Moskau (am 20. 11., 20 Uhr) sowie „Happy End“ , die Defa-Adaption des Brecht-Klassikers von Manfred Wekwerth 1977 mit Inge Keller, Wolf Kaiser, Christian Grashof, Rolf Hoppe, Kurt Böwe, der Günther-Fischer-Band und Renate Richter in Carola Nehers Rolle als Lilian (am 27. 11., 20 Uhr). – Am 4. 12., 20 Uhr gibt es Brecht als historisches Hörstück: „Die Heilige Johanna der Schlachthöfe“ , Regie Alfred Braun, Berliner Funkstunde 1932. In der sensationellen Besetzung Carola Neher, Helene Weigel, Ernst Busch, Fritz Kortner, Peter Lorre.

(Carola Neher im Literaturhaus bis zum 11. Dezember)

3. Und immer wieder kratzt auf der alten Platte sein „Alles geht einmal zu Ende, mit Ihnen war‘s wunderschön…“ Erinnerungen an Manfred Krug

Schluss machen, wenn’s Zeit ist; das konnte er. Am Sonntag nach seinem 65. Geburtstag anno 2002 teilte Manfred Krug mit, er wolle nicht am Set verröcheln. Die Nation staunte: Ausstieg aus dem Film- und Fernsehgeschäft, und das bei einer Quote von 15 Millionen als Hamburger „Tatort“-Kommissar Stoever und eingedenk der hinlänglich kolportierten Tatsache, dass der so bissig bärige Kerl, nichts Menschliches lag ihm je fern, dem Mammon heftig zugetan... Tja, er sei nun Rentner, habe einen Schlaganfall hinter sich und beim Aufstehen krache das Kreuz. Dabei lebe er prima über den Dächern von Berlin und sei einer der wenigen der Branche, die sich ein Leben nach der Spielerei wunderbar vorstellen können – nebst ein bisschen Schreiberei und Singerei. Zudem wolle er dem verehrten Publikum nicht bis in alle Ewigkeit via Glotze und Kintopp erklären, was für ein arg netter Kerl er doch sei. Einmal aber sei endgültig „Feierohmd“, lästerte der durchtrieben nette Kerl vorausschauend. Jetzt haben wir alle es schmerzlich erlebt…

 

Feierabend also! Nach immerhin allerhand Rentnerjahren mit Gemahlin Ottilie nebst Kindern, Enkeln, Computer, in den er „Mein schönes Leben“ tippte düstere und doch glückselige Kindheitsbilder, ein weit übers Private hinaus gehender großartiger Text über die 1940er Jahre im elenden Deutschland. Und nachdem er sein „Bilderbuch. Ein Sammelsurium“ gebastelt hat aus den Koffern der Erinnerung und nach vielen hart bis zart rockenden Konzertauftritten „Jazz und Prosa“ (oder Lyrik) mit Tochter Fanny oder Jazzerin Uschi Brüning.

 

Manne Krug – was für ein tolles Leben: Eine Heirat ohne Scheidung; eine Lebensfreundschaft („Es war quasi Liebe“ mit Jurek Becker); zwei eheliche Kinder, ein uneheliches; ein Haus gebaut aus Ruinen, Bestseller geschrieben. 60 Film-Hauptrollen, ein Dutzend Schallplatten. Den Sozialismus besungen, aus ihm ausgetreten. Nationalpreis DDR, Bundesverdienstkreuz. Volksschauspieler Ost, Fernsehliebling Ganz-Deutschlands.

 

Krug stammt aus dem Pott, kam mit 14 Jahren aus Duisburg in den Osten. Als Scheidungskind mit dem Vater, der im Stahlwerk Brandenburg „als Ingenieur-Aktivist der ersten Stunde“ aufstieg zum „führenden Stahlwerker mit Dienstwagen“. Dort, im Brandenburger Groß-VEB, lernte Manfred das Stahlkochen, holte sich am Schmelzofen die scharfe Narbe auf der Stirn und machte auf der Abendschule Abitur.

 

Von der Maloche mit den Kumpels stammt Krugs plebejisch geerdetes, selbstbewusst forsches Lebensgefühl; Humor, Sarkasmus sowie ein unverstellter Blick steckten ihm wohl in den Genen. Seine ihm lebenslang bleibende Nähe zur Gedanken- und Gefühlswelt schwer arbeitender Menschen machte ihn – ohnehin „immer auf der Lauer nach falschen Tönen“– immun gegenüber Indoktrination jedweder Art.

 

„Jawohl, ich war stolzer Sozialist“ , bekennt er. Freilich mit der früh keimenden Ahnung, „dass die Sache nicht so laufe, wie sie hätte laufen müssen“. Also besser nicht FDJ und SED; aber Mitmischen im üppig gesponserten Kulturbetrieb der Stahlwerker: Manne mit der Reibeisenstimme konnte toll singen, war knackige Rampensau. „Ich sah mich schon immer als lustvollen Darsteller meiner selbst; und das ist Hohe Schule.“ Doch dann trotzdem die Filmhochschule, dann deren Abbruch („disziplinarische Schwierigkeiten“), dann Aufbruch zum Berliner Ensemble, dem Gipfel ostdeutscher Theaterkunst. Für lächerliche 250 Mark brutto als Eleve, ein Klacks gegenüber Brandenburger Lohntüten. Die Bühnenreifeprüfung unter Helene Weigel bestand er mit Ach und Krach. Krug war gerade zwanzig.

 

Dabei wollte er eigentlich nie wirklich zum Theater. Der Brechtige Klassenkampf-Belehrungsbetrieb ging ihm schnell auf die Nerven. Überhaupt hatte der drangvolle 1,90-Lulatsch wenig Laune, jeden Abend artig dasselbe zu tun. Also Kino. Also Defa. Und Manfred trällerte: „Stell die Sorgen in die Ecke, nimm dir deinen Hut. Spazier doch auf der Sonnenseite, dann wird alles gut.“ Hatte er selbst gedichtet heiteren Gemüts. Für seinen ersten großen Kinofilm 1962. „Sollte was Lustiges sein nach dem Mauerbau, was Optimistisches.“ Der ganze DDR-Kulturbetrieb sah das so. Man dachte tatsächlich, nach erfolgter Abschottung durch Beton künftig unbeschwert auf der hellen Seite der Welt leben und kreativ am Lichtschalter drehen zu können. Deshalb „Auf der Sonnenseite“, so der hoffnungsfrohe Titel des nach schwer lastigen Klassenkampfdramen luftigen Lust- und Singspiels. Krug in der Hauptrolle ein auf Abenteuer erpichter Schwerenöter, ein motzendes Schlitzohr. Naiv geradeaus und doch reflektiert. „Ein moderner Eulenspiegel“ jubelte die Kritik. A star was born!

 

Die DDR war begeistert vom unerhört frechen, witzigen, obendrein sexy Strahlemann, der nicht für Denkmale stand und noch dazu Jazz-Platten machte, was der Kulturbürokratie überhaupt nicht passte. So einer war kein stromlinenförmiger, gar staatstragender Vorzeigeheld. Das war eine offene, ehrliche und wenn es sein muss zartfühlende Haut, die Not und Zweifel nur zu gut kennt.

 

Sogar in seiner Rolle als überzeugter Kampfgruppenkommandeur beim Mauerbau (im Fernsehfilm „Der Kinnhaken“, seiner „einzigen Leiche im Keller“), da war spürbar: Dieser Mann ist „nicht so ungebratene-Bratwurst-mäßig“. Und obendrein ziemlich flexibel: Er spielte in Goethes „Urfaust“, Webers „Freischütz“ oder Götz Friedrichs „Porgy und Bess“-Inszenierung an Berlins Komischer Oper.

 

Krug sah sich als einer, dem man glauben kann. Da war es dann „ganz furchtbar“, als zur Premiere von Frank Beyers „Spur der Steine“ („mein einziger Film, der bleiben wird“) die wütende Staatsmacht den „goebbelsmäßig“ organisierten Krawall losließ. – Balla (Manfred Krug), der kraftstrotzende Boss einer Brigade von Zimmerleuten in der Hauptrolle, macht mobil gegen Bürokraten. Schimpft den Parteisekretär „mieses Arschloch“ – und wird so zum Staatsfeind. Filmverbot! „Für mich Hieb Nummer eins.“ Dem folgen Nummer zwei und drei: Der Truppen-Einmarsch in Dubceks CSSR sowie, acht Jahre später, die Ausbürgerung Wolf Biermanns. „Der war unsere Vorhut. Wenn er in Richtung Front losging, und es blieb ruhig, konnte man bequem hinterher robben. Biermann war unverzichtbar für die Orientierung. Als sie uns den weggenommen haben, wurden wir alle zum ersten Mal so richtig böse.“ Im heißen Sommer 1977 rollt der Vaterlandsverräter im Auto mit Kind und Kegel über die „Grenzübergangsstelle“ Bornholmer Brücke nach Westberlin.

 

Westberlin Ende der siebziger: Der Neue Deutsche Film regiert; Krug hielt den größtenteils für „Kunstkacke“, was er lauthals kundtat. Für derartige Kritiker sowie obendrein als „populistisch“ gebrandmarkte Echtheitskünstler hatte das „Avantgarde“-Kino freilich keine Verwendung. Krug tobt: „Ein wütender Volksschauspieler, das ist einer, der vom Volk leicht verstanden und gern gesehen wird.“ Also nix für die angesagten – O-Ton Krug – „jammerlappigen Wim Wenders & Co.“ Also statt „Reputationsschauspieler am Staatstheater lieber mit der Kraft, die man noch hat, zu den Leuten vorm Fernseher“.

 

Der Ex-DDR-Star ist sich nicht zu schade fürs Handfeste, wenn es nur gut gemacht ist. Er gibt den Trucker in der TV-Serie „Auf Achse“, fährt im „Traumschiff“, geht mit Lilo Pulver auf die „Sesamstraße“ sowie ins „Heim für Tiere“. Dann der Durchbruch-West als „Liebling Kreuzberg“ (mit Jurek Beckers genialen Drehbüchern) sowie lakonisch grummelnder „Tatort“-Stoever. Zweitkarriere geglückt, Spitzenquoten, super Finale, Vorhang zu. Und noch genüsslich Zeit für autobiographische Bestseller sowie – trotz diverser Alterswehwehchen – für rockige Konzerte. Und Gesang, das war denn auch sein letztes Wort.

 

Auf meiner über alle Umbrüche hinweg geretteten Amiga-LP von 1975, „Greens. Krug Nr. 3“, gibt es „als freundlichen Rausschmeißer“ ein „hübsches Abschiedslied“ von Manne, dem Dichter: „Alles geht einmal zu Ende/ und mit Ihnen wars wunderschön,/ ich sag und küsse Ihre Hände,/ leis Auf Wiedersehn.“ Mehr ist, ganz leise, nicht zu sagen.

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