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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 18

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

18. Januar 2013

Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz


Das Hauptstadt-Feuilleton war aus dem Häuschen: Ulli Lommel ist in der Stadt. Ein alter Knabe in Boots und Cowboyhut, ein Berliner Nachkriegskind aus gutem Hause, das früh schon schwärmte vom Land der unbegrenzten Möglichkeiten, das früh schon (mit 15) anfing als Schauspieler, später zum Star wurde bei Fassbinder („Liebe ist kälter als der Tod“). Und 1977 „Die Zärtlichkeit der Wölfe“ drehte, einen Film über den Jungsmörder Fritz Haarmann, was eine Einladung zum New Yorker Filmfest brachte sowie die Freundschaft mit Andy Warhol, mit dem er in der „Factory“ gleich zwei Filme machte. Seither lebt er in seinem Sehnsuchtsland, „wo eine Frau wie Marilyn zur Legende geworden war, wo JFK und Elvis waren“. Und wo er bis heute ein Halbhundert Filme produzierte. Und seine aufregende Autobiografie „Zärtlichkeit der Wölfe“ schrieb, in der die vielen Celebritäten aufmarschieren, mit denen Lommel so oder so zu tun hatte – Jackie O., Callas, Truman Capote, Orson Welles, W.S. Burroughs …

Und nun, mit seinen 68 Jahren, landet Lommel in der Volksbühne, die sich ja gelegentlich gern locker macht für Freaks oder Stars (Ansichtssache), damit die mal im Theater ihr dickes Ding machen können. Angekündigt ist „Fucking Liberty! – 500 Jahre Amerika in einer Show“; ein hitziger Ritt durch Lommels Biografie, durch den amerikanischen Mythenfundus aus Politik und Pop und hinein in die Albtraumseite des American Dreams.

Der Aufwand an Material und Volksbühnen-Stars ist beträchtlich. Bert Neumann baute auf die Vorbühne eine riesige Mickimaus, hinter deren Grinsmaul die Projektionsfläche für 3-D-Filme steckt. Es gibt die klasse martialische Band „Fucking Famous“, eine Girltruppe mit heftiger Hüft- und Beinarbeit fürs Dancing, einen zappelnden Bernhard Schütz, eine in Höchsthackigen stöckelnde Kathrin Angerer und einen dekorativ herum stehenden Frank Büttner in schick weißer Marine-Uniform. Und jede Menge extra hergestelltes Kino (3-D-Brille auf!): Historische Szenen aus Bürgerkrieg und Sklaverei („Kopf ab für jeden Gegner“) mit Irm Hermann, Volker Spengler als Orson Welles (ohne eine Silbe Text), viel Andy Warhol (Jeanette Spassova, Lilith Stangenberg) sowie Sophie Rois als Ingeborg Bachmann („Ich bin kein Antrieb für einen Mann, höchstens eine von ihm halluzinierte Oase.“). Und obendrein als philosophierender Truman Capote. Dann die Angerer als Jackie, Marilyn, Callas. Gerade die paar großartig komischen Filmschnipsel mit Angerer und Rois sind die kleinen reinen Freuden der ansonsten – jetzt endlich sei‘s gesagt! – freudlosen Zweistunden-Veranstaltung.

Da gibt es zwei Dramaturgen und den mit Entertainment und Pop innig vertrauten Autor-Regisseur. Und was dabei herauskommt, ist ein angestrengt lauwarmer bunter Abend wie von US-Austauschschülern. Ist eine Geschwätzigkeit ohne Neuigkeitswert. Ist bissel Kintopp, bissel Musik und Trallala zu Lommels holpernd langatmiger Erklärerei, die eher den „Dream“ feiert als die Kehrseite von Liberty, eben den „Albtraum“ („die Verteidigung der Freiheit kann die Lizenz einschließen, Böses zu tun“).

Es sei dahin gestellt, wieviel Amerika-Kritik und wieviel Amerika-Feier dieser Abend bringt; sein Elend ist: Lommel bringt weder richtig Theater noch richtig Show. Wir waren scharf auf eine geistreich-coole Amerika-Revue. Stattdessen: Bullshit.

Schaubühne am Lehniner Platz

Das Venedig-Ding der Schaubühne ist eigentlich eine Zweitverwertung. Als nämlich anno 2011 Regisseur Thomas Ostermeier für sein Lebens(!)werk am Lido den Goldenen Löwen des Theaterfestivals der Biennale von Venedig erhielt (das Ausland liebt ihn abgöttisch!), da war es Pflicht für die Preisträger, auf dem so genannten Theater-Parcours eine Nummer zu schieben. Das vorgegebene Thema: die Neudeutung der sieben Todsünden. Ostermeier entschied sich für „Wollust“ und entwarf eine Performance; als Stichwortgeber nahm er die Thomas-Mann-Novelle „Tod in Venedig“. Was wir jetzt unter gleichem Titel in der Schaubühne sehen, ist sozusagen eine Nachbereitung.

Dabei wird die Latte der Erwartungen ziemlich hoch gehangen und heftig mit Reizthemen geblinkt: Pädophilie und Missbrauch, Krankheit und Sterben (in Schönheit), Vernichtungs- und Untergangslust. Dazu die angekündigten Kindertotenlieder von Gustav Mahler und der Starauftritt von Josef Bierbichler. Also große Themen, großer Text, große Form. Und was dann herauskam in dieser großen Verfremdungsaktion, das war wenig sinn- und wenig gefühlvoll. Sondern artifizieller Aktionismus. Bierbichler krächzt mit erstaunlichen Dünnstimmchen ein bisschen Mahler am Flügel und guckt bräsig dem umherspringenden Knaben Tadzio hinterdrein, dessen Schwestern machen expressiven Ausdruckstanz, Kellner decken hingebungsvoll Tafel, verteilen hoheitsvoll Süppchen. Daneben Livemusik, martialische Liveelektronik, Video simultan oder verfremdet, ein paar Sätze Platon (nicht Mann). Von der Tragödie der Wollust oder der des Todes kaum eine Spur im hart am Rand zum Kitsch treibenden Gewusel der Theaterformen. Zum Schluss rieselt enorm eindrucksvoll kunstvoll zerfetzte Plastikfolie als schwarzer Todesschnee aus dem Himmel. Nach einer Stunde ist schon alles vorbei. Das verdatterte Publikum war nicht etwa „produktiv verstört“, also erhellt, sondern bloß arg verdattert. Oder verärgert ob dieser Kunstanstrengung, die Hochbedeutendes annonciert und bloß Kleinkram mit eitel abgespreiztem kleinen Finger serviert.

Berliner Ensemble

Mit ihrem Trippeln, Hopsen, Mädchenpiepsen, ihrem Girren und Kieksen erfüllt sie noch allemal Lolita-Fantasien, suggeriert selbst in wilhelminisch züchtiger Robe lässig elastisch das „elegante Prachttier“ – dabei ist Angela Winkler mit ihren 69 Jahren die wohl dienstälteste Lulu aller Zeiten. Aber Robert Wilson geht es im Berliner Ensemble mit seiner Inszenierung von Frank Wedekinds altem Aufgeil- und Aufklärungsstück von anno 1913, dieser „Monstretragödie“ vom Aufstieg und Fall der männerverschlingenden Lustmaschine „Lulu“, weder um Monster, Menschen und Tragödie noch um sexuelle Hörigkeit und bürgerliche Doppelmoral, sondern um nichts weiter als monströse Dekoration.

Alle Figuren sind weiß geschminkte, schwarz gewandete Aufziehpuppen. Sie geistern durch Riesenräume, die mal grell belichtet, mal düster schimmern oder einfach stockdunkel sowie meist leer sind – oder dürftig dekoriert mit Grab-Koniferen, sperrigen Sitzmöbeln, kitschigen Kristall-Lüstern. Sie sondern Wedekind-Sprechblasen ab, fuchteln mit Schießeisen oder Hackebeilchen und summen gelegentlich ein Liedlein. Wer das Stück nicht kennt, kapiert nichts; höchstens: Ein einlullender Monstre-Slapstick alberner Untoter. Dabei bleiben die Hosenställe der Herren so fest verschlossen wie fürs Publikum ein höherer Erkenntnisgewinn, der doch hinter all dem aufwändig zelebrierten Design lauern müsste.

Passend zum artifiziellen Ramsch liefert Lou Reed einen hübsch gruseligen Gespenster-Soundtrack nebst einigen halbwegs CD-tauglichen Songs.   Zum ermunternden Wippen mit den Fußspitzen extra für Hauptstadt-Touristen: Der Berlin-Hit „Brandenburg Gate“. Fürs beschwingte Heimgeh-Gefühl (wieder 26., 27. Januar).

Ein ganz andersartiger Berlin-Hit: Das Lesecafe im Kulturkaufhaus Dussmann, Friedrichstraße. Wahnsinns-Inszenierung: Die etwa zehn Meter hohe Wand als Blickfang voller exotischer Grünpflanzen mit Wasserberieslung. Traumhaft. Entspannend für die Seele. Und die Augen. Aber man kann bei prima Lesebeleuchtung in kuscheligen Ledersofas unbehelligt schmökern, was das Zeug hält. Aber eben auch Kaffee schlürfen. Statt Keks gibt es einen eingerollten roten Zettel mit Spruch. Bei mir stand vorgestern drauf: „Man bleibt nur gut, wenn man vergisst.“ Angesichts des eher trüben Berliner Theateralltags ein weiser Rat. Von Friedrich Nietzsche.

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