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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 173

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

13. Mai 2016

HEUTE: 1. „Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“ – Renaissancetheater / 2. „Und Gad ging zu David“ – im Theater Tiyatrom / 3. „Almania“ Tipp für die Bar jeder Vernunft

Frühling ist’s, ich lass es gelten, / Und mich freut’s, ich muss gestehn, / Dass man kann spazierengehn, / Ohne just sich zu erkälten…“ – Hoffentlich! Liebe Leser und Freunde, ich freu‘ mich mit Ludwig Uhland und wünsche „Frohe Pfingsten!“

 

 

 

 

1. Renaissance-Theater

„Er war ein Lump als er kam. Ich erzog ihn, jetzt haben wir einen erzogenen Lumpen.“ Er, das ist Goethe, dieser vom Weimarer Herzog angeschleppte Jungadvokat. Ein frecher Schnösel, aber begabt und bereits wahnsinnig berühmt („Werther“!). Und wer ihn da „erzog“ und vermeintlich überhaupt erst gesellschaftsfähig machte, also fürs Staatsamt zurichtete, das ist Charlotte Albertine Ernestine Freifrau von Stein; eine gesellschaftliche Institution der Residenzstadt, dem hübschen Kaff an der Ilm.

 

Als Goethe Ende 1775 sein Amt bei Hofe als intellektuelle Allzweckwaffe antrat, ist die gebildete, geistreiche, doch vom höfischen Klein-Klein arg unterforderte Charlotte Anfang Dreißig, verheiratet und vielfache Mutter. Sie verknallt sich sofort in G. Der ist Ende Zwanzig und gibt den genial-verwegenen Hallodri. Er verbandelt sich heftig mit der dominanten Dame. Sie ist seine Muse, Ratgeberin und gilt als platonisch Geliebte. Noch heute rätselt alle Welt darüber, wie sehr oder wie wenig intim diese Beziehung wohl war. Keiner weiß es. Angeblich kam es am 10. Oktober 1780 zum Knackpunkt, angeblich habe er bei dieser „Gelegenheit versagt“, sagt sie. Er sagt dazu nix. Doch sechs Jahre später haut er bei Nacht und Nebel ab aus Weimar für einen Ausflug nach Italien. Und bleibt zwei Jahre dort. Charlotte ist obersauer. Trotzdem: Briefe eilen hin und her. Doch Lotte wartet immerzu nur auf den einen, den ganz besonderen: auf Goethes Heiratsantrag…

 

Der Dramatiker Peter Hacks (1928-2003) verkürzt diese Wartezeit auf hundert Minuten. Und füllt sie durch eine fulminante Rede, mit der Charlotte ihren angetrauten älteren Herrn Josia auf Ehebruch und Scheidung vorbereitet. Doch der erwartete Brief, der Antrag kommt nicht. Charlotte wird nicht Frau von Goethe. Wie sie nun damit klar kommt oder eben nicht und was ihr dabei alles durchs Lockenköpfchen jagt über ihren Wahn, ihre (unerfüllten) Ansprüche und über einen Kerl wie Goethe, darüber hat Peter Hacks das Stück „Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“ verfasst.

 

Der witzigerweise als Gespräch betitelte Monolog ist eines der meistgespielten Stücke des 20. Jahrhunderts. Es kam in 200 deutschsprachigen Theatern und darüber hinaus in 21 Ländern auf die Bühne. Marcel Reich-Ranicki nahm es 2004 in seinen Kanon der 42 lesenswerten Dramen deutscher Sprache auf. Der geschliffene, wie ein Diamant funkelnde Text erklärt, was es heißt, ein Genie zu sein: „Er brauchte kein Einverständnis mit der Schöpfung, er selbst war Schöpfer. Goethe beleidigt, indem er ist. Ohne ihn sind wir nichts.“

 

So tönt lust- und schmerzvoll die enttäuschte, zugleich aber durch „ihn“ geadelte, ja in den Weltruhm katapultierte Frau von Stein. Hacks legt ihr sein Goethe-Bild in den Mund und spiegelt sich zugleich selbst darin. Sieht er sich doch hochfahrend, aber freilich nicht gänzlich übertrieben als ein Goethe seiner Zeit – und das war auch die der DDR; kleinkariert und spießig wie die höfische Welt Weimars.

 

Obendrein ist der genialisch flirrende Text eine arg unkorrekte Betrachtung über Geschlechterbeziehungen, eine Feier weiblicher Intelligenz und Emanzipation, aber auch eine vertrackte Liebeserklärung an die damalige Lebensgefährtin des Autors, die Schauspielerin Karin Gregorek (gegenwärtig im Fernsehen als kauzige, Alkohol und Nikotin heimlich zugetane Klosterschwester Felicitas in der ARD-Serie „Um Himmels willen“). Die große Gregorek brachte denn auch den Hacks-Klassiker, diese hinreißend sarkastische Boulevardkomödie für Bildungsbürger, in der eine köstliche Goethe-Travestie steckt, anno 1976 im Gorki-Theater zur ruhmreichen Uraufführung.

 

Jetzt im Renaissance gibt Anika Mauer die so anmaßende und wütende, sich verraten fühlende und dennoch den Verräter zumindest irgendwie verstehende Charlotte von Stein – rhetorisch eine Meisterleistung, ganz dem Glanz des Textes dienend (trotzdem Vorsicht vorm Ausrutschen in die glatte Rolle der Pointenschleuder).

 

Inszenatorisch stützt sie Johanna Schall, die, klug wie die im Umgang mit wahrer Größe erfahrene Brecht-Enkelin nun mal ist, sich niemals dem Autor gegenüber besserwisserisch gibt. In einem elegant schmucklosen Salon von Horst Vogelgesang (eine kühle Architektur-Preziose gleichsam als Show-Room dieser verwegen schillernden Gedanken-Revue) inszeniert Schall ohne falschen Ehrgeiz zu Verkomplizierungen und Abstraktionen, aber mit zarter Hand und feiner oder eben auch grob handfester Ironie. Braucht doch die beispiellose Höhe des Textes keinerlei bedeutungsheischende Garnierung. Ein amüsanter und abgründig weiser Abend. Äußerst passend gerade in dieses so elegant intime Theater. Eine Hommage auf den beispiellosen Hacks (der da in knapp zwei Stunden Text ganze philosophisch-psychologische Essaybände komprimiert). Auf den unerreichbaren Goethe. Auf die durch ihn und wie auch immer mit ihm unsterbliche Stein. „Ein Gott hat das Recht uneingeschränkter Selbstsucht.“ – Vielleicht (gelegentlich) schlimm. Aber letztlich immer: Schööön!

(Als spezielle Kostbarkeit leider nur selten im Spielplan; erst jetzt wieder am 27. ,28., 29. Mai – Karten sind knapp!)

2. Gastspiel im Theater Tiyatrom

Gerhard Beck wird 1923 in Berlin geboren. Sein Vater stammt aus Wien, betreibt in Weißensee einen Tabak-Versandhandel und ist jüdischen Glaubens, die Mutter ist katholisch. Doch Religion spielt in der Familie kaum eine Rolle, vielmehr ist der Vater eifrig darauf bedacht, nicht in „die jüdische Ecke“ gestellt zu werden. Dann kommt Hitler. Die Diskriminierung in der Schule treibt Gerhard dazu, sich trotzig dem Jüdischen zuzuwenden. Er wird Mitglied von „Hechaluz“, eine Art Pfadfinderverein, der noch bis 1941 „erlaubt“ ist und die jüdische Jugend vorbereitet auf eine Auswanderung nach Palästina. Dort findet Gerhard, der sich jetzt Gad nennt, seine große Liebe Bernhard, die er jedoch bald auf entsetzliche Weise verlieren wird.

 

Als die Deportationen beginnen, gehen er und seine Familie in die Illegalität. Gad wird Mitglied der Untergrundgruppe „Chug Chaluzi“ (Kreis der Pioniere). Unter permanenter Lebensgefahr arbeitet er mit in einem Netzwerk, das Verfolgte stützt und schützt. Familie Beck überlebt in der eben nicht "judenreinen" Reichshauptstadt um Haaresbreite. Im Sommer 1945 geht Gad nach Tel Aviv als Sozialarbeiter; in den 1960er Jahren kommt er nach Wien zur Jugendarbeit der jüdischen Gemeinde. 1978 holt ihn Heinz Galinski zurück nach Berlin, um die Jüdische Volkshochschule zu leiten. Hier lebt Gad bis zu seinem Tod 2012 glücklich zusammen mit seinem Freund. – Was für ein Leben! Ein schwuler Jude, der als Untergrundkämpfer den Horror überlebte, dann nicht nur in Israel für die Rechte der Schwulen eintrat. Was für ein Leben voller Angst, Schmerz und Grauen, aber auch voller Liebe, Lust und Freude, voller entsetzlicher, aber auch komischer, ja grotesker Momente und bizarrer Abenteuer. Es ist das Leben eines mit Mut, Witz und Glück Gesegneten, eines willensstarken Überlebenskünstlers. „Wie im Kino“, sagte Gad Beck. Und meinte, diesen Film könne nur ein Steven Spielberg machen.

 

Es gibt bislang nur Versuche von mehreren renommierten Filmregisseuren und Drehbuchautoren. Aber es gibt einen Dokumentarfilm von Carsten Does und Robin Cachett (2006) über Gad Beck, den Lebensretter, Lebenskünstler und kessen Erotomanen. Und es gibt seine Autobiografie „Und Gad ging zu David“ . Daraus hat der Schriftsteller und Buchpreisträger Eugen Ruge („In Zeiten des abnehmenden Lichts“) ein Theaterstück gemacht. Eine Art Revue im Format eines Kammerspiels (dabei schreit der sagenhafte Stoff Produzenten aufgemerkt! nach großer Oper).

 

Jens Uwe Günther vertonte die griffigen Songs und Lieder. Und Regisseur Horst Ruprecht inszenierte die kaleidoskopartige, bildstarke Uraufführung, wobei er mächtig auf Tempo und präzise Körperlichkeit setzte und die verrückten und frivolen, die traurigen und tragischen Momente pointiert ausspielte. Mit einer starken Truppe junger Schauspieler aus der Off-Szene im türkischen Theater Tiyatrom in Kreuzberg, Alte Jakobstraße 12, gegenüber der Berlinischen Galerie. Das Publikum war zunächst perplex, sogar schockiert, doch schließlich gebannt, mitgerissen, begeistert. Sehr viel Beifall!

(Wieder 20., 21., 27., 28 Mai, am 4., 5., 9., 10., 16., 17. Juni, jeweils 19.30 Uhr.)

3. Bar jeder Vernunft - Mein Tipp für eine delikate Preziose

„Ich geb' meine Busen den Söhnen der Musen…“ – Ein geflügeltes Wort der berühmt berüchtigten Alma Schindler-Mahler-Werfel-Gropius-Kokoschka-Zemlinski-Klimt-und-wie-sie-alle hießen!

 

Sie wurde gepriesen als schönstes Mädel von Wien und bewundert als Furie sowie flippigste Skandalnudel ihrer Zeit, weil angebetet von den tollsten Kerlen, denen Alma sich auf die verrücktesten wie gängigsten Arten hingab. Gereimtes Motto: „Jeder, der ein Künstler ist, will, dass ihn die Alma küsst.“ Und die Alma wollte es auch – voll von Gefühlen, Gelüsten, Eitelkeit und Machtgier. Womit das wilde Weib schließlich zu einem hinreißend widersprüchlichen Gesamtkunstwerk wurde voller Schönheiten und Schlimmheiten.

 

Die Sachlage ist zwar einigermaßen weltbekannt. Und doch schafft es das großartige Künstlerduo Nini Stadlmann & Tom van Hasselt, dieser Almania neue Drauf- und Einsichten abzuringen. Die Sänger-Schauspielerin und der dichtende Pianist offerieren in ihrem süffisanten kabarettistischen Zweistunden-Musical „Alma und das Genie“ zum einen eine frivol-ironische Selbstsicht der großen Dame (bei der sich „ich genies“ auf „die Genies“ reimt). Zum anderen entrollen Stadlmann & Hasselt einen sarkastischen Dialog über das Subjekt ihrer ironisch distanzierten Bewunderung. Zusammen mit Gesang und mit mal schwärmerischer, mal wuchtiger Klaviermusik kommt da ein packendes Porträt der teuflisch durchtriebenen, himmlisch naiven Göttin namens Alma zustande. Die ganze große feuilletonistisch-literarische Kleinkunst von Polgar, Tucholsky, Kästner bis Hollaender oder Kreisler schwingt mit in diesem musikalisch-literarischen Kabinettstück voller Frivolität, Witz und Ironie sowie gezielt dosiertem Zynismus. Da geht die Post ab ohne Federboa-Werfen, Wimperngeklimper oder Schmachtaugenverdreherei.

(Ausgezeichnet mit dem Musical-Preis 2015, jetzt wieder nach langer Zeit zu bestaunen in der Bar jeder Vernunft 24.-29. Mai. )

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