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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 170

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

25. April 2016
HEUTE: 1. „Die falsche Gärtnerin“ - Bode-Museum / 2. „Linie 1“- Jubiläum im Grips-Theater / 3. Film-Tipp: „Rabbi Wolff“ / 4. Shakespeare-Preis für Thomas Ostermeier

1. Bode-Museum


„Don Giovanni“ im still gelegten E-Werk, „Zauberflöte“ im U-Bahntunnel, jetzt „Die falsche Gärtnerin“ im Bode-Museum. Der Berliner Dirigent, Regisseur und Produzent Christoph Hagel hat ein Faible für extravagante Orte, für Oper und Mozart. Die bringt er in seinen Inszenierungen zusammen, auch, um auf diese Art einem dem Musiktheater fern stehenden Publikum die Lust zu wecken, es zu versuchen...

 

Diesmal also ein Mozart-Frühchen; das Jung-Genie war gerade mal 18 Lenze, als er die „Gärtnerin“ komponierte, der man sehr wohl anmerkt, dass sie viel mehr ist als ein hübsches Schäferspiel um die Irrwege der Liebe. Das dramatisch durchwehte Lustspiel gilt als „wilde“ Vorform der epochalen Gesellschaftskomödie „Hochzeit des Figaro“, die gut ein Jahrzehnt später erschien.

 

Doch Hagel ist nicht nur ein origineller Kopf, sondern auch ein ingeniöser Impresario, der mit seinen Produktionen (hoch)begabtem Sängernachwuchs eine Plattform gibt. Allein sein aufwändiges Casting auch für diese Produktion gleicht einem internationalen Wettbewerb. Die Folge: Ein blutjunges, begeisterndes Ensemble, das sich souverän behauptet gegenüber den Leistungen in den drei immerhin weltbedeutenden Opernhäusern der Stadt. Freilich, die grandiose Architektur des Museums bedingt szenischen Minimalismus; als karge Spielfläche dient eine Art Laufsteg. Auf dem wird nun, begleitet von den Berliner Symphonikern, um so intensiver gespielt in diesem irren erotischen Intrigen-, Versteck- und Verkleidungsspiel, das zu starken Gefühlsausbrüchen, berührenden Herzensergießungen, zu Sex und sarkastischen Kommentaren führt – mithin zu gesanglichen und schauspielerischen Herausforderungen.

(bis 22. Mai, samstags und sonntags)

2. Grips-Theater - 30 Jahre „LINIE 1“

„Heute kann man sich überhaupt nicht mehr vorstellen, wie sehr die meisten Schauspieler an einem Erfolg der „Linie 1“ gezweifelt hatten, so groß war der Probenstress gewesen“, erinnert sich Volker Ludwig, der Grips-Chef an die Uraufführung just vor drei Jahrzehnten. Noch nie habe er, der Regisseur und Autor, nach der Premiere so viele Menschen auf einmal hinter der Bühne heulen gesehen vor Erschöpfung und Glück…

 

Heute kaum zu glauben, dass damals niemand auch nur ahnte, dass „Linie 1“ einmal der größte Erfolg sein werde, den ein deutsches Musical je hatte. Es war über Jahre das meistinszenierte, meistaufgeführte und meistbesuchte Theaterstück im deutschsprachigen Raum und machte Ludwig in den 1990er Jahren zum meistgespielten Autor nach Shakespeare, Brecht, Molière. Gratulation!

 

Die „Linie“ wurde bis heute von mehr als 150 deutschsprachigen sowie mehr als einem Dutzend Theatern nachgespielt (sogar in Afrika und Asien). Das Stück funktioniert nicht nur in der Berliner U-Bahn, sondern beispielsweise auch im Bus (Vilnius) oder Sammeltaxi (Windhoek und Aden). Am 30. April gibt es im Grips die Jubiläumsvorstellung – mit Gästen von damals, Party und Tanz in den Mai; es wird die sage und schreibe 1724. Grips-Aufführung sein. Was für ein Triumph! – Übrigens, ich erinnere mich an ein Gastspiel (1987 oder 1988) in Dresden im noch heute erfolgreich existierenden (!) „Theater der jungen Generation“: Riesiger Menschenauflauf, eine Karte auf dem Schwarzmarkt war Gold wert, grenzenloser Jubel, der zugleich eine politische Manifestation war in der wie wir heute wissen Endzeit der DDR.

(„LINIE 1“-Vorstellungen im Umfeld des Jubiläums: 27.-29. April, 5.-8. Mai)

3. Film-Tipp

Leichten Fußes eilt er in Schwarz mit Schlips, Hut, wehendem Mantel sowie perfekt gebügeltem weißen Hemd durch Schwerin, Rostock, Wismar. Stürzt vom Bahnhof zum Zeitungsladen (jeweils die Regionale und alle Überregionalen), dann mit Plastiktüte durch die Kaufhalle, dann ins spartanische Quartier, dann endlich in die neu eingerichtete Synagoge. Es ist nämlich wieder der eine Mittwoch im Monat, an dem Willy Wolff im Londoner Vorort Henley-on-Thames in aller Herrgottsfrühe in seinem mit Büchern vollgestopften Landhaus „Little Paddock“ aus dem Bett springt und im Auto flott zum Londoner Flughafen kutschiert. Es geht ab nach Berlin-Tegel. Dann weiter im Interregio an die Ostseeküste. Denn William Wolff ist der Landesrabbiner von Mecklenburg-Vorpommern.

 

Im April 2002, da ist er 75, gab er dem Drängen des Zentralrats der Juden in Deutschland nach, das seit 65 Jahren verwaiste Amt zu übernehmen. Nunmehr ist er für 2000 Menschen mosaischen Glaubens „zuständig“ und betreut sie – jeweils einmal im Monat von Mittwoch bis Sonntag. Weil die Gemeinde überwiegend russisch spricht, fast alle Mitglieder kamen in den 1990er Jahren aus der ehemaligen Sowjetunion nach Nordostdeutschland, lernte Rabbi Wolff schnell noch ihre Muttersprache.

 

Die Dokumentaristin Britta Wauer hat sich drei Jahre Zeit genommen für ihr Filmporträt „Rabbi Wolff“. Sie hing an den Fersen dieses agilen, leicht gebückten alten Herrn, an dem eins sofort auffällt: Sein koboldisches Lächeln. Wenn es nichts zu Lächeln gibt, dann schaut er weg von der Kamera. Willy Wolff – von scheinbar fragiler Statur – ist offensichtlich fest gebaut und fest verschraubt in Gottes Erde, auf der er sich freilich erstaunlich flink bewegt. Eine standhafte Frohnatur, gekräftigt durch unerschütterliches Gottvertrauen und gesegnet mit einem gerüttelt Maß praktischer Vernunft. „Ich versuche, mein Leben soweit wie möglich zu genießen und zu sehen, dass es Spaß macht. Und wenn irgendetwas keinen Spaß mehr macht, dann wechsle ich einfach.“

 

Klingt einfach. Ist und vor allem war es aber nicht für einen deutschen Juden, Jahrgang 1927. Die orthodox geprägte Familie (großbürgerliches Elternhaus im Berliner Hansaviertel) floh frühzeitig erst nach Amsterdam, alsbald weiter nach England. Früh schon wollte William Journalist werden. Und Rabbiner.

 

Zunächst wurde er Parlaments- und Europakorrespondent großer englischer Zeitungen, reiste mit dem britischen Außenminister um die halbe Welt, war in den 1970er Jahren oft eingeladener TV-Gast in Werner Höfers „Internationalem Frühschoppen“. Mit 53 Jahren jedoch begann Wolff, seinen Herzenswunsch sich (eigenfinanziert) zu erfüllen: Das Rabbiner-Studium am Londoner Leo-Baeck-College; parallel arbeitete er fürs nötige Geld weiter im Politik-Journalismus. Nach der Smicha (Ordination) übernimmt er verschiedene Gemeinden in England; zuletzt (1997) in Wimbledon. Dann 2002 der Ruf aus dem neuen Deutschland. Zwei Jahre später die Wahl zum stellvertretenden Vorsitzenden der Allgemeinen Rabbinerkonferenz in Deutschland. Er bekommt den Ehrendoktor der Uni Greifswald, die Ehrenbürgerschaft Schwerins, das Bundesverdienstkreuz, den Israel-Jacobsohn-Preis. 2015 endet sein Vertrag in Meckpomm, er behält den Titel „Landesrabbiner“ und erfüllt weiterhin repräsentative Aufgaben.

 

Was für eine Karriere. Was für ein Leben voller Weltläufigkeit. Wolff spricht fünf Sprachen, besucht seine weithin verstreute, teils streng orthodoxe Familie, liebt Pferderennen. Das alljährliche Ascot mit Cut und Zylinder ist ihm ein „Must“ wie die alljährliche Fastenkur in Bad Pyrmont oder die alltägliche Yoga-Übung. Juri Rosow, Gemeindevorsitzender von Rostock, ein gemütlicher Dicker mit Schnäuzer wundert sich noch heute: „Ich dachte, wir bekommen einen Rabbiner. Aber es kam ein englischer Gentleman.“

 

Wunderbar und herzergreifend ist es, wenn die Filmregisseurin Wauer immer wieder das so Besondere, für manch Konservativen womöglich Absonderliche dieses durch und durch von Verständigung, Versöhnung, Toleranz geprägten, dieses durch und durch frohgemuten, quirligen Seelsorgers ins Bild rückt – etwa am Strand vom Toten Meer in Badehose mit Sonnenschirm. Orthodoxes Reglement ist für diesen Rabbi nicht unbedingt von Gott gewollt. Er sagt: „Vorschriften sind ja für die Menschen gemacht. Die jüdischen Gebote sind dafür da, Menschen Orientierung zu geben. Man muss sich aber nicht an irgendwas halten, was keinen Sinn macht.“ In Jerusalem erkannte ein Filmzuschauer, Wolffs Lebensweisheit sei eine seltene Mischung aus ostjüdischem Witz und britischem Humor. Was für ein Erlebnis, diesem so ansteckend frohgemuten Kobold im Kino zuzuschauen. Und was für ein seltsames Gedankenbild: ein Rabbi als Kobold... Tja, bei Willy Wolff kommt eben einiges in eins: Der scharfe Denker, der genaue Beobachter, immerzu Lernende, feinsinnig Bescheidene und der Spitzbübische, den das Leben arg beutelte und der dennoch, von Alterswehwehchen gnädigerweise weitgehend verschont, so verrückt lebendig ist. Als ein ehrwürdiger Herr mit Kippa und Hut. Mit Hut und Kippa. Und einem kecken Kichern. Schalom!

 

Im Verlag Hentrich & Hentrich erschien ein kluges Begleitbüchlein zu diesem betörenden Film über einen beglückenden Menschen: „Rabbi Wolff und die Dinge des Lebens. Erinnerungen und Einsichten“, zusammengestellt von Britta Wauer; 12.90 Euro.

4. Glückwunsch Ostermeier!

Im Rahmen des Shakespeare-Festivals im rumänischen Craiova erhielt jetzt Schaubühnen-Chef Thomas Ostermeier den Shakespeare-Preis (10.000Euro) für sein gesamtes künstlerisches Schaffen und im besonderen für seine Bearbeitung von Shakespeare-Stoffen. Der britische Botschafter in Rumänien überreichte den Preis im Anschluss an das Schaubühnen-Gastspiel von "Richard III." im Nationaltheater Craiova. Ostermeiers "Hamlet" mit Lars Eidinger war bisher in 28 Städten weltweit zu Gast. „Richard III.“ auch mit Eidinger in der Titelrolle wird demnächst in China und Edinburgh gastieren.

("Richard III" in der Schaubühne wieder vom 27-29. April; "Hamlet" am 18., 19. Juni)

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