0
Service & Beratung: (030) 86009351
Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 160

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

15. Februar 2016

Hans Otto Theater Potsdam


Lutz Seiler gelang mit dem philosophisch vielschichtigen, raffiniert verschachtelten Roman „Kruso“ über das „Wendejahr“ 1989 der ganz große Durchbruch: Die Auszeichnung mit dem Deutschen Buchpreis 2014! Erstmals hörte ich vor vielen Jahren von diesem Autor, Jahrgang 1963 und aus Thüringen stammend, als er beim Poetenseminar der FDJ in Schwerin mit beeindruckender Dichtkunst auffiel. Heute lebt er in Stockholm sowie in Wilhelmshorst am Rand von Potsdam. Sein Romanheld Alexander Krusowitsch, genannt Kruso, kommt direkt aus Potsdam. Aus dem „Städtchen“ Nr.7, einem der einst abgeschotteten Areale, in dem die höheren Chargen der Sowjetarmee wohnten: Krusos Vater war General und seine Mutter – bizarre Mischung – Zirkusartistin, die bei einem Auftritt stürzte und ums Leben kam.

 

Nicht nur, dass in Potsdam Uwe Tellkamps griffig und flott lesbarer vom DDR-Ende erzählender Roman „Der Turm“ überzeugend auf die Bühne kam (überzeugender als in Dresden, dem Standort des „Turms“) – nicht nur das allein ist dem Potsdamer Theater Grund genug, jetzt Seilers sehr viel schwieriger zu packenden, surreal verrätselten und mythologisch aufgeladenen Text vom Untergang der DDR nachzuschieben. Es ist auch, abgesehen vom historischen Kontext, das Lokale, sind die Potsdam-Bezüge. Glückwunsch also an die Intendanz, die sich gleich nach der Uraufführung in Magdeburg die Romanadaption sicherte, die von der Leipziger Dramaturgin Dagmar Borrmann stammt und deren Stückfassung sich klugerweise auf die Story konzentriert, eine (DDR-)Aussteiger-Geschichte. Die weit wuchernden poetischen Arabesken sind auf ein Maß komprimiert, das allgemeiner Verständlichkeit nicht allzu sehr im Wege steht.

 

Hauptort des Geschehens ist die Ostseeinsel Hiddensee; seit jeher Refugium für Individualisten und Anspruchsvolle (Gerhart Hauptmann, Thomas Mann, Walter Felsenstein). Zu DDR-Zeiten tummelten sich hier Privilegierte (das Quartier war eine Kostbarkeit), zunehmend aber auch Bohemiens aller Arten sowie Alternative und Fluchtwillige. Die dänische Insel Moen war - bei gutem Wetter - immerhin in Sichtweite.

 

„Kruso“ handelt von Leuten, die die DDR mental und geistig längst hinter sich haben und sich (Geheimtipp!) in der Saisonkneipe „Zum Klausner“ auf der Nordspitze der Insel einfinden. Dort führt Kruso das harsche Regiment. Er ist heimlicher Dichter und illegaler Quartiermeister für (vornehmlich weibliche) Inselbesucher ohne amtlichen Erlaubnisschein fürs „Grenzgebiet“. Vor allem aber ist der stramme Schöngeist Häuptling der „Eskas“, der Saisonkräfte (= S.K.), die den überstrapazierten gastronomischen VEB-Laden für geringen Lohn und hoffentlich reichlich Trinkgeld am Laufen halten. Sie alle haben dem sozialistisch geordneten Festland den Rücken gekehrt und suchen auf der Insel ihr bescheidenes (für Kruso: gigantisches) Reich der Freiheit. Oder sie suchen den Absprung zur lebensgefährlichen, fast immer tödlich endenden „Republikflucht“ übers Wasser.

 

Regisseur Elias Perring entfesselt in der von bühnenhohen Bretterwänden umstellten „Klausner“-Welt – quasi der Maschinenraum dieser aparten Saisonkneipe – ein schlingerndes Typenkarussell von Spinnern, Träumern, Sonderlingen. Da blühen im fein gewebten Ensemble Freund-, Lieb- und Feindschaften, explodieren Aggressionen, Einsamkeits-Koller, Wirklichkeitsfluchten, wabern Ich-Suchereien, Daseins-Utopien oder Träume von totaler Entgrenzung und vom goldenem Glück. Im Zentrum dieses Panoptikums steht die zur Herzensfreundschaft sich weitende Beziehung zwischen dem (all)mächtigen Mannsbild Kruso (Raphael Rubino) und dem auf der Insel im Klausner und schließlich bei Kruso Schutz wie Rettung suchenden Ed, einem unglücklichen, am Leben verzweifelten Ex-Literaturstudenten aus Halle an der Saale (Holger Bülow).

 

In dieser wirren Endstation Sehnsucht, die mit dem Mauerfall vergeht, wispert immerzu und über alle Zeitenwenden hinweg ein Grundton; nämlich der von Kruso getragene Diskurs über Freiheit: Es gäbe sie, weil es diese Insel gibt. Es sei die Freiheit des Herzens und der Verhältnisse, denn allein in solchen, in eben unfreien Verhältnissen, gedeihe das wahre Freie, während die Illusion davon ihren Preis habe. Wirkliche Freiheit sei unbezahlbar. So etwa mäandert diese bitter-sarkastische, komisch-groteske, mit Dicht- und Sangeskunst garnierte, mit Wehmut und Rohheit durchsetzte Saga dahin: Voll von ewigen Wirrungen, Weisheiten und bleibenden Sehnsüchten.

(wieder am 20. 2., 19.30 Uhr und am 21.2., 17 Uhr)

Theater Parkaue im Prater

Um es gleich zu sagen: Eine stramm sich blähende rote Fahne – wie oft gesehen in neueren „Räuber“-Inszenierungen -, die gibt es hier nicht. Stattdessen baumelt ein unscheinbares Schild über der Prater-Vorbühne, wo sich „Die Räuber“ von Friedrich Schiller austoben, die extra in die Prenzelberger Kastanienallee geeilt sind, weil Berlins Junges Staatstheater in der Lichtenberger Parkaue just renoviert wird. Auf dem läppischen Pappschildchen steht flink mit dem Edding und cool auf Englisch gekritzelt die Warnung: „Dont’t go in the wood!“. Denn im Wald, da sind, nicht nur bei Schiller, die bösen Buben. – Kleiner Scherz von Kay Wuschek, dem Chef des rührigen Parkaue-Theaters, der am Ersatzspielort Prater den Klassiker auf die Bretter streute.

 

Ja leider: Er streute. Denn von Kippen, Wuchten, Schmeißen, Knallen oder meinetwegen auch von ätzendem Sezieren konnte keine Rede sein. Also auch nicht von Stürmen und von Drängen. Weder beim entfesselten, prompt zum skrupellosen, blutstürzendem Nihilismus pervertierten Weltverbesserungs-Wahn Karl Moors, der in die böhmischen Wälder (in the wood) zieht, um von dort „guten“ Terror zu verbreiten, der eine „böse“ Gesellschaft heilen soll. Noch bei seinem oberfiesen Bruder Franz, der mit mörderischer Intriganten-Wut seinem Bruder Karl die bürgerliche Resozialisation im väterlichen Heim nebst Eheglück vermasselt.

 

Allein schon die altbackene Idee floppt, die Rollen der beiden so gegensätzlichen (der totalitäre Idealist Karl, der totale Materialist Franz), in der grauenvollen Wirkung ihres Tuns jedoch so entsetzlich sich gleichenden Extremisten-Brüder mit nur einem Schauspieler zu geben. Joseph Konrad Bundschuh hat weder das rechte Zeug zu dem einen noch zu dem anderen. Aufgeregtes Hin- und Hertoben ist da entschieden zu wenig. Der hagere Schlacks in Turnschuhen und Bundjacke wirkt trotz seiner goldenen Hose nicht gegenwärtig und nicht spannender als ein modisch verwilderter Gymnasiast, der auf dem Schulhof zähnefletschend den raufboldenden Zampano mimt.

 

Warum auch immer hat sich die Bühnenbildnerin Dorothee Curio viel Gold einfallen lassen und (wie witzig) einen verrosteten Panzer als Räuberburg, die sich hinterm mit Aplomb aufgezogenen eisernen Vorhang verbirgt, der golden glänzt: Da füllen die stets langweilig in Goldlicht getauchte Vorbühne goldene Sessel, goldener Kühlschrank, goldene Kloschüssel, goldene Waschmaschine, aus der man überraschenderweise Geldbriefe ziehen kann -- wieder so ein cool sein sollender Scherz für das annonciert jugendliche Publikum („15 plus“).

 

Aber auch die Regie geizt mit Einfallsreichtum. So lungern denn Räuberbande, Papa Moor, die von beiden Brüdern begehrte Amalia von Edelreich sowie der gottesfürchtige Hausdiener mal mehr, mal weniger erregt herum. Und die ungestüme Sache zieht sich drang- und zwanglos über drei Stunden hin… Allein die Wucht der Schillerschen Sprache (wenn auch zuweilen arg hin genuschelt) sorgt für ein paar packende Momente.

 

Vom dramatischen Erstling des genialen Jung-Autors über Seelenschönheit und Seelendreck des Menschen, über Größe und Elend der Aufklärung (die Freiheit der göttlichen Schöpfung, das Gesetz, der moralische Imperativ, die Vernunft), von diesem genialen Einstand eines Weltdramatikers, der seit der tumultarisch gefeierten Uraufführung in Mannheim 1782 bis heute Bühnen und Gemüter der Welt bewegt, von diesem Epoche machendem Erstling ist an polarisierender Sprengraft und philosophisch-moralisch-politischem Diskurs nicht viel geblieben in dieser albern und etwas nervös dahin fuchtelnden Aufführung. Keine rechte Revolte (gegen freilich damals wie heute unhaltbare Zustände). Auch keine rechte Fallhöhe für deren blutigen Zusammensturz. Kein grelles Glühen und schmerzliches Verglühen – auch nicht in den Liebesdingen mit Fräulein Amalia, nicht mal das. Die Theater- und Schulpädagogik wird viel zu tun haben hinsichtlich Vor- und Nachbereitung. Womöglich reicht es im gegebenen Fall, das starke Stück über das Tollhaus Welt mit seinen echten und falschen Göttern und Visionen einfach zu lesen.

(wieder am 20, 21. Februar, 15.-17. März im Prater, Kastanienallee/Ecke Schönhauser)

Neues Museum - Der Bart bleibt dran!

Er wächst im Monat um zwölf Millimeter und ist absolut mehrheitsfähig: der Bart! Das erfahren wir ausgerechnet im Neuen Museum. Sicher, die Museumsinsel steckt proppenvoll von Männlichkeit mit mehr oder weniger üppiger Gesichtsbehaarung aus sämtlichen Epochen der Kunst. Da ist die charmante Idee der Direktion naheliegend, eine kleine, so witzige wie informative Sonderausstellung im Keller des prächtigen Hauses zu arrangieren. Motto: „Der Bart zwischen Natur und Rasur“.

 

Sonderlich bemerkenswert ein unscheinbares, freilich spektakuläres Objekt hinter Glas: die aufgefundene erste steinerne „Rasierschabe“ aus dem 4. Jahrhundert vor Christus. Etwas später lästerten altgriechische Satiriker: Die Länge des Bartes entspräche der Weisheit des Mannes. Die Pharaonen nahmen die Sache ernst und ließen sich lange, akkurat rechteckig gestutzte Kunstbärte ans Kinn kleben als Zeichen ihrer Würde. Der gezeigten Beispiele diverser Barttrachten aller Zeiten reicht selbstredend bis ins Heute. Darunter Kuriositäten wie das Foto von Madame Clementine Delait (1865-1939) aus Thaon-les-Vosges, die über einen üppigen Rauschebart verfügte, einen Bäcker heiratete und ihre seltsame Männlichkeit munter für Werbezwecke einsetzte. Soll sich gelohnt haben, der Umsatz wuchs so kräftig wie ihr Bart. Zudem erfährt man, dass in London anno 1942 der erste Bart-Club der Welt gegründet wurde. Jetzt gibt es hierzulande nahezu überall für haarige Kerls nebst deren Fans so genannte Bären-Clubs... Wer also mal wieder spitz ist auf einen Besuch bei Nofretete oder Schliemann, der sollte nicht versäumen, nebenher die mit kulturgeschichtlichen Stichworten artig garnierte, hübsch freche Bart-Show zu inspizieren.

(noch bis zum 28. Februar).

Verwendung von Cookies

Zur Bereitstellung des Internetangebots verwenden wir Cookies.

Bitte legen Sie fest, welche Cookies Sie zulassen möchten.

Diese Cookies sind für das Ausführen der spezifischen Funktionen der Webseite notwendig und können nicht abgewählt werden. Diese Cookies dienen nicht zum Tracking.

Funktionale Cookies dienen dazu, Ihnen externe Inhalte anzuzeigen.

Diese Cookies helfen uns zu verstehen wie unsere Webseite genutzt wird. Dadurch können wir unsere Leistung für Sie verbessern. Zudem werden externe Anwendungen (z.B. Google Maps) mit Ihrem Standort zur einfachen Navigation beliefert.

  • Bitte anklicken!