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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 16

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

7. Januar 2013


Alle Jahre wieder ertüftelt das „Tip“-Stadtmagazin (das obendrein ein winziges, aber fein gespitztes Theaterfeuilleton pflegt) seine Liste „Die 100 peinlichsten Berliner“. Nummer eins diesmal: Klaus Wowereit. So albern oder platt man die Revue der Skandalnudeln auch finden könnte, einige Wahrheiten stecken allemal drin. Denn es stimmt: Der Regierende redet sich viel lieber sein Regieren bis zur Unerträglichkeit schön anstatt das zu tun, wofür er gewählt wurde ‑ eben Regieren und Verantwortung tragen (die er, wird’s ihm zu heiß oder schwer, gern abschiebt auf andere). Dazu die neueste Meldung vom Ranking-Markt: Unser unerschütterlicher Drückeberger und Strahlemann steht einem Gemeinwesen vor, in dem 70 Prozent seiner Bürger sauer sind auf ihre Politiker, womit der Berliner Senat die unbeliebteste Landesregierung in ganz Deutschland ist. Schöner Spitzenplatz, der Wowereit (zugleich Spitze der Kulturpolitik) mitnichten irritiert. Man wurschtelt weiter von Desaster zu Desaster. Lassen wir mal Schönefeld, Tempelhof, Schulwesen (in Berlin kann jeder vierte Schüler in der vierten Klasse so gut wie gar nicht lesen oder rechnen!!), lassen wir die Stadtverschmutzung oder die sauteure Stadtverhässlichung (Tauentzien-Mittelstreifen), lassen wir alles das mal beiseite, allein im Kultursektor ticken seit langem gleich zwei Zeitbomben unerhört: die Staatsopern-Sanierung sowie die bevorstehende Tarifangleichung der Bühnenbetriebe. Wird lustig werden, sexy, kostspielig. Prosit Neujahr!

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schwingt den ganz schweren Hammer und hält die Schaubühnen-Inszenierung von Gorkis „Sommergäste“ durch Alvis Hermanis für dessen „Schandtat der Saison“. Die Wochenzeitung Die Zeit fand das gleiche Ereignis ziemlich klasse. Selten polarisierte eine Aufführung derart – und ich meine schlitzohrig: Etwa in der Mitte liegt die Wahrheit. Gorki lässt in einem raffiniert konstruierten Beziehungsgeflecht die vorrevolutionäre russische Intelligenzia über Weltverbesserung parlieren. Ein Jahrhundert später ist das für den lettischen Star-Regisseur bloß noch Geschwätz. Ausgebrannte Seelen wälzen sich in total ruinösen Prunkgehäusen im Endzeitmüll (fantastische Ausstattung: Kristine Jurjane). Da geht gar nichts mehr – was aber auch schon wieder ahnungsvoll vorrevolutionär ist, mag Hermanis meinen. Seine grauenvolle Zustandsschilderung einer totalen menschlichen Entleerung mag extrem zugespitzt und rabenschwarz gemalt sein, ist aber nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Als apokalyptisches Blitzlicht ist alles artistisch perfekt durchexerziert – nur: Ein Dreistunden-Blitzlicht (plus Pause) ist bissel arg lang. In knapp neunzig Minuten hätte sich dasselbe mitteilen lassen. Noch viel verstörender.

Absolut verstörend die autobiographisch grundierte theatralische Recherche des Schauspielers Matthias Neukirch in der Box des Deutschen Theaters. Diese kleine Kiste gehört zum Besten in Berlin; gleich nach Neujahr – mein erster Theatergang 2013 – sah ich dort eine starke szenische Adaption der Büchner-Novelle „Lenz“ mit dem sensationellen Ole Lagerpusch (Regie: Lilja Rupprecht; wieder am 17. und 20. Januar). Ach, wenn nur das an diesem Mini-Studio dran hängende große DT endlich gleichermaßen wirkungsstark würde!

 

Zurück zu Neukirch, auch ein toller Hecht im tollen DT-Ensemble, der in der Box mit dem Publikum auf Augenhöhe am Tisch sitzt (wieder am 14. Januar). Und über seinen Großvater Hans Schleif spricht (1902-1945), einen erfolgreichen Architekten und Archäologen (Olympia-Ausgrabung). Einen Intellektuellen, ehrgeizig, politisch indifferent, der schließlich direkt unter SS-Reichsführer Himmler Karriere machte. Briefzitat: „Nun wird’s wohl klappen, wie immer in wirklich guten Zeiten siegt die Tugend.“ Hans im Glück unter Hitler ‑ als KZ-Baumeister. Ende April 1945 erschoss er sich. Neukirchs Erkundung, unangestrengt und gerade dadurch schwer beklemmend, ist der packende Versuch, anhand von Familiendokumenten zu ergründen, wie es geht, dass ein kluger Kopf aus tief bürgerlichem Anstands-Milieu zum Verbrecher wird. Und wie sie sich diese Tragödie im ganz Alltäglichen zusammenzieht. Etwas Furchtbares, lapidar aufgeblättert. Ein netter, ein grauenvoller Tugendbold „in wirklich guten Zeiten“.

Ganz große Oper: Der Auftritt des Universalkünstlers Karl Friedrich Schinkel im Kulturforum. Ein Phantast, ein Besessener, ein Poet und Ästhet, Praktiker, Erzieher des Menschengeschlechts, der „Spree-Athen“ und „Preußisches Arkadien“ erdachte. Ein Vorbild. Ein Pflichttermin für Umweltgestalter aller Art. Ich wünsche diesen überwiegend lasch Gestaltlosen wenigstens ein Tröpfchen von Schinkels Schönheitsgeist und Gestaltungskraft. – Seltsamkeit im Foyer: Da steht auf dem edel marmorierten Steinfußboden eine Glasvitrine, drin ein kunstvoll verdrecktes Klobecken, von innen beleuchtet von einer ekel-gelben Glühbirne. Gruß an Schinkel? Gegenwartskunst!

Am Broadway würde diese „Zauberflöte“ monatelang tagtäglich ausverkauft laufen. Doch diese wahrlich genialische Mozart-Inszenierung von Barrie Kosky zusammen mit den nostalgischen britischen Supershow-Performern namens „1927“ (Suzanne Andrade, Paul Barritt) sowie der Ausstatterin Esther Bialas ist eine Produktion des subventionierten, damit für Vielfalt sorgenden Repertoiretheaters, das hier, an der Komischen Oper, wieder einmal zeigt, wozu diese wunderbare abendländische Erfindung fähig ist. Denn allein der technische Aufwand dieser hoch artifiziellen wie herzlich volkstümlichen Arbeit ist irrsinnig ‑ und frappierend zugleich. Sie steht mit ihrem Witz, Tiefsinn, Charme und ihrer Chuzpe Mozart nicht nach – und auch nicht in der Überfülle ihrer Einfälle. Ein großartiges Menschen-Welt-Theater, das Kintopp, Spiel und Musik wundersam in eins bringt – womöglich schon jetzt die Inszenierung des Jahres. Und mit Sicherheit ein Dauerbrenner, zu dem im Wortsinn alle Welt pilgern wird. Ich wünschte, unser Verein könnte eine ganze Vorstellung ordern – so wird man sich um die Karten kloppen müssen.

Zum Finale noch ein heftiges Warnblild, wenn auch nicht derart finster wie „Sommergäste“. Es geht um Bienen. Sie sind schön, fleißig, hoch organisiert und gelten nach Rindern und Schweinen als drittwichtigste Wirtschaftstiere. Doch ein kaputtes Immunsystem, Pestizide, Milben und genetische Depression sind dabei, unserer braven Honigbiene den Garaus zu machen. In Teilen Chinas gibt es schon kein Gesumm mehr, da bestäuben menschliche Arbeitskolonnen in Handarbeit die Obstbäume ‑ ein globales Verhängnis nimmt leise seinen Lauf. Davon erzählt Markus Imhoof in seinem grandiosen Dokfilm „More Than Honey“. Und bringt mit spektakulären Innenansichten gefährdeter Bienenstaaten sozusagen eine Schicksalsfrage der Menschheit auf die Leinwand. Ein Film als stechendes Menetekel; schließlich warnte schon Einstein: Sterben die Bienen, sterben später die Menschen. Trotzdem: Ihnen allen ein guten neues Jahr!

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