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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 152

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

22. Dezember 2015

Deutsches Theater/Kammerspiele


Na also, geht doch. Das Deutsche Theater kann nicht nur Pop und protzt nicht nur mit von allen guten dramaturgischen Geistern verlassenem Jugendwahn, der modische Dekonstruktionen bis ins Alberne, ja bis in die Blödigkeit treibt. Das DT zeigt jetzt in seinen Kammerspielen mit Iwan Turgenjews „Väter und Söhne“ gutes, gern als „alt“ oder „verstaubt" verspottetes Literaturtheater. Und siehe da: Es ist lebendig, spannend, gefühlvoll, erkenntnisreich und funkelt völlig staubfrei - weil gekonnt! - wie neu. Dabei passiert es gar nicht im althergebrachten Guckkasten, sondern inmitten des Publikums: Die Spielfläche wird gerahmt von Zuschauertribünen, und die opulente Schar der Spieler harrt am Spielfeldrand auf ihre Auftritte. Kein platter Gag der Regie, sondern in diesem (seltenen) Fall eine Intensivierung der Kommunikation zwischen Spielern und Zuschauern.

 

Das höchst erstaunliche Regietalent Daniela Löffner entfesselt mit „Väter und Söhne“, dem Roman des Russen Iwan Turgenjew von 1863, den der Ire Brian Friel 1997 für die Bühne adaptierte, ein wundersam herrliches, herrlich komisches, zuweilen auch todtrauriges Menschentheater; ein weit gefächertes Ensemblestück, mit zarter fester Hand stimmig-stimmungsvoll und doch frei von Samowar- oder Wodkaseligkeit präzise ausgebreitet, hin skizziert. Dabei wird die epische Breite der (vielleicht allzu) ausladenden Konversationen raffiniert pointiert mit musikalischen Intermezzi und klug gegliedert in ein Leporello konzentriert gebauter dramatischer Szenen über Liebe und Leid, Fassen und Lassen, Sehnsucht und Resignation. Da wirkt nichts schwerfällig, alles bleibt federnd leicht und doch gewichtig und vielschichtig. Ein Kollektiv von 13 Könnern kunstvoll an- und ausgestellt. Das rührt an und regt auf; das schlägt aber auch hart aufs Herz und scharf ins Hirn.

 

Es sind zwei ineinander verwobene Familiengeschichten, die da in immerhin gut vier Stunden (einschließlich Pause) ausgebreitet werden; man muss sich drauf einlassen wollen und man wird nicht enttäuscht sein. Zugegeben, wäre alles eine reichliche halbe Stunde kürzer, wäre es auch noch sehr gut gewesen… – Es sind da also zwei Studenten, angefressen von jugendlichem Radikal-Nihilismus und sonstigen flink angelesenen Daseinserklärungsmustern: Arkadij (Marcel Kohler, ein ellenlanger Schlacks, gutmütig grundiert) und Bazarow (Alexander Khuon, ein klemmig in sich wütender Knurrhahn, aber allseits gepriesen als genialischer Zampano, der seinem Ruf als viriles Rundum-Faszinosum leider nur schwer gerecht wird). Die zwei nassforschen Jungakademiker kommen aus der großen Stadt in die Sommerferien heim zu ihrer beider Sippen auf dem Lande, wo das wahre Leben lodert, glüht, verglüht und dümpelt. Großstadtschnauze und idealische Intellektuellenbesserwisserei knallen auf pragmatische Provinz. Das führt zu viel, viel weiser oder bloß dämlicher Rederei über Gesellschaftliches, Soziales, Politisches, Religiöses, über Kunst und Daseinssinn – also über Gott und die Welt. Und zu allerhand Liebelei aber auch Liebe, zu Auf-, Um- und Zusammenbrüchen. Das Private immer auch insgeheim und ohne jedwede Zeigefingerei als Zeichen für Gesellschaftliches...

 

Reichlich Stoff fürs Nachdenken; reichlich Futter fürs Spiel des Lebens. Es gibt reichlich Gelegenheit, das potente Ensemble zu bewundern sowie die Löffnersche Kunst, es zum Blühen zu bringen. Bloß ein paar Sätze, eine Bemerkung, ein Zusammenkommen, und schon steht ein Psychogramm, wird eine Figur lebendig. Einfach toll, was Bernd Stempel und Katrin Klein, Helmut Mooshammer und Lisa Hridina, Franziska Machens, Kathleen Morgeneyer oder Elke Petry zaubern. Eben einfach komplizierte Menschendarstellung. Großes, komödiantisch wie wehmütig entfaltetes, dabei dichtes Schau-Spiel. Ein feines Weihnachtsgeschenk des Deutschen Theaters. Man sollte es nicht links liegen lassen; aber man muss sich die Muße dafür nehmen. (wieder am ersten Weihnachtsfeiertag, dann am 2., 10., 11., 20. Januar)

Weihnachten rasend und krachend im Admiralspalast mit STOMP -

Sie machen es mit Kehrbesen, Autoreifen, Müllschluckern, Bierbüchsen, Kaffeebechern, Zeitungspapier, Schaufeln, Einkaufswagen aus dem Supermarkt, mit Fingerschnipsen, Händeklatschen, Zungeschnalzen, mit Plastiktüten, Bällen, Abfalltonnen, knirschendem Sand unter den Schuhsohlen und mit Füßestampfen oder den Blechbecken der Einbauküchenspüle. All das sind die wundersamen Instrumente für eine mitreißende Percussion-Show namens „STOMP“. Wer dachte, die Stomper machen bloß Krach, liegt total daneben. Die sechs Männer und zwei Frauen imaginieren vielmehr Kammermusik und großes Orchester, sie rocken ihre Leiber, geben Clownerien und winzig witzige Sketche – alles ganz simpel mit Materialien quasi von der Mülle. Wirkt wie aus dem Hut gezaubert, ist doch grandios choreografiert und perfekt inszeniert. Toller Zirkus, präzise Show.

 

Es fing an vor gut drei Jahrzehnten im britischen Brighton: Mitglieder der Straßenband Pookiesnackenburger und der Off-Theatertruppe Cliff Hangar kamen zueinander und ertüftelten eine so verrückt naive wie kunstvolle Show aus Comedy, Zirkus, Artistik, Sport und Tanz. STOMP wurde zur Marke für Fantasie, Poesie, Charme, für eine faszinierende Geräuschkulisse. Seither hagelt es Preise, gibt es Tourneen in alle Welt. Nun macht die Stomperei mal wieder Station in Berlin. Und verbreitet neunzig Minuten lang Superlaune als feinste Familien-Unterhaltung. (bis 31. Dezember)

Weihnachten aufregend und dennoch unerhört besinnlich mit Ulrich Matthes -

Lumpi ist ein schnöder Köter, der durch Moskaus Straßen streunt. Bis er in die Fänge von Professor Preobraschenski gerät. Der geniale Chirurg schnappt sich das wüste Tier und operiert es um zu einem nicht weniger wüsten Menschen, indem er dem Hund Hypophyse und Hoden des verstorbenen Suffkopps Tschugunkin einpflanzt, ein Tunichtgut, der sich mit seiner Balalaika versoffen in Kneipen herumtrieb. Klar, dass dieser Neu-Mensch Lumpikow nicht viel besser ist als das Vieh, das er zuvor war. Doch hat er sich einen herrlich gewitzten, scharfen, tierisch nüchternen Blick auf die Verhältnisse der Menschen bewahrt.

 

Michael Bulgakow schrieb anno 1925 die so anspielungsreiche Groteske „Hundeherz“. Sie sollte das Dogma von der Erschaffung des so genannten neuen Menschen durch die Sowjets bloßstellen, greift aber weit darüber hinaus als eine köstlich und grausam aberwitzige, (leider) immergrüne Satire auf unser eher schlimmes, abgründiges Menschsein überhaupt. Alexander Nitzberg, Übersetzer des surrealen Bulgakow-Klassikers „Meister und Margarita“, hat auch „Hundeherz“ ins Deutsche übertragen; doch es heißt jetzt trefflich und weitaus sarkastischer „Hündisches Herz“ (und aus dem Hund Bello wurde ein Lumpi und mithin sprachlich griffiger ein Lumpikow). Und was da erst Lumpi und dann Lumpikow so alles treiben, erleben, beobachten, kapieren, bringt der große Schauspieler Ulrich Matthes mit staunenswert sprachlicher Virtuosität in unsere Gehörgänge und Gehirnwindungen. Ein unglaublich spannendes und amüsantes, unseren Alltag, ja unser Dasein überhaupt erhellendes Erlebnis. Geschlagene 268 Minuten lang. Durch das Hörbuch mit vier CDs aus dem Sinus Verlag für 39,80 Euro. Wer noch kein rechtes Weihnachtsgeschenk hat, nun aber los! – Und: Allen ein frohes Fest!!

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