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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 148

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

23. November 2015

Theater Strahl


Es ist ein Schatz, nur die große Berliner Kulturpolitik hat wohl noch nicht recht kapiert, dass man ihn – so wie die Zeiten sind und werden – immer besser hüten und pflegen muss. Gemeint ist das Theater Strahl – der seltsame, nicht sonderlich glückliche, wenig werbewirksame Name basiert auf dem Familiennamen des Gründers, der das privat geführte „Theater für Jugendliche ab 12 Jahren“ (sein Alleinstellungsmerkmal in Berlin) anno 1988 ins Leben rief in der Martin-Luther-Straße 77 (zwischen den U-Bahnstationen Eisenacher Straße und Bundesplatz).

 

Man will, so die selbstgestellte hohe Aufgabe, Jugendliche für Theater begeistern und zugleich erzieherisch wirken, damit sie „kritisch und lebensbejahend ihre Zukunft in die Hand nehmen“. Also Sensibilisierung fürs Poetische und damit einhergehend fürs Politisch-Soziale, fürs Emanzipatorisch-Selbstbestimmte. Und nicht zuletzt haben da die Strahl-Leute unter ihrem rührigen Chef Wolfgang Stüßel den integrativen Aspekt ihres künstlerischen Tuns im Blick, der gerade jetzt so eminent an Bedeutung gewinnt hinsichtlich der „Flüchtlingsarbeit“ (wie wir das mal hier ganz unpoetisch nennen). So gesehen wird das Theater bestens seinem Namen gerecht – eben als „Strahler“, der (Dunkles) belichtet. Und der wärmt.

 

Seltsam nur, dass dieses pädagogisch so – sagen wir mal – wertvolle Institut um jeden Cent kommunaler Förderung derart ringen muss, dass es schon demütigend wirkt. Für diverse Tempel der so genannten Hochkultur hingegen sitzt das Fördergeld locker und wird vergleichsweise großzügig um nicht zu sagen geradezu unglaublich verschwenderisch gewährt. Warum ist das so? Warum eigentlich, so die bohrende Frage, wird die „Basis“ so extrem kurz gehalten? - Stüßels Kollege vom ATZE-Musiktheater für Kinder, Thomas Sutter, redet Klartext: Es sei die "permanent manifeste Kinderfeindlichkeit" in unserer Gesellschaft, die verhindere, dass Kinder- und Erwachsenentheater so ungleich behandelt würden.

 

Das „Strahl“ ist natürlich sehr viel mehr als eine reine Soziowerkstatt, was immerhin ja auch schon allerhand wäre. Das "Strahl" ist zwar stets Podium, Debattenklub, Streitraum oder coole Partyhöhle, zugleich ist es aber auch professioneller Kunstbetrieb, Zauberküche, Wundermaschine, Traumhaus, ästhetisches Labor. Da werden neue Formen probiert, wird experimentiert mit Medien, Musik, Masken, Puppen, Tanz. Eine Werkstatt, in dcr hoffnungsvolle Profi-Talente frisch von den Theaterschulen zusammenkommen mit Laien, also Schülern, die den neuen Stücken zuarbeiten. Kollektive Entwicklungsarbeit unter Führung des Regisseurs. Für nicht wenige Jugendliche ein womöglich lebenslang prägendes Erlebnis!

 

Ich verhehle nicht, dass ich schon allein deshalb begeistert bin von den „Strahlern“, weil hier ein Grundstein für das Theater- oder überhaupt das Kunst-Publikum von morgen gelegt wird. Schließlich ist es keine leere Ansage, dass ohne kulturelle und künstlerische Bildung, ohne musische Animation der Grips verkümmert, das Leben kalt und roh wird. Und weil die staatlichen Bildungsvorgaben diesbezüglich immer dürftiger ausfallen, ist die Arbeit der „Strahler“ so eminent wichtig, ja lebenserhaltend für eine – hochtrabend gesagt – menschliche Zukunft unserer Gesellschaft.

 

Nun der Praxistest: Ich erlebte die Premiere von „Sommer Nacht Traum“, ein Shakespeare-Comic nach Williams großer Tragikomödie „Sommernachtstraum“. Der Klassiker intelligent verkürzt (ein Gymnasium werkelte mit) aufs verrückte, durch Kobold Puck mit Rauschmitteln aufgeputschte Sex-Treiben des Kleeblatts Athener Teenies (Lysander, Demetrius, Herminia, Helena). Im Flyer sind die Themen aufgelistet, die hier in diesem sagen wir Shakespeare-Digest verhandelt werden, damit auch literaturferne Menschen rasch begreifen, worum es in etwa geht: Da steht „Verliebtsein und Liebe, Wunsch und Wirklichkeit, Ideale, Erwachsenwerden, Adaption eines Klassikers“. Nun weiß ein jeder Lehrer Bescheid, wenn er den behördlichen Antrag stellt für kollektiven Theaterbesuch.

 

Es stimmt, was da die „Strahler“ für Erziehungsberechtigte und pädagogisches Establishment theoretisch annonciert haben. Um es kurz zu sagen: Es war ein furioser, kraftstrotzender Premierenabend voller Krawall und Klamauk, Euphorie und Enttäuschung, Schrecken und Sentiment. Enormer Körpereinsatz, großes Innehalten, wenn es um die ach so blutenden und sehnsüchtig schmachtenden Herzen geht. Bewundernswert! Voller Liebe, trotz der furchtbaren Gewalt der Irren und Wirren. Der erste Aufruhr der Gefühle ist so schön-schrecklich heute wie zu Shakespeares Zeiten – wie seit Menschengedenken überhaupt. Das Publikum, alles Schülerinnen und Schüler, darunter noch paar alte Kritikaster, es rast und pfeift. So muss Theater für Teenager sein! - Eltern, Großeltern, schnappt Euch Eure Gören und eilt ins Theater Strahl.

„Sommer Nacht Traum“ wieder am 1.12. / 11 und 19 Uhr; 2.12. / 11 Uhr; 3.12. / 11 und 18 Uhr; 4.12. / 10 Uhr; 26. Januar 2015 /11 und 19.30 Uhr; 27.1./ 11 Uhr.

Schaubühne

Eigentlich passt alles prima: Das wie immer großartige Profi-Ensemble als komödiantisch starkes Rückgrat der Veranstaltung (allein schon das hinreißende Komiker-Trio Beyer-Ruland-Schwarz!, den Herren wäre ein eigener Abend zu gönnen). Daneben ein Laienchor aus Zeitzeugen, dazu fleißige Geschichtsrecherche, die witzige Details entdeckt, sowie viel flotte Musik. Und: Ein tolles, für diese Bühne auf der Hand liegendes, ja geradezu nach ihr, dieser genuin West-Berliner Theatergründung schreiendes Thema: „Westberlin“ (hier seltsamerweise in der DDR-offiziellen Schreibweise ohne Bindestrich).

 

Es ist nun schon zwei Jahre her, dass der Schaubühnen-Chef Thomas Ostermeier den geistreichen kabarettistisch-musikalischen Großunterhalter Rainald Grebe beauftragte, ein Projekt auszutüfteln zur 44 (oder je nach Sichtweise 26) Jahre währenden Geschichte dieser hoch subventionierten und tapfer verteidigten Insel westlicher Freiheit inmitten der DDR.

 

Grebe, ein Lehrersohn aus dem Nest Frechen bei Köln, studierter Schauspieler und erfahrener Theatermann, ist trotz deppertem Dauerblick und näselndem Singsang eine eloquente, sogar als sexy geltende und flott in die Klaviertasten hauende Rampensau. Mit seiner „Kapelle der Versöhnung“ füllt er nicht nur allein mit bösen Hymnen auf Brandenburg oder Prenzlauer Berg ganze Stadien. Dieser Tausendsassa der Szene firmiert längst unter Kult – hat aber, Jahrgang 1971, mit West-Berlin eigentlich nix am Hut. Kam er doch erst nach der Wiedervereinigung in die nunmehr mauerlose Stadt zum Studium an die Busch-Hochschule, ging jedoch alsbald wieder fort ans zwar kleine, ziemlich innovativ arbeitende Theaterhaus Jena. Vor zehn Jahren kehrte er dann zurück in die Hauptstadt – und blieb.

 

Der Blick des geborenen Provinzlers (und Entertainers) auf die Metropole, zumindest auf deren schillernd westlichen Teil, mag besonders erhellend und amüsant sein, dachte sich schlaumeierisch Direktor Ostermeier vor wie gesagt zwei Jahren schon. Doch was lange währt, wurde nicht gut. Denn Grebes „Westberlin“- Projekt ist weder eine schmissige Polit-Revue noch eine den Himmel wie die Hölle dieser sagenhaften Halbstadt schlagend besingende Show. Es ist vielmehr ein ausführliches, dabei freilich moderat amüsierendes Lehrstück für absolute Neulinge bezüglich Berlin-Geschichte. Vielleicht lag das daran, dass Grebe in historisch korrekter Beflissenheit allzu viel Zeit hatte für die Recherche. Verliebt in die Fülle des Materials versank er in ihr, anstatt eine eigene Sicht, eine eigene Meinung auf dieses kuriose, tragische, grelle W-Berlin mit seinen Großschnauzen, Lebenskünstlern, seinen verlorenen Existenzen, seinen Absahnern, Drückebergern, Glücksuchern, Utopisten und Subventionskönigen griffig zu formulieren. Die kommen zwar alle, alle irgendwie vor, aber eben bloß als Stichwort. Keine einzige dieser Typen bekommt eine Kontur. Auch entsteht nicht wirklich ein stimmiges „Westberlin“-Feeling; da blitzen höchstens und immer mal wieder bloß kleine Fühligkeiten auf.

 

Warum bloß sah die erfahrene Dramaturgin Maja Zade tatenlos zu, wie dieser Etepetete-Laienhistoriker alles aber auch alles politisch und sozial West-Berlinische in sein immer redundanter werdendes Projekt zwängt, anstatt zu konzentrieren und pointieren. Stattdessen einige durchaus pfiffige Szenen im Wechsel mit Banalitäten; gelegentlich geschliffener Text überwuchert von Gelaber und Wiederholungen von sattsam Bekanntem. Eine schier endlose Typenparade, lustig kostümiert. Der wahrlich spektakuläre Zeitgeist aus Frontstadt, Schaufenster, Gewalt von oben und unten, aus Aufbruch ins Utopische, aus selbstgefälliger Einigelei, Glamour, Luxus, viriler Lebensgier und fantastischer Kunstlust und nebenbei elender Trostlosigkeit kommt nie auf einen packenden Punkt. Kein Drama, keine Groteske, keine Komödie – flauer Mischmasch; ein Projekt eben. Weder für Kenner noch für Liebhaber, vielmehr für Leute, die dieser schönen, schön ruppigen Stadt eher fern stehen, sich aber ein bisschen, ein bisschen touristisch für sie interessieren. Das hat im Theater eigentlich nichts verloren, gehört eher in die Volkshochschule. (wieder vom 23.-26. 11. und vom 29.-30. November)

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