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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 145

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

2. November 2015

Maxim-Gorki-Theater


Das Gorki macht auf Berghain, Club, Szene, dass es nur so dröhnt, dampft, tobt, blitzt. Und immer super sexy. Großer Hingucker, wogegen nix zu sagen ist. Wäre da nicht noch ein Stück angekündigt, gar eine Uraufführung: nämlich die Adaption des neuen Romans von Olga Grjasnowa; sein beamtig brav klingender Titel: „Die juristische Unschärfe einer Ehe“ (bald als Taschenbuch bei dtv für 9,90 Euro). Doch die vielfach ausgezeichnete Autorin erzählt jenseits von Bravheit in bizarr flirrenden Bildern vom Herz-, Kopf- und Nervenflimmern einer stürmisch nach Abenteuer, Freiheit (und Freizügigkeit) drängenden, dabei sich selbst suchenden Jugend, von ihren Hormonexplosionen, ihren Irrungen und Wirrungen sowie von einem konfliktreichen Wechsel zwischen politisch-kulturell höchst gegensätzlichen Welten.

 

Olga Grjasnowa wurde 1984 in Aserbaidschan geboren und kam als Tochter so genannter jüdischer Kontingentflüchtlinge im Kindesalter mit der Familie nach Deutschland. Schon ihr Debütroman mit dem fein ironischen Titel „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ wurde ein packender Hit, betörend poetisch und beklemmend realistisch zugleich; eine genaue, großartige, auch traurig-schwermütige und dabei beglückend liebevolle Menschenschilderung. Seither gilt die Dreißigjährige als Großtalent unserer jungen Gegenwartsliteratur. Yael Ronen brachte den Erstling in einer wunderbar leichten, musikalisch betörenden Inszenierung auf die Gorki-Bühne – sie gehört nach wie vor zum Besten, ja Allerbesten, was derzeit das Berliner Theater zu bieten hat.

 

Jetzt nahm sich Regisseur Nurkan Erpulat Grjasnowas „unscharfer“ Ehegeschichte vor; wobei das Ungeschärfte die sexuelle Orientierung der Protagonisten zwischen schwul, lesbisch und bisexuell umschreibt. Erpulat, zu Recht gefeiert als Jungstar unter den Regisseuren, der von Anfang an auffiel durch eine fantasiereiche, exzessive Bildsprache, blieb bei seiner Bühnen-Fassung für den Grjasnowa-Roman ganz auf seiner Linie: eben exzessiv und bildmächtig.

 

Da geht es um eine Balletttänzerin (Moskauer „Bolschoi“!), die sich in eine Kollegin verliebt und „zur Tarnung“ einen schwulen, aus Baku stammenden Psychologen heiratet. Die Probleme im Beruflichen (die Knochenmühle Tanz) sowie im Privaten (die Ehe, die schwul-lesbische Mischung, die außerehelichen Eskapaden) und obendrein die Probleme mit intoleranten Gesellschaften (Russland, Aserbaidschan) – sie alle sind enorm. Auch die Flucht ins libertinäre Berlin (das auch seine Zwänge hat) macht die Sache nicht einfacher. Doch von den sozialen, moralischen, politischen Kompliziertheiten dieser juristisch unscharfen, besser gesagt: moralisch schwer getrübten Ehe kommt in Erpulats Inszenierung nicht allzu viel rüber. Oder anders gesagt: Sie werden heftig überlagert vom raffiniert kalkulierten, handwerklich perfekt organisierten und mithin wirkungssicheren Aktionismus, eben vom grell ausgestellten Furor der Jugend. Und wahrlich: Das Artistische der vier Akteure Mehmet Atesci, Mareike Beykirch, Lea Draeger, Taner Sahintürk ist hinreißend! Sie agieren unglaublich kraftvoll, stellen eine extrem erhitzte Atmosphäre her, die wiederum – ja, das auch! – kontraststark durchsetzt ist von komischen Momenten, vor allem aber von solchen einer großen Erschöpfung, einer tiefen Leere und schier existenziellen Ratlosigkeit. Pathos, Satire, Melancholie und Trostlosigkeit im irren Wechsel. Eine Raserei zwischen gegensätzlichen Welten und Befindlichkeiten. Ein Bilder-Puzzle vom Wahn und Wehe, vom wilden Treiben und schmerzlichen Getriebensein der Jugend zwischen Desorientierung und Sehnsucht nach Heimat und Geborgenheit; reißerisch gemacht, wenn auch ziemlich plakativ, demonstrativ und letztlich allzu sehr an Oberflächlichkeiten klebend. Dabei bleibt ungenutzt, was die vier tollen Spieler – da blitzen immerhin Möglichkeiten auf als tolle Schauspieler alles hätten zeigen können an psychologischen Subtilitäten, an wirklich fesselnder Menschendarstellung. (wieder am 3., 5. November)

Staatstheater Cottbus / Tipp für einen prima Opernausflug

Zunächst ein kleiner Exkurs in die Operngeschichte. Wie viele Musiker seiner Zeit ging auch Gaetano Donizetti irgendwann einmal schließlich nach Paris. Der aus Bergamo stammende und in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsene Komponist war da freilich schon 41 Jahre alt und ein berühmter Mann. Und zudem einer der fleißigsten seiner Zunft – am Ende seines Lebens, er hatte nur noch zehn Jahre, bevor ihn 1848 die Syphilis hinwegraffte, liegen rund 600 Werke von ihm vor, darunter 75 Opern und 16 Sinfonien. Heinrich Heine lästerte bewundernd, Donizettis kreative „Fruchtbarkeit“ übertreffe noch die von Kaninchen. Inzwischen gilt er neben Rossini und Bellini als Dritter im sagenhaften Trio der bedeutenden Belcanto-Komponisten.

 

Doch zurück ins Paris von 1838. Ein super Auftrag hatte ihn in die Stadt gelockt; aber eben auch der hohe künstlerische Standard und die opulente Ausstattung des dortigen Opernbetriebs sowie üppige Honorare und eine vergleichsweise freizügige Zensurpraxis. Hinzu kamen private wie berufliche Schicksalsschläge, die ihn aus Italien trieben: der Tod seiner Frau Virginia, seine miese Entlohnung am Konservatorium in Neapel, das ihm obendrein den Direktionsposten verweigerte, sowie das Aufführungsverbot seiner Oper „Poliuto“ durch die neapolitanische Zensoren. In Paris hingegen stand der Auftrag für zwei Opern, die er teils schon fertig geschrieben hatte.

 

Doch dann kam es überraschend anders: nämlich ein neuer Auftrag. Aus Teilen von vorhandenen, ganz unterschiedlichen Opern bzw. Opernfragmenten Donizettis soll er eilends unter dem Titel „La Favorite“ ein völlig neues Werk formen unter Mithilfe von maßgeblichen Librettisten, darunter der berühmte Literat Eugène Scribe. Die Handlung ist voller Intrigen, Herz und Schmerz; spielend in spektakulär gegensätzlichen Milieus (Kloster, Königshof): Der Novize Ferdinand verlässt aus Liebe zu einer Frau das Kloster und gerät dadurch ins böse Intrigenspiel von Kirche und Staat; weil: seine Herzensdame entpuppt sich als Mätresse des Königs (deshalb „Die Favoritin“ und nicht „Ferdinand“ als Titel). - Alle Figuren sind also leidenschaftlich verhakt in einem Netz aus lustvoller Neigung und harter Pflicht, aus Religion, Staatsraison und persönlichem Ehrenkodex.

 

In den vier Akten seiner 63. Oper vollbringt also Donizetti durch die Neuformung des Arbeitsauftrags das tolle Kunststück, kontrastierende Teile von Kompositionen im (neu modischen) französischen und (älteren) italienischen Stil in eins zu bringen, in ein homogenes Ganzes – als tragische Belcanto-Oper á la francaise. Der Musikwissenschaft gilt die singuläre, interpretatorisch-technisch höchste Ansprüche stellende Stil-Synthese als eine der geschlossensten und ausdrucksstärksten musikdramatischen Leistungen Gaetano Donizettis. Der legendäre Dirigent Arturo Toscanini nannte sie „durchweg schön; der letzte Akt aber: jede Note ein Meisterwerk“. Uraufführung war am 2. Dezember 1840.

 

Erstaunlicherweise wird dieses herrliche, so herzbewegende wie spannende Meisterwerk kaum gespielt im deutschsprachigen Opernbetrieb; womöglich auch auf Grund seiner enormen künstlerischen Anforderungen, die eine optimale Besetzung eben nicht leicht macht (an der Deutschen Oper Berlin gibt es noch in dieser Spielzeit am 2. und 5. Dezember eine konzertante Aufführung mit Elina Garanca und Joseph Calleja, Florian Sempey).

 

Umso verdienstvoller und auch wagemutiger ist jetzt die Produktion dieser kostbaren Rarität am Staatstheater Cottbus, das vor drei Jahren schon bejubelt wurde bei Donizettis Belcanto-Hit „Lucia di Lammermoor“. Die Direktion des allein schon architektonisch herrlichen Hauses (reiner Jugendstil) fällt immer wieder auch überregional auf durch im dramaturgischen wie ästhetischen vorbildliche Leistungen („Elektra“, „Alcina“). Und jetzt also „Die Favoritin“ (in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln), intelligent gefasst, mit schlüssiger, den Suspense fein auskostender Regie von Martin Schüler, die das Sujet in seinem historischen Kontext belässt, es also nicht aufdringlich aktualisiert, sondern in vernünftig abstrahierter Form frei von Schnörkelei präsentiert in vielen schönen Schaubildern (Bühne: Hans-Holger Schmidt; Kostüme: Susanne Suhr). Und dazu, ganz wichtig: Eine prima Besetzung (Marlene Lichtenberg, Alexander Geller und Ciprian Marele / Gast als Alphonse XI., König von Kastilien). Das Philharmonische Orchester (Ivo Hentschel) sowie der Opernchor (Christian Möbius) sind selbstredend in Hochform. Ein herrlicher Abend, ein großer Abend nicht nur für Cottbus. Man sollte nicht versäumen, in zwei Stunden mit der Eisenbahn hin zu fahren; auch zurück etwa nach Berlin schafft man bequem den Regionalzug. (Wieder am 27. November 19.30 Uhr. „Elektra“ am 15. November; „Alcina“ am 21. November.)

Renaissance-Theater / Jubiläum

Serge hat sich ein Bild gekauft. Ein weißes Bild mit weißen Streifen. Für 200.00 Franc! Die extrem teure, gestreifte weiße Leerstelle ist der Auslöser zum einen für eine bis weit ins Satirische getriebene Kunstbetrachtung, zum anderen für das Auseinanderbrechen der alten Freundschaft von drei älteren Herren. Die französische Star-Autorin (mit persischen Wurzeln) Yasmina Reza wurde weltberühmt mit ihrem Stück „Kunst“, dieser sarkastischen Groteske auf den modernen Kunstbetrieb, in der zugleich eine bitteres Männerdrama steckt. Es wurde 1994 in Paris uraufgeführt und seither in einem Halbhundert Sprachen gespielt. Am 29. Oktober 1995 kam die tragisch gerahmte Konversationskomödie – ein Fest für Schauspieler! – an der Schaubühne unter Regie von Felix Prader als deutschsprachige Erstaufführung heraus: Mit Udo Samel, Gerd Wameling, Peter Simonischek. Es folgten mehr als 400 ausverkaufte Vorstellungen, Fernsehaufzeichnung und Gastspiele in aller Welt. Im Jahr 2000 übernahm das Renaissance die legendäre Produktion und feiert nunmehr am 8. November, 18 Uhr, ein denkwürdiges Jubiläum: Nämlich 20 Jahre „Kunst“ mit Samel, Wameling, Simonischek. Es zählt mit großem Abstand zum Besten, was das Hauptstadt-Schauspiel gegenwärtig hat! (Noch einmal am 9.11, 20 Uhr. - Übrigens: Im Hans-Otto-Theater Potsdam probt gerade Intendant Tobias Wellemeyer „Kunst“, Premiere ist am 21. November.)

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