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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 140

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

28. September 2015

Hans-Otto-Theater Potsdam


Deutsche Kleinstadt, das Freibad draußen vor dem Tor, die Wärme einer Sommernacht und eine Clique erhitzter Teenager; einige von ihnen mit türkischem Hintergrund, andere aus der angestammten Oberschicht. Und weil es so lind und lau ist „wie im Paradies“ und weil alle so herrlich jung und unbeschwert sind, übersteigen sie alle Zäune – die vom Schwimmbad, die der Herkunft, Bildung, Kultur, Religion - und tauchen ein ins „schwarze Wasser voller Sterne“. Unbeschwert all ihrer unterschiedlichen Prägungen feiern sie zwischen Freibad, Kebab-Bude und Roxy-Bar ihre Jugend, kommen sich eine magische Nacht lang unglaublich nahe, bis der helle Tag sie wieder trennt und einen jeden zurück wirft in sein Milieu. Dieses tolle Sommernachtsfest allgemeiner Entgrenzung und Verbindung, das war einmal. Vor zwanzig Jahren. Jetzt haben sich die glückseligen Sommermärchenkinder von damals wieder getroffen, nachdem ein jedes von ihnen – inzwischen abgeklärt seinen scheinbar vorprogrammierten sozialen Weg tatsächlich gegangen ist: Die Oberschichtler kamen in Kanzleien und Direktionsetagen, die Türkischstämmigen ins Handwerk oder an die Kasse im Supermarkt. Die sagenhafte Teenager-Party ist nur noch bittersüße Erinnerung…

 

Roland Schimmelpfennigs fantastisch-reales Stück „Das schwarze Wasser“ ist eine kompliziert komponierte Collage zwischen Utopie und Ernüchterung. Es eilt wieselflink hin und her zwischen euphorischem Einst und sarkastischem Jetzt, verschachtelt die Zeiten bis an die Grenze zur Unverständlichkeit. Da ist alles Sprache, es gibt keine festen Rollen, keine durcherzählten Geschichten, keine chronologische Ordnung. Der Autor, einer der fleißigsten und meistgespielten im Lande, nennt sein skizzenhaftes, mosaikartiges, ganz auf die Assoziationsfähigkeit des Publikum setzendes Theater ein „narratives“. Man muss also höllisch aufpassen, um die komprimierten Zusammenhänge und das Wer-ist-wer und das Wer-hat-zu wem gesprochen zu kapieren. Und das bleibt ein Problem…

 

Der große Jürgen Gosch hat einst einige Schimmelpfennig-Stücke am Deutschen Theater als ausgeklügelt komponierten Flickenteppich saftig realer, also ganz konkreter, dabei hoch konzentrierter Kurzszenen inszeniert (hinreißend!). Ähnlich verfuhr Regisseur Burkhard C. Kosminski zur Uraufführung von „Das schwarze Wasser“ kürzlich in Mannheim. Jetzt in Potsdam nahm Elias Perrig den entgegengesetzten Weg: Die sechs großartigen Darsteller blieben allesamt strikt abstrakt im Hörspiel-Modus. Dramatik hier Fehlanzeige! Die Regie setzt in den 75 Minuten reinen Redens alles auf sprachlichen Ausdruck - an der Rampe auf fast leerer Bühne. Ein Hochleistungsakt, der mit Bravour durchexerziert wurde. Und der zugleich die Schwäche des Stücks drastisch offenlegte: Seine Klischeehaftigkeit; dazu seine vielen, auf Dauer nervenden und doch nur flüchtig erklärenden Einschübe, welche der arg schablonenhaften Figur da gerade zu uns spricht (es gibt ja keine konkreten „Rollen“). Trotz der Kürze langweilt dieser Abend auch wegen seiner plakativen Schlichtheit, mit der hier das komplizierte Verhältnis zwischen „Biodeutschen“ und „Zugewanderten“ angerissen wird. Womöglich verstärkt gerade der hochartifizielle Zugriff der Regie den fatalen Eindruck, dass da eine gut gemeinte Sozialschmonzette abgespult wird. (wieder am 3. und am 18. Oktober)

Kammerspiele Deutsches Theater

Da tapst das kleine Männchen mit Stock, Schlips, Hut chaplinesk aus dem Zuschauerraum heraus verschüchtert nach vorn: Milan Peschel allein auf der Bühne. Wartend auf Münchhausen, den sein Kollege geben soll, der aber nicht kommt, weil der Schlawiner wohl wieder (die miese Gage) beim Versandhaus Zalando jobbt.

 

Aber es geht ja hier überhaupt nicht um Münchhausen, sondern ums Warten und mithin um die prima Gelegenheit, die Wartezeit aufzufüllen mit einem opulenten selbstdarstellerischen Monolog für einen großartigen Schauspieler – eben für Milan Peschel. Dreißig Seiten hat der Autor (Regisseur und jetzt Stuttgarter Theaterdirektor) Armin Petras dafür vollgeschrieben; zwanzig hätten es aber auch getan.

 

Klar, dass es da ums Theater geht. Um Realitäten und Abbilder („dieses Figurengedingse“), ums Menschsein („das Leben eine Krisenüberprüfungsanordnung“) und ums Rollenspiel als Schauspieler („ein irres Gefühl der werden zu können, den man sich erträumt hat“). Und um Talent und Neugier, Regisseure, Kritiker und Publikum, mit dem man schon mal kollektiv Atmen übt (überflüssig). Oder aus dem man sich jemanden aus der ersten Reihe grapscht, um mit ihm bei Käsebrötchen und Bier auf der Bühne rumzublödeln (noch überflüssiger).

 

Der ziemlich längliche Petras-Monolog trägt den Titel „münchhausen“ allein deshalb, weil das lust- oder leidvolle Schwindeln eine existenzstiftende Grundlage allen Lebens und mithin allen Theaters überhaupt ist - „die Lüge als zentrales Element von dem hier, was wir machen, von unserem Leben überhaupt“, erklärt Peschel. Ist etwas kryptisch formuliert, aber er bringt es total plausibel über die Lippen. Wie auch diesen komisch vertrackten Satz, mit dem er geradezu absurd rumspielt: „Ja, das ist möglich, weil es ja ein Stück über mich, also nicht nur, aber eben auch doch zum größten Teil schon...“

 

Es geht also nicht nur, aber auch und vor allem um Milan Peschel, der da aus dem prall gefüllten (beruflichen) Nähkästchen plaudern darf (Volksbühne, die Kollegen dort, Castorf, Tschechow, Tolstoi). Immer zwischen Parodie, Melancholie, Sarkasmus, Ulk. Dazu köstliche kleine Improvisationen, aus dem Augenblick geborene spielerische Arabesken, die immerhin zu Sternviertelstündchen virtuoser Peschelei werden. Zum Niederknien. Zwischendurch lässt es der Autor immer wieder platt dahin plappern; Peschel überspielt es tapfer, auch wenn er da angestrengt Genet und Nietzsche bemühen muss. Regisseur Jan Bosse hätte mutig mit dem Rotstift arbeiten sollen – zwei Stunden sind hier 45 Minuten zu viel und verhindern, dass dieser Abend wirklich groß wird. Schade. Trotzdem: Den Milan muss man lieben!

(wieder am 16. und am 29. Oktober)

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