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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 135

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

24. August 2015

Vorbei die Sommerpause; ich bin online jetzt wieder bei Ihnen; immer montags neu! Eine neue Saison verspricht neues Glück - und hoffentlich wenig Unglück. Stürzen wir uns also frohgemut wieder ins Getriebe…


Prime Time Theater

 

Ein Weddinger Zentralpunkt ist explodiert: "Chez Ölgür". Weil ein Dussel die defekte zentrale Gaszufuhr mit Bärchenwurst gekittet hat. Die Versicherung zahlt also nicht, und Ahmed Ölgür ist pleite und kaputt. Da wittert der schwäbische Prenzlwichser Uwe Gammerdinger seine Chance, anstelle des türkischen Döner-Verzehrstüble („Döner ist Folter für die Kiefer“) unter Einsatz seines Bausparvertrags endlich eine Still-Oase einzurichten für seine vegane Männerstillgruppe. Doch das ruft das gesamte Figurenpersonal aus 99 Folgen der lokalen Sitcom “Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ im Prime Time Theater auf den Plan. Unter dem Schlachtruf „Weddinger aller Kieze, vereinigt euch“ sorgen sie im Handumdrehen für die glorreiche Wiederauferstehung von Ögürs abgebranntem Dönerland. Wie Phoenix aus der Asche steht der Laden nach 90 abenteuerlichen Minuten und dem schmissigen Absingen verrückten Liedguts am Ende der 100. Folge von „GWSW“ so schön wie nie wieder da in der Müllerstraße 163, direkt neben der U-Bahn-Station.

100 herrliche Ausgaben in zwölf Jahren – die sagenhafte Erfolgsgeschichte eines kleinen, aber fast alles könnenden Ensembles, das einer großen Idee, nämlich kabarettistischem Berliner Volkstheater, zum prallen Leben verhalf. Da vibriert das Plebejische in der Berliner Luft, Luft, Luft – zum Entzücken einer rasend anwachsenden Fangemeinde. „GWSW“ ist Hauptstadt-Kult! Und in der Jubiläumsausgabe, frech frisiert als aberwitzig rockende Musical-Parodie, toben noch einmal all die komisch grotesken Figurenerfindungen von Star-Autorin und Regisseurin Constanze Behrends singend, spielend, tanzend und kalauernd übers Brettl. Zum Finale dröhnt die neue Wedding-Hymne im extra genehmigten Udo-Lindenberg-Sound weit hinaus übern Horizont vom Stadtbezirk. Und bringt das Publikum total aus dem Häuschen.

 

Noch bis zum 25. September, immer donnerstags bis montags zur Prime Time 20.15 Uhr.

 

Draußen und umsonst

 

Sommerfest im Hinterhof von HABBEMA – Bühne der Peter-Hacks-Gesellschaft am 28. August, 18 bis 21 Uhr, Mülhauser Straße 6, Ecke Prenzlauer Allee. Mit viel Musik, Literatur, prominenten Überraschungsgästen sowie mit Futtern und Schlürfen.

Im Mittelpunkt der lauschigen Veranstaltung am Tag von Goethens 266. Geburtstag und von Peter Hacks 12. Todestag stehen „Die Dinge in Buta“ und „Liebkind im Vogelnest“ (von Hacks), fröhlich-nachdenkliche Erzählungen, in denen es um die Welt und wie nebenher auch um den Kapitalismus und den Sozialismus geht sowie um die fundamentale Frage: „Was eigentlich sind Peltonturbinen?“

PS: Gleich noch ein HABBEMA-Tipp für den 1. September, 20 Uhr: Der neue Film „Ein Wendekinderporträt“ von Dörte Grimm; die Dokumentation folgt der letzten Zeitzeugengeneration der DDR, die noch über Erinnerungen an ihre Zeit vor der „Wende“ verfügt. Mit der Regisseurin darf im Anschluss an die Filmvorführung diskutiert werden.

 

Kookaburra Club

 

„Ich geb' meine Busen den Söhnen der Musen…“ – Ein geflügeltes Wort der berühmt berüchtigten Alma Schindler-Mahler-Werfel-Gropius-Kokoschka-Zemlinski-Klimt-und-wie-sie-alle hießen! Sie wurde gepriesen als schönstes Mädel von Wien und bewundert als Furie sowie flippigste Skandalnudel ihrer Zeit, weil angebetet von den tollsten Kerlen, denen Alma sich auf die verrücktesten wie gängigsten Arten hingab. Motto: „Jeder, der ein Künstler ist, will, dass ihn die Alma küsst.“ Und die Alma wollte es auch – voll von Gefühlen, Eitelkeit und Machtgier. Womit das wilde Weib schließlich zu einem hinreißend widersprüchlichen Gesamtkunstwerk wurde voller Schönheiten und Schlimmheiten.

Die Sachlage ist zwar einigermaßen weltbekannt, und doch schafft es das großartige Künstlerduo Nini Stadlmann & Tom van Hasselt, dem Alma-Roman neue Drauf- und Einsichten abzuringen. Die Sänger-Schauspielerin und der Pianist und Dichter offerieren in ihrem süffisanten Zweistunden-Programm „Alma und das Genie“ zum einen eine frivol-ironische Selbstsicht der großen Dame (bei der sich „ich genies“ auf „die Genies“ reimt), zum anderen entrollen Stadlmann und Hasselt einen sarkastischen Dialog über das Subjekt ihrer ironisch distanzierten Bewunderung. Zusammen mit Gesang und mit mal schwärmerischer, mal wuchtiger Klaviermusik kommt da ein packendes Porträt der teuflisch durchtriebenen, himmlisch naiven Göttin namens Alma zustande. Die ganze große feuilletonistisch-literarische Kleinkunst von Polgar, Tucholsky, Kästner bis Hollaender oder Kreisler schwingt mit in diesem musikalisch-literarischen Kabinettstück voller Frivolität, Witz und Ironie sowie gezielt dosiertem Zynismus. Da geht pointiert die Post ab ohne Federboa-Werfen, Wimperngeklimper oder Schmachtaugenverdrehen.

 

Jetzt wieder in Berlin am 25. und 26. August um 20.30 Uhr im Kookaburra Club, Schönhauser Allee 184, Ecke Lottumstraße (Telefon: 48623186).

 

Deutsche Oper/Staatsballett

 

Wer die Plakate übersehen haben sollte, hier meine dringliche Erinnerung: Am 30. August gibt es von 13.30 bis 21 Uhr das Spielzeit-Opening der Deutschen Oper, erstmals gemeinsam mit dem Staatsballett. Damit verbunden: Die tiefen Einblicke ins große Backstage des tollen Hauses; kriegt man ansonsten kaum zu sehen. Dazu Kostproben der Neuinszenierungen, also viel Musik, Gesang und Tanz sowie die Besichtigung von Bühnenbildern, Kostümen, Requisiten etc. Und: Den anwesenden Chefs des Betriebs sowie den Künstlern darf man (kesse) Fragen stellen. Die Freie Volksbühne Berlin ist auch mit einem eigene Stand vor Ort.

 

Gratulation: Gestern feierte die große Berliner Schauspielerin Carmen-Maja Antoni ihren 70. Geburtstag

„Ich war elf und hatte weiße Kniestrümpfe an.“ – Ja doch, sie fing sehr früh an: Als Jungpionier mit blauem Halstuch im DDR-Kinderfernsehen mit den kabarettistisch gefärbten Nummern der „Blauen Blitze“. Und prompt folgten erste Filmrollen für die süße Rotzgöre mit dem blonden Strubbelkopp aus der Reihenhaussiedlung in Berlin-Adlershof, wo Carmen-Maja Antoni am 23. August 1945 als „Nichtwunschkind“ in nicht eben üppig kleinbürgerliche Verhältnisse hineingeboren wurde. Noch vor ihrem Schulabschluss kam die Hochbegabte als jüngste Studentin an die Filmhochschule Babelsberg. Dann ans Hans-Otto-Theater Potsdam und gleich danach an die Spitze, an die Volksbühne Berlin zu Benno Besson. Seit 1976 ist sie, die „Kleene“ mit der großen Klappe und dem Schalk im Nacken (oder einem allertraurigsten Ernst im Herzen), am Berliner Ensemble. Und das bis heute; jetzt freilich nicht mehr im Festengagement, sondern als hoher Gast und Kassenmagnet.

„Eine kleine große Kämpferin mit leuchtenden Augen und unverwechselbarer Stimme, die mit ihrem Körper größte Bühnen zu füllen und ihr Publikum zu verzaubern vermochte“, so beschrieb der Dichter und Dramatiker Christoph Hein „seine“ Antoni. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ rief ziemlich spät und überrascht: „In der DDR war sie ein Star!“ Das war unsereins damals im nüchternen Osten so gar nicht recht bewusst. Ja schon, die Antoni war bekannt; vor allem aber war sie den Leuten mit ihrer gewitzten Unverblümtheit so etwas wie eine Volksschauspielerin. Doch ein Star? Aber als Peter Palitzsch 1990 ans Berliner Ensemble zurück kam, da hielt er die Berühmte für eine Maskenbildnerin. Unglaublich.

Erst BE-Intendant Claus Peymann begriff, was er an dieser Künstlerin hat. Jetzt feiert man sie als „Giulietta Masina des Ostens“. Und Peymann befeuerte alsbald und unablässig mit ganz großen Aufgaben ihre sozusagen zweite grandiose Karriere, die jenseits der 55; etwa, bloß um drei Beispiele zu nennen, in Werner Schwabs schwarzem Schwank „Präsidentinnen“, in Brechts „Mutter“ und „Mutter Courage“. – CMA kannte ja noch Helene Weigel, die am Schiffbauerdamm den Planwagen zog. Die Marketenderin war deren Rolle, in der sie alsbald zur weltberühmten Legende wurde. „Nun ist es meine“, sagt die Antoni mit lässig weggestecktem Stolz. Und mittlerweile ist auch diese als ihr großes Kunststück legendär – und ganz eigenständig durch, so könnte man sagen, ihre so besondere berlinische Gewitztheit. Dafür gab es bislang jedes Mal Standing ovations. Klar, die Antoni ist absoluter Publikumsliebling, man kommt ihretwegen ins Theater. Man liebt sie.

Freilich, es dauerte seine Zeit, bis Peymann, der anno 2000 als BE-Chef antrat, diese so herrlich schrundige, durchtrieben schillernde Perle im Ensemble wirklich wahrnahm; seine Vorgänger nach 1990 waren diesbezüglich ziemlich blind. Die Antoni ist Peymann, diesem so sagt sie – „genialen Berserker“, bis heute dankbar für ihre „Wiederentdeckung“. Auch wenn es unter ihm nicht immer einfach, also immer „anstrengend“ war. Wenn es denn üblich sei, von Regisseuren herumkommandiert zu werden („eine Schattenseite des Schauspieler-Berufs“), dann kommandierte Peymann wohl besonders hingebungsvoll. „Aber ich bin Gott sei Dank überhaupt nicht nachtragend. Die Leute denken ja immer, mein Beruf besitze Sonnigkeit, doch das stimmt nicht, er besitzt Schwere. Ich freilich bin ein Zugpferd“, mit nicht selten mehr als zwanzig Vorstellungen im Monat und daneben den Proben. „Doch Zugpferde, die werden am Theater gepeitscht, nicht gestreichelt.“ Und „Zerbrechlichkeit bei der Arbeit“, die mag sie nun überhaupt nicht. „Da will ich kräftig und großartig, da will ich ganz da sein.“

Sie war es so gut wie immer; schon unter Regie-Königen wie Heiner Müller, Manfred Wekwerth, Peter Zadek oder George Tabori. Doch Benno Besson, der Lehrer aus ferner Volksbühnen-Zeit, der sei wirklich prägend gewesen. Der habe gesagt: „Willst du singen? Also sing!“. Seither hat CMA Liederabende im Repertoire. „Besson hat mich gelehrt, mein Wesen mit Frechheit auf die Bühne zu packen.“ Er war ihr großer Mutmacher, das Ureigene, das Zähe, Skeptisch-Schüchterne und das selbst im Kummer Komische pointiert auszuspielen. Und noch dazu ihr spezielles Anderssein (der Zwerg, Gnom, Clown, der Kobold und Kumpel) jenseits von klassisch-imponierender, langbeinig triumphierender Schauspielerinnen-Schönheit, was ihr, sie sei schließlich auch dünnhäutig, einige Komplexe hätte aufbürden können. Doch sie nahm es, unverwüstlich und trotzig, wie sie sich gibt, „als einen Segen“. „So konnte ich in Ruhe Schauspielerin sein.“ Zwar gäbe Schönheit eine gewisse Leichtfüßigkeit – „ich aber musste auf schweren Sohlen laufen“. Passt ihr! Doch man merkt es nicht.

Das wurde seit nunmehr fast sechs Jahrzehnten meist so gesehen und belohnt, gern auch mit Hauptrollen im Theater (Grusche, Shen Te, Eva im „Puntila“). Und mit unzähligen großen, aber auch kleineren Rollen im Film; zunächst Defa und DDR-Fernsehen. Nach 1990 im TV beispielsweise „Rosa Roth“ mit Freundin Iris Berben, in der Strittmatter-Verfilmung „Der Laden“ oder den Dorfpolizist-Krause-Filmen (in Krause steckt ja ein gehöriges Stück Antoni und umgekehrt) sowie im Kino „Der Vorleser“ oder „Das weiße Band“ von Michael Haneke. - Doch für jedes ihrer beiden Kinder verzichtete die tolle Mama auf einen großen Bühnen-Klassiker: Erst bei Sohn Jacob auf Tschechows „Möwe“, dann bei Tochter Jenny auf Shakespeares „Hamlet“. „Aber was bedeutet schon eine Hauptrolle gegen ein wunderbares, winziges neues Kind im Arm?“ Die Gören sind mittlerweile erwachsen, und die Antoni wechselte daheim längst ins schöne Fach der Großmama.

Doch was heißt hier „daheim“. Es gäbe noch so allerhand alte Schachteln, die sie nicht gespielt habe, murmelt sie. „Da bin ich ganz offen…!“

Hinweis: Matinee zum 70. von CMA im Berliner Ensemble am Sonntag, 6. September um 11 Uhr. Mit Iris Berben, Gregor Gysi, Christoph Hein, Manfred Karge, Claus Peymann, Hans-Eckardt Wenzel und anderen Gästen.

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