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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 133

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

1. Juni 2015

Schaubühne Berlin


Yasmina Reza ist ein Weltstar. Und obendrein: Diese Autorin ist schwer verliebt in das deutschsprachige Theater mit seinen wunderbaren Schauspielern (präzise Einfühlungs-Könner, feinfühlige Subtext-Bloßleger), mit seinen ingeniösen Regisseuren, die es so prima verstehen, sogar wenn es denn sein muss jenseits aller Dekonstruktionen die wunderbaren Schauspieler hinreißend zum Blühen zu bringen. Vor zwei Jahrzehnten gelang das Felix Prader (mit Peter Simonischek, Gerd Wameling, Udo Samel) an der Schaubühne mit „Kunst“ – und wurde ein Welthit. Die beiden folgenden Welterfolge „Gott des Gemetzels“ und „Drei Mal Leben“ brachten Luc Bondy und Jürgen Gosch in Zürich bzw. Wien zur Uraufführung; Rezas Literaturbetriebs-Satire „Ihre Version des Spiels“ kam unter Stephan Kimmigs Regie (mit Corinna Harfouch) am Deutschen Theater heraus.

– Großes Reza-Rauschen im deutsch sprechenden Hochleistungs-Virtuosentheater, das so besonders gut passt für die besondere Kunst dieser Autorin, bitterböse und übelriechende Abgründe im gutbürgerlich routinierten, fein duftenden Daseinsbetrieb freizulegen. Da blitzen dann unvermutet Menschheitsdramen im perfekt geölten Reza-Beziehungskisten-Boulevard auf. Da zeigt sich urplötzlich die entsetzliche Brüchigkeit der so sehr sicher geglaubten, doch eigentlich hauchdünnen Decke des Zivilisatorischen. Dabei spielt die Reza höchst raffiniert und unheimlich unterhaltend mit Schnitzler, Tschechow, Albee oder Allen. Und schäumt alles rasend komödiantisch auf. Tollkühne, sarkastisch schillernde Kunststücke!

 

Jetzt hat Yasmina Reza ein neues Stück ertüftelt eigens für ihren Lieblingsregisseur Thomas Ostermeier, dessen Arbeiten sie bei Schaubühnen-Gastspielen in Frankreich so sehr bewunderte. Doch leider, bestürzende Überraschung: In „Bella Figura“ bleibt der Hickhack, den sich zwei bedauernswerte Paare auf dem Parkplatz und danach im Nobelrestaurant liefern, eben bloß Hickhack und weiter fast nichts. Dabei steckt, Reza-Kenner ahnen es schon, bereits im Titel Katastrophales: Man möchte gute Figur machen obgleich alle Beteiligten wissen, dass all ihr bella Mit- und Beieinander bloß große Scheiße ist. Doch, um drastisch im Bilde zu bleiben, die Scheiße kommt und kommt nicht zum Kochen.

 

Was soll ein Regisseur nun tun, bekommt er exklusiv auf dem Silbertablett die gepflegte Belanglosigkeit einer Weltberühmtheit? Kann ihr ja mal passieren; geschieht in den besten Familien. Trotzdem: Eine Riesenenttäuschung. Doch ablehnen – unmöglich! Also versucht der arme Ostermeier, mit dem müden Blabla bella Figura zu machen. Wobei ihm seine beiden Stars, Nina Hoss und Mark Waschke, hingebungs- und aufopferungsvoll assistieren. Und noch dazu die Stichwortgeber Stephanie Eidt, Renato Schuch, Lore Stefanek. Dennoch, es gelingt nicht. Die Chose klebt wie zäher Kaugummi am Bühnenboden. Da hebt nichts ab und bricht nichts ein oder auf. Fade Figuren rackern bloß redlich sich ab, schleppen sich von Pointchen zu Pointchen. Quasselstrippentheater! Immerhin wird, das ist man sich schuldig, gekonnt gequält an der dürftigen Strippe entlang geplappert. Macht freilich trotz einigen Aufwands an optischen Effekten sowie eines Quickies auf dem Kneipenklo keine gute Figur. (im Juni noch neun Vorstellungen)

Kammerspiele Deutsches Theater

Zwei Stunden lang bis zur Pause kindlichstes Großvergnügen! Am elementar Spielerischen! Am Ballermann reinen Komödiantentums! An toller Improvisationskunst, an rasenden Slapstickiaden, wüsten Schlammschlachten – denn des Geizlings Harpagnon Geldkassette, auf die hier alle scharf sind, steckt in einer Kloake. Geld ist Scheiße, so die unfrohe Botschaft der Regie im Bund mit dem Autor; es verdirbt den Charakter, meint vor allem Molière, doch jeder kann nie genug davon haben, wissen wir alle.

 

Es geht in Jean Baptiste Molières Komödie „Der Geizige“

 

um die Macht der Knete. Und obendrein um einen Generationenkonflikt (Vater gegen Kinder), um Opportunismus, Opposition, Manipulation, Identität, um Verlogenheit, Betrug, Gier, Hass, Eitelkeit, Gewalt, um solch allgemeinmenschliche Dingelchen. Und obendrein natürlich noch um die kleine geile sowie die groß himmelsmächtige Liebe. Es geht dem Autor aus dem 17. Jahrhundert also um allerhand. Der Regisseur von heute, Martin Laberenz, nimmt es deutlich kleiner. Ihm geht es vor allem um die Entfesselung der totalen Spielwut seines grandiosen Ensembles. Um hinreißende Extempores über Geldwirtschaft, Vaterschaft oder den schauspieltechnischen Betrieb. So wie das Michael Goldberg, Ole Lagerpusch, Andreas Döhler, Anita Vulesica oder Sebastian Grünwald schier atemlos und mit vehementem Körpereinsatz hinkriegen, ist das allerhöchste Klamotten-Kulinarik. Sensationell. Kann man so schnell nicht wieder kriegen. Macht besoffen. Herrlicher Rausch. Zumindest bis zur Pause. Danach geht dem offensichtlich hoch begabten Regisseur die Puste aus, die freilich ohnehin kaum dazu diente, Moliéres höllische Feuer sonderlich anzublasen. Laberenz wirft des Autors Komplexität wie einen Lachsack über die leichte Schulter. Molière bleibt ihm bloß Stichwortgeber für sein mit ingeniösen Einfällen nicht geizendes Express-Juxen-und-Toben auf tollkühnem Niveau (das DT hat seine super Solisten, man vergisst es ansonsten nur allzu leicht...).

 

Man muss nicht sonderlich anmerken, dass die letzten sechzig Minuten des knapp dreistündigen Abends (viel zu lang!) nur noch erregt dahin plappern. Wenn der jedoch insgesamt als irre Groteske ums liebe böse Geld gedacht war, dann muss man sagen: Die Komik bekamen wir im Überfluss, den Schrecken fast gar nicht. „Der Geizige“ ist aber auch ein Schreckens-Stück. Schade drum; trotzallem (wieder am 3. und 30. Juni).

Lauter Herzensstücke - Im Hinblick auf die schöne Ferienzeit ein Lesetipp

33 Liebeserklärungen auf 333 Seiten, und alle haben mit Berlin zu tun, und mit Berlinern was für ein Buch! Und was für eine herrliche Idee, 33 bekannte bis berühmte Berliner schreiben zu lassen über 33 teils nicht mehr so ganz bekannt-berühmte, teils aber noch sehr viel mehr, ja geradezu überwältigend oder unsterblich berühmte Berliner – die freilich allesamt längst tot sind. Und doch weiter wirken.

 

Als geborener Dresdner bin ich einigermaßen neidisch auf diese wunderbare und nicht so hopphopp zu realisierende Idee der theaterkritischen Journalistin Irene Bazinger und des kulturmanagenden Juristen Peter Raue, einen solchen mit wirklich Wissenswertem wie köstlich Anekdotischem angefüllten Schmöker zu machen unter dem kessen Titel „Wir Berliner!“.

 

Die 33 Autoren sind durchweg keine professionellen Literaten, sondern Promis aus unserem hauptstädtischen Kunst-, Wissenschafts-, Wirtschafts- und Politikbetrieb. Man kann sich vorstellen, wie Frau Bazinger und Herr Raue in ihren Netzwerken gewühlt haben, um die Texte zu kriegen. Nicht, weil die Texter keine Lieben hätten unter all den großartigen Altvorderen von Marlene Dietrich bis Willy Brandt, Estrongo Nachama bis Dore Hoyer, von James Simon, Luxemburg, Litfass, Knef, Heartfield, Kleist, Bois, Held, Tucholsky oder Einstein bis Zille. Doch über eine unendliche Bewunderung, gar über eine Liebe zu schreiben, das ist ein anderes. Klaus Hoffmann, Romy Haag, Gregor Gysi, Hans Wall, Katharina Thalbach, Heinz Dürr, Maren Kroymann, die Trissenaar, der Matthes, Neuenfels, Thierse, Flimm und die anderen 21 Stars von jetzt haben es sich, dem Himmel nebst den Herausgebern sei Dank, nicht nehmen lassen.

 

So haben wir denn ein selten köstliches, auch ein fein witziges, keck ironisches, teils auch wehmütig-melancholisches oder auch schon mal sentimentales (von jeglicher blind-tumben Anbeterei aber völlig freies) Berlin-Brevier, das die längst Von-uns-Gegangenen äußerst lebendig zurück holt. Freilich, „Wir Berliner!“ (mit frechem Ausrufezeichen!), das sind ja nicht nur diese 33 – wir warten also auf Fortsetzungen. Sowie auf den Klau der so genialen wie simplen Bazinger-Raue-Idee. Ich meine, dass jemand sich aufrafft und ein „Wir Dresdner!“ oder „Wir Hamburger!“ oder „Wir Münchner, Kölner oder Stuttgarter!“ macht.

 

Nebenbei bemerkt: Die beiden schlauen Herausgeber lieferten selbst je ihre (auf eine beschränkte) Lovestory: Die Bazinger feiert den Eisbären Knut, der Raue den von mir, das sei hier gestanden, seit langem still verehrten, tragisch umflorten, großen, übergroßen Mäzen James Simon, ohne den wir nicht nur die Nofretete nicht hätten. Auch so ein banal gesagt: informatives , darüber hinaus jedoch: vornehmes Herzensstück.

 

(Bazinger & Raue: „Wir Berliner! Prominente über Prominente“. Verlag Quadriga, 19,99 Euro)

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