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Kulturvolk Magazin

Kulturvolk Blog Nr. 129

Kulturvolk Blog | Reinhard Wengierek

von Reinhard Wengierek

4. Mai 2015

Schaubühne


Akademisch, linksliberal, gesellschaftskritisch sowie bezüglich Migranten, Gender oder Bio total korrekt – so leben Ulrike und Michael (Marie Burchard, Robert Beyer) mit ihrem pubertierenden Sohn Vincent (Laurenz Laufenberg) im Prenzlauer Berg „Ecke Wörther Straße“. Und weil der Arzt und die Assistentin des hippen Künstlers Serge Haulupa (Sebastian Schwarz) beruflich schwer eingespannt sind, werden das Kind, der eheliche Beischlaf sowie die Pflege der 100 Quadratmeter des luxussanierten Wohnraums arg vernachlässigt. Letzterem ist am ehesten beizukommen durchs Engagement einer Putzfrau, diesmal eine Jessica Schmitt aus Halle an der Saale, ein – hahaha – „deutsches demokratisches Ostobst“ (Jenny König). Ihre Vorgängerin kam aus Polen; „jeder soll seine Chance bekommen, auch die Polen“. Sie wurde trotzdem alsbald gekündigt; Sprachprobleme.

 

Doch kommen in Marius von Mayenburgs „Stück Plastik“ noch ganz andere global-politische und intim-frustrierende Probleme zur Sprache, die im Verlauf dieser 130-Minuten-Komödie immer zynischer wird und dabei immer brutaler der so beflissen neuen Gutbürgerlichkeit die ach so edel geschminkte Maske vom Gesicht reißt. So wuchert denn mit zunehmender Geschwindigkeit im frisch geputzten, bio-biederen Familienstadel das Groteske bis hin zur Farce.

 

Doch ins zwischenmenschliche, von immer verrückteren ideologischen Krämpfen durchsetzte Chaos mischt Mayenburg mit ätzender Eloquenz und höchst anspielungsreich eine makabre Satire auf den allgegenwärtigen Kunstbetrieb. Haulupa, selbsternannter Superman performativ-videogestützter Kunst, der mit seinen Sprechblasen-Weisheiten wie mit der Kalaschnikow um sich ballert, der schnappt sich das „Ostobst“ von der Saale als seine Muse. Und wird sie als „soziale Plastik“ installieren, die diverse Fettecken (aha, Beuys) wegwischt und überhaupt „den ganzen Dreck unserer Zivilisation“. Was selbstredend gefilmt werden wird, was dann den Knaller macht in Haulupas teurer Galerie - und danach den Knaller im Netz. Zur Probe wirft er gleich mal seine elektrische Dreckschleuder an, macht die Küche der feinen Prenzlberg-Wohnung zur Sau und wir, das Schaubühnen-Publikum, so die Ansage des Künstlers, „schauen der Schmutzaktion brav zu und werden zum voyeuristischen Teil der Installation“ – und dabei womöglich gleich selbst zu Künstlern. Denn alles und jeder ist ja irgendwie Kunst und Projekt. Irgendwie.

 

Es ist ein höllischer Spuk, den Regisseur Mayenburg mit seinem bissigen Text da los tritt, der gnadenlos allerhand „Menschlich allzu Menschliches“ zusammen mit aberwitzig ideologischen und obendrein kunsttheoretischen Irrungen und Wirrungen aufspießt. Ein grell kabarettistisches Panoptikum verrenkter Köpfe und Seelen, entfesselt von einer präzise hochtourigen Komiker-Truppe. Schauspielerischer Hochglanz (wie immer in diesem Theater), rasiermesserscharfe Satire und Amüsement satt, abgründig hintersinnig. Stehende Ovationen.

Schlossparktheater

Gleich noch eine Klamotte, eine der etwas anderen Art, ohne höhere oder tiefere Ab- oder Einsichten: Ray Cooney, Londoner Massenproduzent zumindest in seiner Heimat außerordentlich erfolgreicher, wie geschmiert abspulender Slapstickiaden, siedelt in „Und alles auf Krankenschein“ seine aus schier unendlichen Ketten von Missverständnissen bestehende Farce im medizinischen Milieu an. Es hätte freilich auch anderswo spielen können, denn es geht Cooney um die allerorten immergrünen Sächelchen aus Ehe und heimlichen Seitensprüngen, denen eben auch Weißkittel gern folgen. Regisseur Anatol Preissler versteht es, seine neun prima Komödianten durch den immer dichter werdenden Dschungel aus Lug und Trug zu jagen. Klamotte zum Juchzen, Schenkelklopfen, Kopfschütteln.

Leckerbissen für Neugierige

„Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze.“ Tut sie eben doch! Und Schiller würde staunen, käme er zu Stephan Dörschel ins Archiv Darstellende Kunst in der Akademie der Künste am Robert-Koch-Platz 10. – Und Sie, liebe Freunde der Freien Volksbühne, können wirklich staunen: Denn am Montag, 11. Mai, gibt es unter dem bekannten Motto „Montagskultur unterwegs“ die seltene Chance, einmal in die Regale, die Kisten und Kasten dieses sagenhaften Archivs zu schauen. Der rührige, selbstredend sehr auskunftsfreudige und wissende Herr Dörschel wird sonderlich Materialien aus dem reichen Archiv des Theaters der Freien Volksbühne bereit stellen. – Treffpunkt: 11. Mai, 19.30 Konferenzraum. Robert-Koch-Platz 10 (U-Bahn 6 Naturkundemuseum, oder bis Hauptbahnhof und mit der Tram eine Station bis Invalidenpark).

 

Übrigens: Das AdK-Archiv Darstellende Kunst gehört zu den größten unseres Landes; seine Theatergrafik-Sammlung (4900 Blatt) von Künstlern des deutschen und europäischen Theaters des 18./19. Jahrhunderts zählt zu den ältesten. Was Schiller nicht ahnen konnte: In Theater-Deutschland sammeln die Theater unentwegt, was ihre Spielpläne und ihre Theoretiker hergeben. Zwar bleibt das Theater gebunden an den Augenblick, doch aus seinen reichen Hinterlassenschaften lassen sich opulente Kränze flechten; erst recht natürlich heutzutage, da Inszenierungen in ihrem Entstehungs- und Wirkprozess ausführlich und High-Tech-gestützt dokumentiert werden. „Sie können, dank Computer, heute ihre Fragen etwa nach einer Inszenierung aus dem Jahr 1988 eingeben und bekommen prompt bestandsübergreifend eine Liste der unterschiedlichsten Materialen aus unseren Archiven“, sagte mir Dörschel bei einem Vorabbesuch.

 

Bestandsübergreifend heißt, auf der Liste stehen: Plakate, Rollenverzeichnisse, Regiebücher, Textentwürfe, Korrespondenzen, Bühnenbildentwürfe, Figurinen, Szenenfotos oder Video-Aufzeichnungen – oder die Dokumente der Gesellschaft für Theatergeschichte, gegründet 1902. Im AdK-Archiv Darstellende Kunst lagern 1,5 Millionen Zeitungsausschnitte, 300.000 Programmhefte, 25.000 Blatt Bühnenbild und Theatergrafik – von Fehling, Piscator bis Zadek, Schleef, Schlingensief. „Da strömen Nutzer aus aller Welt zu uns“, sagt Dörschel nicht ohne Stolz.

 

Man darf sagen, Stephan Dörschel verwaltet im Prinzip längst schon das in Berlin so sehr herbei gesehnte Theatermuseum, das ja einst im Schloss der Hohenzollern sein Domizil hatte. Im Zweiten Weltkrieg wurde es ausgelagert, hat größtenteils überlebt und wird seither in diversen Speichern deponiert. Das Märkische Museum offeriert gegenwärtig einen kleinen Teil. Das wäre auch der rechte Ort, für ein Berlin wie den gesamten deutschsprachigen Raum repräsentierendes Theatermuseum, also alles Verstreute endlich vereint unterm Dach des Stadtmuseums, meint Dörschel. Doch das gegenwärtig kulturpolitisch so peinlich beiseite stehende „Märkische“ wird das absehbar nicht zustande bringen können. Deshalb, so Dörschel pragmatisch, sollten alle Theatralia sammelnden Institutionen der Stadt einen Beirat berufen, der dann diverse Ausstellungen managt. So käme zumindest temporär das vielfältige Material unter die Leute. Sozusagen ein Runder Tisch der vielen Berliner Theaterarchive als kontinuierlicher Ausstellungsmacher – bis womöglich ein ordentliches großes Theatermuseum mit seinen sagenhaften Beständen steht. Es dürfte das Zeug haben zum Weltruhm.

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